23. Mai 2025
Ein Staudamm im Alt-Tal: Wie es gelang, einen gefährlichen Bauplan von Nicolae Ceaușescu abzuwenden
In der ersten Hälfte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts war Nicolae Ceauşescu in Rumänien am Höhepunkt seiner Macht angelangt. Wann immer sich ihm die Gelegenheit bot, verfolgte er die Realisierung größenwahnsinniger Projekte, um dadurch seine Berühmtheit auch für die Nachwelt sicherzustellen. Seine Frau Elena unterstützte ihn dabei mit allen Mitteln in seiner Megalomanie. In Bukarest begann der Bau des „Hauses des Volkes“, auch „Haus der Republik“ genannt. Nach dem Pentagon wurde es das zweitgrößte Verwaltungsgebäude der Welt. Ein ganzes, etwas höher gelegenes Stadtviertel wurde deshalb abgerissen. Dieser Teil Bukarests war der erdbebensicherste der Stadt und deshalb wurde hier gebaut. Einige Jahre vorher – 4. März 1977, 21.22 Uhr, 7,2 Grad auf der Richterskala – hatte das verheerende Erdbeben in Bukarest sehr große Schäden angerichtet. Danach wurden geologische und seismische Studien durchgeführt, welche zu dieser Schlussfolgerung gelangten. Das subkrustale Erdbeben hatte sein Epizentrum in etwa 100 km Tiefe unter dem Karpatenbogen im Vrancea-Gebiet.

Ich erzähle dies, weil es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Erdbeben und „meinem“ Staudamm. Vielleicht wächst jetzt das Interesse des Lesers … Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre hatte ich im Rahmen der Kartierung von 1:50 000 Blättern des Geologischen Instituts Rumäniens die geologische Karte des Nord-Süd orientierten Alt-Tals in der unteren, südlichen Hälfte seiner Durchquerung der Südkarpaten erarbeitet. Die betreffenden 1:50000 Kartenblätter „Titeşti“ und „Călimăneşti“ wurden auch publiziert. Eines Tages rief mich der Institutsdirektor Dr. Iosif Bercia zu sich und teilte mir mit, dass die „Partei und Staatsführung“ beschlossen hatte, einen Staudamm im Alt-Tal bauen zu lassen. Er sollte gleich unterhalb des im Alt-Tal liegenden Klosters „Cornet“, also einige Kilometer nördlich von Brezoi, errichtet werden. Die kleine Stadt Brezoi liegt dort, wo der West-Ost orientierte und längste Gebirgsfluss Rumäniens – Lotru („Lauterbach“) – in das Alt-Tal mündet. Beim Unternehmen für Geotechnische Studien, wo man Gutachten für den Bau von Staudämmen erarbeitete, war eine Besprechung vorgesehen, an der ich teilnehmen sollte, um das Geologische Institut zu vertreten. Der Staudamm sollte in einem Gebiet gebaut werden, wo kristalline Gesteine (Gneise und Paragneise) aufgeschlossen waren und diese hatte ich kartiert, demnach lag es auf der Hand, mich hinzuschicken. Was ich unserem Direktor gleich sagte, war, dass dieser Staudamm genau auf einer großen Störungszone gebaut werden sollte, die etwa N-S orientiert das Alt-Tal verfolgte und dies deshalb nicht zu befürworten sei. Er meinte, dass ich mit Hilfe meiner Karten alles zeigen und erklären sollte.
