15. September 2016

Geschichte erzählen

Im Frühjahr dieses Jahres reisten wir im Rahmen des Projektes „InBetween“, welches sich mit der historischen Entwicklung interethnischer Beziehungen auf individueller Ebene in mittel- und osteuropäischen Regionen beschäftigt, ins siebenbürgische Klausenburg. Aufgrund meines donauschwäbischen familiären Hintergrundes hegte ich ein reges Interesse für die siebenbürgisch-sächsische Stadt. Dank der Hilfe des Deutschen Forums in Klausenburg und Małgorzata Tomaszkiewicz hatte ich die Möglichkeit, mit zwei Angehörigen der örtlichen Gemeinde zu sprechen.
Ingeborg Bogdan lebt in einem mehrstöckigen Wohnhaus in einer ruhigen Gegend unweit des Zentrums. Bei Betreten der Wohnung werde ich von ihr herzlich mit den Worten „Grüß Gott“ willkommen geheißen. Im persönlichen Gespräch mit der Gastgeberin erfahre ich, welchen eindrucksvollen Lebensweg sie durchschritten hat. 1942 in der Stadt Câmpina, wo die Karpaten allmählich zur walachischen Tief­ebene werden, in eine deutsche Familie als Toch­ter eines Zuckerbäckers geboren, brachte das Ende des Zweiten Weltkrieges sie nach Hermannstadt. Sie ging ins Gymnasium, wuchs in einer relativ geschlossenen deutschen Ge­meinde auf und ging danach zum Studium der Veterinärmedizin in die Hauptstadt Bukarest. Dort traf sie ihren ersten Mann, mit dem sie aus dienstlichen Gründen an das neu gegründete veterinärmedizinische Institut in Klausenburg wechselte. Nach zwanzig Ehejahren wurde die Ehe geschieden, was in Ceaușescus Rumänien ungewohnt war, da, wie Ingeborg Bogdan es in ihrer lockeren Art schildert, es ohnehin schwer zwischen einer „kühlen Siebenbürgerin“ und einem „temperamentvollen Bukarester“ funktionieren könnte.

Ein wichtiger Moment in Ingeborg Bogdans Biographie scheint mir der fehlgeschlagene Versuch, in die Bundesrepublik Deutschland auszuwandern. Als der deutsche Staat die Jahre im rumänischen Staatsdienst nicht durch eine Pension belohnen wollte, hätte Bogdan von Sozialhilfe leben müssen. Enttäuscht kehrte sie nach Rumänien heim. Heute schreibt die Klausenburgerin viel über ihr Leben, ihre Heimat Siebenbürgen und die politische Situation in Rumänien. Als Geschenk bekomme ich ihr Werk „Die bunten Engel“ in die Hand, in dem sie in humoristischer Weise Kommentare über aktuelle Geschehnisse verfasst.
Lukas Joura im Gespräch mit Ingeborg Bogdan in ...
Lukas Joura im Gespräch mit Ingeborg Bogdan in Klausenburg. Foto: Teona Teodorescu
Die zweite Person, welche ich besuchen kann, ist der Vorsitzende des Deutschen Forums Klau­sen­burg, Wilfried Schreiber, der zusammen mit seiner ungarischsprachigen Frau im Zentrum, unweit des Platzes der Einheit, lebt. Während des Besuches spricht man eine Vielzahl von Sprachen, neben Deutsch und Ungarisch auch Rumänisch und Englisch, im Hause Schreiber scheint die Vielfalt Siebenbürgens zu Hause zu sein.

Wir reden über sein Leben, das 1944 in Kronstadt, im Süden Siebenbürgens begann. Als Sohn einer Siebenbürger Sächsin und eines Schlesiers, der nie aus der sibirischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist, besuchte Schreiber das deutsche Gymnasium. Nach dem Studium der Geographie in Klausenburg arbeitete er an der Babeș-Bolyai Universität und war zudem bis 2009 Lehrstuhlinhaber für Regionale Geographie und von 2004 bis 2007 Prorektor der Universität.

Anders als viele seiner Bekannten hat er nie in Erwägung gezogen, nach Deutschland zu gehen. Wie auch Ingeborg Bogdan beklagt Wilfried Schreiber die kontinuierlich zurückgehende Mitgliederzahl des Deutschen Forums und auch den Umstand, dass häufig Ungarisch und nicht die deutsche Sprache im Forum dominiert.

Trotz des Lebens in Rumänien wahren beide Personen ihre deutsche Identität, während sie gleichzeitig aktiv am gesellschaftlichen Leben in Rumänien, außerhalb der deutschen Gemeinde, teilnehmen. Dieses Schöpfen aus zwei oder mehreren Welten, so mein Eindruck, ist eine große Bereicherung für die siebenbürgisch-sächsische Gemeinde.

Lukas Joura

Schlagwörter: Porträt, Klausenburg

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