9. Juli 2013

Ein Mühlbacher in der Londoner City

Anfang des Jahres er­reich­te uns die traurige Nachricht vom Tode unseres Klassenkameraden Thomas Emil Schuster, der weit von seinem geliebten Mühlbach und Siebenbürgen in England einem Krebsleiden erlag. Schuster entstammte einer gut bürgerlichen Familie und einem kinderreichen Elternhaus. Die Volksschule und die ersten Gymnasialklassen besuchte er in Mühlbach.
Da in jenen Jahren die Zahl der Gymnasien immer mehr reduziert wurde, gingen Tomi, wie viele seiner Mühlbacher Klassenkameraden, auf eine Scoala Medie Tehnica de Mecanica nach Cugir. Nach Beendigung dieser Berufsausbildung musste er zunächst seinen dreijährigen Militärdienst leisten, bevor er dann in Hermannstadt eine ständige Bleibe fand.

Thomas Schuster ...
Thomas Schuster
Ein großer Schicksalsschlag war für Tomi ein Verkehrsunfall, infolge dessen ihm der linke Unterschenkel amputiert werden musste. Es war nun aber nicht sein Ding, die Flinte ins Korn zu werfen, sondern er lernte mit der Prothese zu leben und auch bedingt Sport zu treiben. In dieser Zeit der Anpassung an seine neue Lage, reifte in ihm immer mehr der Gedanke, das kommunistische Heimatland zu verlassen. Verschiedene Pläne und Fluchtvarianten wurden geschmiedet und erwogen, doch letztendlich wieder verworfen, da ein illegaler Grenzübertritt in jener Zeit im schlimmsten Fall mit dem eigenen Leben bezahlt werden musste. Er buchte eine Urlaubsreise ins benachbarte kommunistische, doch weitaus liberalere Jugoslawien. Bei einem Spaziergang durch die Altstadt von Ljubljana (Leibach) stieß er auf ein Werbeplakat eines Reisebüros, auf dem eine Tagesreise zu einem Konzertbesuch in das nahe gelegene österreichische Klagenfurt angebotenen wurde. Schuster erkundigte sich, ob er mitreisen könnte, musste seinen Reisepass vorzeigen und bekam für den nächsten Tag ein Ticket nach Klagenfurt. Zwei der insgesamt drei Grenzkontrollen verliefen ebenso problemlos wie das Buchen dieser Reise, doch bei der dritten Passkontrolle wurde festgestellt, dass ein Visum für Österreich fehlte. Tomi wurde eröffnet, er sei nun in Österreich und dürfe nicht einreisen. Als der verdutzte Reisende erfuhr, er sei bereits im benachbarten Österreich, nahm er die angedrohte Zwangsübernachtung auf der Polizeiwache gerne an und kam anschließend in ein Auffanglager, bis seine Situation als Flüchtling geklärt wurde. Diese Art der „Auswanderung“ aus Rumänien hätte gerne auch mancher andere Landsmann gewählt. Doch Schuster war einer der ganz wenigen, denen so ein Streich gelang.

Ebenso einmalig war sein weiterer Werdegang. Nachdem er sich in München niedergelassen und Arbeit gefunden hatte, wurde er durch seine Firma des Öfteren geschäftlich nach England geschickt. Bei diesen verschiedenen Reisen nutzte er das damalige Gefälle zwischen Englischem Pfund und D-Mark, kaufte spottbillig verschiedene Antiquitäten und verkaufte diese wieder mit Gewinn in Deutschland. So erwuchs in unserem ehemaligen Schulfreund die Leidenschaft für alte Landkarten, alte Bücher und Stiche. Er entschloss sich letztendlich, als sein Arbeitgeber Pleite ging, einen eigenen kleinen Antiquitätenladen in der näheren Umgebung von London zu eröffnen. Das Geschäft lief gut, mit der Zeit sogar sehr gut, so dass er sich entschloss, in der City von London ein der Lage entsprechendes gehobenes Geschäft zu eröffnen, in das man nur per Klingelknopf Einlass bekam. Der Name des Geschäftes: The Schuster Gallery – Antique Prints, Maps and Medieval Manuscripts. Der Handel blühte, unser Mühlbacher Freund wurde ein geschätzter und gern gesehener Gast bei internationalen Messen beispielsweise in New York und Tokio und wurde oft als ausgewiesener Fachmann bei Sotheby’s & Christies um seinen geschätzen Rat gebeten. All sein Wissen auf diesem weiten Gebiet der Antiquitäten hat er sich mit großer Mühe als Autodidakt erworben. Zeitweilig handelte er auch mit altem chinesischem Porzellan, das aus versunkenen Schiffen stammte. Er forschte und studierte das Schicksal der versunkenen alten Schiffe und verkaufte diese Stücke gleich mit der dazugehörigen Geschichte, was den Wert des Porzellans nur noch erhöhte. Seine letzten Jahre verbrachte er mit seiner Frau Greta auf seinem Anwesen in der südenglischen Küstenstadt Torquay.

Es gäbe noch viel Interessantes von unserem Mühlbacher Freund zu erzählen. Eines sei noch zu erwähnen: Er hat nie auf seine sächsische Mundart verzichtet. Man sah es ihm bei gelegentlichen Besuchen in Dinkelsbühl an, wie froh er war, diesen ihm von Kindheit und Elternhaus vertrauten Dialekt zu hören und zu sprechen. Ich bedauere es sehr, diesen Artikel über Thomas Emil Schuster nicht, wie ich es schon lange vorhatte, noch zu seinen Lebzeiten geschrieben zu haben. Nun kann er, der es am meisten verdient hätte, sich nicht mehr darüber freuen.

Hans-Joachim Acker

Schlagwörter: Nachruf, Mühlbach, Antiquitäten

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