An dem festgesetzten Tag begab ich mich zu dem Institut, wo die Angelegenheit in einem etwas größeren Raum besprochen wurde. Geleitet wurde alles von Professor Ion Băncilă, Mitglied der Rumänischen Akademie der Wissenschaften. Er war der bedeutendste Geotechnik-Spezialist in Rumänien. Damals war er schon etwa 80 Jahre alt. Gestorben ist er im Jahre 2001, er ist genau 100 Jahre alt geworden! Als man mich bat, erläuterte ich die Geologie des Gebietes anhand meiner Karten. Die Anwesenden waren selbstverständlich auch Geologen, aber sie waren auf Ingenieurgeologie, d.h. Geotechnik, spezialisiert. Dieses Institut hatte in dem Gebiet, in dem der Staudamm erbaut werden sollte, schon einen etwa 50 m langen Stollen im linken Hang des Alt-Flusses zu Forschungszwecken bauen lassen. So konnte man genauer sehen, wie sich die Gesteine auch in der Tiefe entwickeln, nicht nur an der Oberfläche. Die N-S Alt-Störung war damals als solche noch nicht bekannt. Durch meine systematischen Kartierungen habe ich diese in ihrem ganzen Verlauf erkannt und kartographisch dargestellt. In dem erwähnten Stollen, den ich mit einem gezielten Interesse auskartierte, weil er meiner Vermutung nach die Alt-Störung durchqueren musste, hatte ich ein brekzienartig („kataklastisch“) mechanisch zerkleinertes Muttergestein (hier ein Gneis) beobachtet, ein klarer Hinweis auf eine Störungszone. Zusätzlich konnte ich aber noch beobachten, dass dessen Matrix aus einem glasartigen, dunkel gefärbten Material bestand. Dies war ein so genannter „Pseudotachylit“. Unter „Tachylit“ versteht man ein dunkles Basaltglas, welches bei der sehr schnellen Abkühlung einer basaltischen Schmelze entsteht, z.B. durch Abschreckung im Kontakt zu Meereswasser. Ein Pseudotachylit entsteht ebenfalls aus einer Schmelze, aber nicht durch magmatische Prozesse, sondern als Folge der Reibungsenergie, welche entlang von bedeutenderen Störungsflächen bei plötzlicher Bewegung zustande kommt und dadurch Temperaturen bis 1 000 Grad Celsius erreicht werden können. Und die Schmelze erstarrt hier ebenfalls sehr rasch zu einem amorphen Gesteinsglas. Plötzliche Bewegungen dieser Art entstehen insbesondere bei Erdbeben. Die Schmelzbildung hatte also einen tektonischen und keinen magmatischen Hintergrund. Dies sind Beobachtungen, die in gewissem Sinne auch philosophische Schlussfolgerungen erlauben, und zwar handelt es sich hier um eine so genannte Konvergenzerscheinung in der Geologie – völlig unterschiedliche Prozesse können zu identischen Aspekten bzw. Resultaten führen.
Für mich war das jedenfalls ein Beweis für die größere Bedeutung, welche die Alt-Störung hatte. Es gibt nämlich viele Störungen, aber nur wenige enthalten Pseudotachylite.
Bei der Besprechung waren wir im Ganzen nur fünf Leute anwesend. Vor mir hatte ein Fachmann gesprochen, allerdings nur geotechnische Themen behandelt. Nachdem ich meine geologische Karte erläutert hatte, schlug Herr Professor Băncilă eine Pause vor. Es war schönes Wetter, und er bat uns in den Institutshof. Dieser war groß und mehrere Bäume lieferten einen angenehmen Schatten. Hier ging das Gespräch weiter, und ich erkannte ziemlich schnell eine bestimmte Tendenz. Der Staudamm sollte das Wasser in nördlicher Richtung auf einer Länge von mindestens 36 km stauen, bis zum Dorf Talmesch, schon außerhalb der Karpaten in Siebenbürgen gelegen, wobei mehrere Dörfer, die in etwas breiteren Gebieten des Alt-Tales lagen, überflutet werden mussten. Außerdem wäre das Wasser auch tief insbesondere in die rechten Nebentäler des Altes eingedrungen und hier waren ebenfalls Siedlungen. Es war mir bald klar, dass die Institutsleitung den Bau des Staudamms nicht befürwortete, sie wollte lieber 2-3 kleinere Staudämme bauen. Es ging letztendlich darum, mit welchen Argumenten man Ceauşescu, der in seinem Größenwahnsinn immer nur das Maximale wollte, davon überzeugen konnte. Dies musste herausgefunden werden! Und wir waren nicht in den Hof gegangen, um eine Pause zu machen, sondern aus Furcht vor eventuellen Abhörwanzen, die im Gebäude versteckt sein konnten.
Die ideale Stelle für einen Staudamm wäre etwas südlicher, gleich unterhalb der Mündung des Lotru-Flusses in den Alt gewesen, denn dort bildeten die hohen Felswände des Cozia-Augengneises eine enge Klamm. Aber dann wäre die Kleinstadt Brezoi überschwemmt worden und hier gab es zusätzlich auch Industrie-Standorte. Außerdem hätte sich das gestaute Wasser noch viele Kilometer weit in das Lotru-Tal ausgedehnt, wo noch einige Ortschaften lagen. Deshalb hatte Ceauşeşcu davon abgesehen, den Staudamm dort bauen zu lassen. Aber viel kleiner durfte er auch nicht werden und deshalb wusste man, dass er an Cornet festhalten würde.
Nun brachte ich im Zusammenhang mit der Entstehung der Pseudotachylite die so genannten „Fogarascher Erdbeben“ ins Gespräch. Diese sind auch rezent immer wieder zu spüren, aber ein starkes Erdbeben (6,5 Grad auf der Richter-Skala) hatte zuletzt im Januar 1916 stattgefunden und das ganze Gebiet des Alt-Tales stark betroffen: Es bildeten sich stellenweise offene Brüche an der Oberfläche und vor allem wurden schon vorhandene Störungen reaktiviert, vermutlich auch die Alt-Störung. Es handelt sich hier um sogenannte krustale Erdbeben, deren Epizentren nicht in zu großer Tiefe liegen, in unserem Fall etwa zwischen 2,5 und 45 km, welche deshalb auch einen vorwiegend lokalen Charakter haben.
