12. März 2012

Noch einmal zum Siebenbürgenlied

Es gibt einen zweiten Disput um das Siebenbürgenlied, die Volkshymne der Siebenbürger Sachsen. Zuerst war es die kritische Diskussion im Zusammenhang mit dem seit geraumer Zeit zur Gepflogenheit gewordenen Melodieeinschub in der letzten Strophe.
Die Argumente, die gegen die eingeschobene Melodiefloskel (an sich ein Unikum) vorgebracht wurden, beziehen sich vor allem auf die minderwertige melodisch-ästhetische Qualität des Einschiebsels, das zudem noch in überflüssiger Weise eine vorher erklungene Textzeile wiederholt. Des Weiteren wurde auf den Mangel an Respekt vor der Tradition und der Urheberschaft des Komponisten und Textdichters verwiesen, auf den willkürlichen, eigenmächtigen, anmaßenden, durchaus auch pietätlosen und stilfremden Eingriff in ein authentisch überliefertes, in vieler Hinsicht hochstehendes und aussagekräftiges Kunstprodukt, dessen Ästhetik er verletzt. Es gibt keine Rechtfertigung, keinen wie immer gearteten ästhetischen, musikalischen, inhaltlichen, proportions- oder formgestalterischen Grund. Es wurde betont, dass es an diesem Lied nichts zu verändern, zu „verbessern“ oder zu ergänzen gibt. Zahlreiche Fachkenner, Musikliebhaber, Geistesschaffende und Freunde des Siebenbürgenlieds verbinden mit dieser Argumentation die Hoffnung auf Klärung und Einsicht.

Wir haben es mit einem zum Teil emotional geführten Meinungsaustausch zu tun, der sich auf die Art und Weise bezieht, wie das Siebenbürgenlied wiederzugeben bzw. zu singen sei. Die einen wollen die neue solistische, von einer Sängerin oder einem Sänger über Mikrophon und Lautsprecher übermittelte, interpretative Darbietung einführen, in der Überzeugung, damit eine attraktive Neuerung anzubieten – wie letztens auf der Kundgebung beim Heimattag in Dinkelsbühl. Die anderen fühlen sich dadurch in ihrer Gestimmheit, ihrem Traditionsbewusstsein, ihrem Brauchtum gestört, enttäuscht und entwürdigt, reagieren verärgert und äußern ihren Unmut (Siebenbürgische Zeitung vom 15. ­Januar 2012, Seite 9). Sie möchten das traditionelle, Seelenkräfte freisetzende und symbolträchtige gemeinschaftliche Singen, wie im Volksgesang üblich, beibehalten. Vielleicht ist der Sache gedient, wenn wir grundsätzlich festhalten, dass National- oder Volkshymnen im Allgemeinen und das Siebenbürgenlied im Speziellen keine Opernarien, keine Schlager und keine Popsongs sind. Sie sind ein Genre des Volksgesangs. Das Siebenbürgenlied wurde sogar als Chorgesang konzipiert, mit „Volkslied“ betitelt und verbreitete sich seit 1846 tatsächlich eigendynamisch wie ein Volkslied, nachdem es bei einem Volksfest von einem Chor dargeboten und von der Menge spontan nachgesungen wurde. Dazu wäre noch anzumerken, dass die Siebenbürger Sachsen ihre Volkslieder immer in der Gemeinschaft sangen und singen – in der Regel eine zweite Singstimme oder ein Harmonieinstrument miteinbeziehend –, oft auch als Chorgesang. Einzelgesang wie ihn beispielsweise die Rumänen im Volkslied pflegen, ist ihnen im Grunde fremd.

Viele Siebenbürger Sachsen haben das mancherorts gepflegte, angeblich kunstmäßige, solistische, von Lautsprechern in Disco-Lautstärke übertragene Singen von Hymnen und anderen Liedern (darunter auch das Weihnachtslied „Stille Nacht“) im Ohr, vor allem den entstellenden, affektierten Gesang mit viel Espressivo und Schmalz, rührseligen Dehnungen, Glissandi und Fiorituren. So war es nun zwar in Dinkelsbühl nicht, denn der Sänger Helge von Bömches, der mit dem Sologesang betraut worden war, ist ein klassisch geschulter und klassisch agierender herausragender Künstler. Die Beanstandungen, die auf diese Vorführung folgten, beziehen sich auch nicht auf den Sänger persönlich, es wurde kein Name genannt. Sie zielen grundsätzlich auf die übernommene neue Mode. In der in Rede stehenden elektroakustischen Übertragung und deren vermutlich ungeschickte Handhabung musste aber auch die schönste Stimme aggressiv, entfremdet und unangenehm wirken.

Eine nachträgliche Personalisierung brachten dann die empfindlichen und moralisierenden Reaktionen auf kritische Anmerkungen, obwohl in diesen – es sei noch einmal betont – keineswegs der Sänger selbst, seine Qualitäten und seine Persönlichkeit in Zweifel gezogen und keine künstlerischen und stimmlichen Mankos angemahnt wurden. Er war es auch nicht, der „über den Platz gebrüllt“ hat, wie zu lesen steht, sondern das waren die unsensibel eingestellten Lautsprecher. Ein Sänger mit akademischer Ausbildung für Oper und Konzert ist ja eigentlich auch nicht dafür da – vielleicht auch nicht geeignet –, Hymnen ins Mikrophon zu singen. Das tun diejenigen, die eine ton- und ausdruckslose Stimme haben und das Mikrophon an die Lippen nehmen.

Trotzdem wäre zu wünschen, dass das Siebenbürgenlied – ein Lied, das jeder singen kann – als Gemeinschaftsgesang bestehen bleibt. Hilfreich zur musikalischen Koordinierung, stilvoll und angemessen wäre dabei die Führung durch einen Chor oder die Begleitung durch ein Orchester. Für die Teilnehmer muss aber die Möglichkeit gewahrt bleiben, mitsingen zu können. Das entspricht ihrer Tradition, ihrem Brauch und ihrer Mentalität. Der musikalische und singfreudige Siebenbürger (ist es nur die mittlere und ältere Generation?) will seine Hymne mit allen zusammen selbst singen, schlicht, ehrlich, mit echter Hingabe und bekenntnishafter Überzeugung, als Volkslied und Symbol. Er will nicht von Lautsprechern bevormundet oder übertönt werden; er hält nichts davon, möglicherweise mit feierlicher Geste dazustehen und zuzuhören; er sucht, findet und artikuliert sich im Gesang. Das war seit jeher so, und es besteht offenbar kein Anlass, keine Notwendigkeit und kein Bedürfnis, statt dessen fremde Gepflogenheiten nachzuahmen. Wenn der Verfasser einer Zuschrift mit Blick auf besagte Kundgebung schreibt – sicher kein Einzelfall –, er habe sich „gefreut, zusammen mit all den Versammelten unser Heimatlied zu singen“ (was ihm dann jedoch unmöglich gemacht wurde), so spricht das Bände.

Karl Teutsch

Schlagwörter: Musik, Lieder

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