26. November 2013

Reiseeindrücke: Wie sich Kronstadt verändert hat

Es gibt viele Kronstädterinnen und Kronstädter, die seit zehn oder noch mehr Jahren nicht mehr in Kronstadt waren. Ihnen möchte ich berichten, wie es dort heute aussieht.
Ich war mit meiner Frau im Sommer dieses Jahres „unten“, wie man sagt. Wir flogen von Stuttgart bis Hermannstadt, wo wir Geld wechselten (1 Euro zu 4,30 Lei) und fuhren dann mit dem Zug bis Kronstadt. Im Zug gibt es keine erste Klasse mehr, aber noch die 1.-Klasse-Wagen. In einem solchen saßen wir bequem und allein im Abteil. Bis Kronstadt hielt der Zug nur vier Mal: in Freck, Ucea, Fogarasch und Zeiden. An allen Bahnhofsgebäuden wehte die Trikolore, ebenso an allen öffentlichen Gebäuden, auf der Zinne, am Schlossberg und sogar an Kirchen in Kronstadt, nur an der Schwarzen Kirche nicht. Schon am ersten Tag fragten uns drei Personen, ob wir nicht nach Rumänien zurückkehren würden.

Es fiel uns in Kronstadt auf, wie sauber die Stadt gehalten wird. Das Kehrauto fährt sogar Sonntagabend durch die Innenstadt. Auch der Straßenbelag ist in bestem Zustand, wobei die EU bestimmt finanziell mitgeholfen hat. Selbst steile Straßen sind asphaltiert, wie die Iosifgasse auf den Postwiesenberg, die Straße auf den Schlossberg oder auf den Burghals hinauf und ins Ragadotal hinunter. Das Ragadotal ist ein nicht mehr erkennbarer Stadtteil geworden, wo sogar eine Kirche gebaut wurde. In der Inneren Stadt gibt es Countdown-Ampeln wie in New York oder Washington, wo angegeben wird, nach wie viel Sekunden die Ampel grün bzw. rot wird. Ein Lob muss auch dem jetzigen Bürgermeister von Kronstadt, dem Moldauer George Scripcaru, ausgesprochen werden, der den öffentlichen Verkehr erheblich verbessern ließ. Es fahren Busse auch in alle entlegeneren Stadtviertel, und das in kurzen Zeitabständen. In den zehn Tagen unseres Aufenthalts streikten die Busfahrer zwei Tage lang, und man musste mit dem Taxi fahren. Aber das ist nicht teuer. Der Kilometer Taxifahrt kostet 1,35 Lei. Der Liter Benzin (95 Oktan) kostete 5,75 Lei, also 1,34 Euro. Bei Taxifahrten muss man auch die Umwege wegen der vielen Einbahnstraßen im Innenstadtbereich bezahlen. Man fährt weit schneller als erlaubt. Ich fuhr mit dem Taxi über 80 km/h. Man müsse sich nicht anschnallen, sagte der Taxifahrer. Der Platz vor der Handelskammer (später ARLUS) und dem Rektorat (einst Präfektur) ist eine wichtige (End-) Haltestelle, dem Stadtzentrum am nächsten. Überall in der Stadt sind noch die alten runden Brunnen, wie schon vor 60 Jahren, wo man vom nach oben sprudelnden Wasser trinken kann. Auch die früheren Befestigungsanlagen sind in gutem Zustand. Seit vorigem Jahr kann man auch die Tuchmacherbastei von innen besteigen.
Harald Meschendörfer: Blick vom Schlossberg auf ...
Harald Meschendörfer: Blick vom Schlossberg auf das herbstliche Kronstadt (1981). Vorn das Rathaus, die katholische und die Schwarze Kirche (von links). Öl auf Leinwand, 66 x 83 cm. Sammlung Kraus/Stephani,Freudental. Foto: Konrad Klein
Wir waren mehrmals am innerstädtischen Friedhof, weil man ja die Gräber der verstorbenen Vorfahren bei der Ausreise zurücklassen musste. Auffallend ist, dass es immer mehr rumänische und vor allem ungarische Gräber gibt. Deutsch hört man nicht mehr auf der Straße. Sachsen trifft man eher am Friedhof oder beim Orgelkonzert in der Schwarzen Kirche, aber man begegnet auch Ausgewanderten, die gerade Kronstadt besuchen. Der Honterushof ist zum Teil wegen der neu entdeckten, alten Gräber abgedeckt.