Der Hinweis auf ein mögliches Erdbeben war eine sehr gute Idee, um gegen den Bau des Staudammes zu argumentieren. Im nördlichen Teil des Alt-Tales liegt die Störung nicht mehr im Tal, sondern etwas weiter im rechten Hang. Hier war es also möglich, Staudämme ohne Gefahren zu bauen. Man konnte Ceauşeşcu vermutlich überzeugen, vom Staudamm bei Cornet abzusehen und stattdessen eventuell mehrere kleine Staudämme weiter nördlich bauen zu lassen. Er hatte die Folgen des großen Erdbebens nur einige Jahre vorher in Bukarest noch lebhaft vor Augen und würde vermutlich verstehen, dass solche Kräfte den Betonstaudamm hätten zerstören können. Theoretisch hätte man ihn mit Hilfe hochkomplexer geotechnischer Methoden trotzdem bauen können, habe ich mir später erklären lassen, aber dies hätte mindestens dreimal mehr gekostet und der Bau des Staudammes hätte auch viel länger gedauert.
Ich weiß auch jetzt nicht, wieso die Leute um Professor Băncilă nicht selbst auf die Idee gekommen waren, die Erdbebengefahr in dieser Situation zu Hilfe zu ziehen. Vermutlich haben sie auch nichts von den Pseudotachyliten gewusst, denn man muss schon gewisse Kenntnisse besitzen, um in einem Gebiet, wo nur metamorphe Gesteine aufgeschlossen sind und keine Magmatite, diese als solche zu erkennen. Denn wer weiß, wer den Stollen damals kartiert hat … auf jeden Fall nicht Professor Băncilă.
Wir verabschiedeten uns in gutem Einvernehmen und ich ging auch in guter Stimmung nach Hause. Am nächsten Tag fragte mich bei mir im Geologischen Institut niemand, wie die Besprechung abgelaufen war, und die Angelegenheit beschäftigte mich eigentlich nicht mehr weiter. Ich hatte andere Dinge im Kopf. Musste meine Doktorarbeit fertig schreiben. Nach einiger Zeit traf ich zufällig einen der 3-4 Kollegen, welche an der Besprechung teilgenommen hatten, und er erzählte mir, dass es eine Begegnung zwischen Ceauşeşcu und der Institutsleitung gegeben hätte, bei der es gelungen war, ihn davon zu überzeugen, vom Bau des Staudamms in Cornet abzusehen. Und das Argument, welches er letztendlich akzeptierte, war die Erdbebengefahr …
Jetzt kann sich bestimmt niemand mehr an diese Geschichte erinnern und die Menschen, welche dort leben, haben keine Ahnung davon, wie knapp und weshalb sie einer Umsiedlung, welche ihre Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit negativ verändert hätte, entgangen sind. So ist es manchmal im Leben – man tut Gutes und kein Mensch weiß etwas davon.
Einige Jahre nach der „Wende“ von Dezember 1989 wurden in dem Gebiet nördlich von Brezoi tatsächlich zwei kleinere Staudämme gebaut. Einer liegt etwas nördlich des Klosters Cornet (aber nicht auf der Störungslinie) und ein zweiter Staudamm („Robeşti“) nordwestlich davon, etwa 1,5 Kilometer westlich des Verlaufs der Alt-Störung. In beiden Fällen wurden keine bewohnten Gebiete überflutet. In naher Zukunft sollen weiter nördlich im Alt-Tal mehrere kleinere Staudämme gebaut werden.
Dr. Horst Peter Hann
Zum Autor: Dr. Horst Peter Hann ist 1941 in Bukarest geboren, aber in Hermannstadt aufgewachsen, wo er das Brukenthal-Gymnasium besuchte. Er studierte Geologie an der Universität Bukarest, wo er auch promovierte. Danach war er am Geologischen Institut Bukarest tätig und bearbeitete hauptsächlich die Südkarpaten und teilweise auch die Ostkarpaten. Seit Anfang März 1993 lebt er in Stuttgart und begann gleich danach seine Tätigkeit am Geologischen Institut der Universität Tübingen. Im Laufe der Jahre hat er zahlreiche offizielle geologische Karten angefertigt, sowohl in den Karpaten als auch im Schwarzwald und im Bayerischen Wald. Er ist Autor zweier Fachbücher und von über 100 Publikationen in internationalen Fachzeitschriften, die mineralogische, petrographische und strukturgeologische Themen behandeln.Schlagwörter: Geologie, Geschichte, Karpaten
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