28. Januar 2008

Post aus der Vergangenheit

Wenn die Post einen Brief mit mehrtägiger Verspätung zustellt, ist man schnell verärgert und es gibt Beschwerden. Wenn der Kirchliche Suchdienst Briefe nach über 60 Jahren verschickt, gibt es meistens Freudentränen. Es sind aber auch ganz besondere Poststücke, die nach so langer Zeit an die richtige Adresse kommen.
Über 120 000 Briefe und Karten, die nach Kriegsende ihre Empfänger nicht mehr erreichten, werden noch in den Archiven des Kirchli­chen Suchdienstes aufbewahrt. Oft ein letztes Lebenszeichen aus den amerikanischen, britischen, russischen oder französischen Kriegsge­fangenlagern an die Lieben daheim. Neunzehn Zeilen mussten ausreichen, ihre Verzweiflung, Sehnsucht, Hoffnung und Liebe in einem Brief zu übermitteln. Blasse Tinte auf vergilbtem Pa­pier, manche Textpassagen geschwärzt – Zei­chen der Zensur.

Die ursprünglich über 1,3 Millionen Feldpost- und Kriegsgefangenenbriefe von in Gefangen­schaft geratenen deutschen Soldaten wurden zu einer im November 1944 eingerichteten Nach­forschungsstelle beim Postamt Berlin gesandt. In den ersten Nachkriegsjahren wurde in allen Zeitungen bekannt gegeben, dass diese Post noch vorliegt; die Briefempfänger wurden gebeten sich zu melden. Die verbliebene Kriegsgefange­nenpost hat die Bundespost (ehemalige Reichs­post) 1950/1951 den Heimatortskarteien des Kirch­lichen Suchdienstes übergeben. Die Briefe sind sortiert nach den Heimat-Wohnorten der Empfänger in den ehemaligen deutschen Ost- und Vertreibungsgebieten. Über 998 500 Briefe und Karten konnten bis heute an die Eigen­tü­mer zurückgegeben werden, und jährlich werden ca. 250 Post­stü­cke zugestellt.

Wie bei Harald F., der vor kurzem insgesamt fünf Briefe und Postkarten bekam, in denen sich sein Vater aus einem amerikanischen Gefange­nenlager voller Sehnsucht nach ihm erkundigt. Vater und Sohn haben sich nicht mehr kennen gelernt. Oder Ger­trud S., die plötzlich einen Brief von ihrer großen Liebe Anton im Postkasten findet: „Er wäre mein Ehemann geworden, hätten wir uns nicht aus den Augen verloren“. Nicht selten fügt es sich, dass Angehörige nun durch die Zeug­nisse ein bisher ungewisses Ka­pitel ihrer ganz persönlichen Ge­schichte ab­schließen können.

Waltraud Pangerl

Anfragen nach Feldpost­briefen beim Kirchli­chen Such­dienst
Telefon: (0 89) 54 49 72 01
E-Mail: ksd [ät] kirchlicher-suchdienst.de
Internet: www.kirchlicher-suchdienst.de.

Schlagwörter: Vergangenheitsbewältigung

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