Neuerdings wird die Vergangenheit der Deutschen bei der Geschichte der Stadt auch erwähnt, wohl weil die Stadtverwaltung bei den Hermannstädtern gemerkt hat, dass dies zu mehr Wohlstand führt; nicht der geschichtlichen Objektivität wegen. In der Ecke Purzen-/Michael- Weiß-Gasse stand bis zur Verstaatlichung 1949 die Apotheke meines Großvaters Jekelius. Ein Schild am Außenstrebepfeiler beschreibt den Bau rumänisch und englisch. Nun hat jemand acht Häuser weiter ein Café mit dem Namen Dr. Jekelius eröffnet, um interessanter und werbeträchtiger zu sein. Auch im Rathaus-Museum, bei Stadtrundfahrten im Doppeldeckerbus und bei alten Gebäuden werden die Verdienste der Sachsen erwähnt.

Die Stadt ist vollkommen verbaut: beim Bahnhof, am Raupenberg, am Schneckenberg, bei der Warthe und in der Noa. Am vom Wald freigelegten Schloss am Schlossberg stellt man fest, dass bis Petersberg gebaut wurde, aber auch bis Neustadt, bis in die Dârste usw. Die Kleine Schulerau ist so verbaut, dass der Begriff „Au“ nicht mehr gerechtfertigt ist. Ein Bautechniker sagte jemandem, dass man in den letzten Jahren hauptsächlich Hotels, Arztpraxen, Gasthäuser und Apotheken in Kronstadt gebaut habe. Im Speisesaal des früheren Hotels „Krone“ ist an einem Deckenbalken auf Deutsch neuerdings zu lesen: „Café Krone im Hotel Krone A.G., Kronstadt.“ – In der Kloster- und Purzengasse gibt es eine Menge Wechselstuben und Zweigstellen deutscher Banken. Auch sind eine Reihe kleiner Geschäfte für Goldankauf entstanden. Beim ARO zeigt eine Tafel an, dass auch hier der Rotary-Club vertreten ist. Das Telefongebäude ist leer, weil einsturzgefährdet bei Erdbeben. Rollstuhlfahrer und Behinderte mit Rollator sieht man keine auf der Straße. Die Polizei ist gut vertreten, vor allem vor Verwaltungsgebäuden. Nur Verkehrspolizei sieht man keine.

Die ehemalige Industrie ist stark geschrumpft. Bei der Tractorul stehen nur noch ein paar Lagerhallen, die Schielfabrik wurde 2012 abgetragen – dort sollen ein Hotel und ein Supermarkt entstehen –, das Lkw-Werk funktioniert nicht mehr, aus der Teutsch-Fabrik machte man Wohnungen, die Schergfabrik ist leer. Dafür aber geht es manchen deutschen Investoren wie der Firma Ina Schaeffler (Zentrale in Schweinfurt) gut, sie erzeugt Kugellager u.a. in ihren Werks­hallen zwischen Kronstadt und Neustadt (beim Hangesteingut Schmidts). Die Jugend sitzt gerne an den Tischen mitten in der Purzengasse vor einem Glas Bier. Man sieht schwedische, japanische u.a. Touristen in Kronstadt. Die Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien ist an Kiosken nicht zu finden. Bei der Iosif-Büste im Park hat man die drei Bronzetafeln am Sockel auch gestohlen. In der Post stehen die Kunden Schlange, weil von 15 Schaltern nur drei offen sind. In Gasthäusern findet man Kuttelsuppe, Hirn und Schweinshoden, aber seltener Kremschnitten, Ischler, Savarina und Doboschtorte. Richard Clayderman gab am 13. Juli ein Konzert am Marktplatz.

Die Kirchenburgen in Tartlau und Honigberg sind gut erhalten und stehen unter Denkmalschutz. In Honigberg öffnete uns eine Rumänin die Kirchenburg und kassierte die 5 Lei Eintrittsgeld. Ich fragte sie, wie viele Sachsen noch sonntags in die Kirche kämen. 30, sagte sie. Und wie viele Sachsen gibt es noch in Honigberg? 100, antwortete sie. Es stellte sich heraus, dass sie, aber auch eine Reihe anderer Rumänen zum evangelischen Glauben übergetreten sind.

Christof Hannak, Freiburg i.Br.

Schlagwörter: Kronstadt, Reise

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Neueste Kommentare

  • 26.11.2013, 23:28 Uhr von getkiss: Danke, Herr Hannak. Ich war vor 7 Jahren da im Urlaub, einige der Veränderungen gab es schon. ... [weiter]
  • 26.11.2013, 20:01 Uhr von Äschilos: Schaeffler hat seinen Stammsitz in Herzogenaurach (bei Nürnberg), so wie auch Puma und Adidas. [weiter]

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