17. Dezember 2012

Siebenbürgisch-sächsischer Großvater war SS-Offizier

Für ihren aktuellen Film „Die Lebenden“, der seit 23. November in den österreichischen Kinos (Informationen und Trailer unter www.dielebenden.at) läuft und ab Anfang 2013 auch in Deutschland gezeigt wird, folgt die österreichische Regisseurin und Drehbuchautorin Barbara Albert ihrer Hauptfigur Sita (Anna Fischer) auf der Suche nach Klarheit über ihre Familiengeschichte.
Ausgelöst wird diese Suche durch ein Foto, auf dem ihr siebenbürgisch-sächsischer Großvater, im Film gespielt vom bekannten siebenbürgischen Theaterregisseur Hanns Schuschnig, in SS-Uniform zu sehen ist. Von Neugier und Mut getrieben, beschäftigt sich Sita mit Schuld und Verantwortung.

Wenn die siebenbürgisch-sächsische Sprachmelodie für jemanden bisher assoziiert wurde mit Schwelgen in Erinnerungen an die alte Heimat, dem Singen von Liedern, einer bestimmten Art, Geschichten zu erzählen, dann ist es eine verstörende Erfahrung, diese Sprachmelodie aus dem Mund eines ehemaligen SS-Offiziers zu hören, der weitgehend unreflektiert von seiner Dienstzeit erzählt. Ihren vertrauten Klang behält sie, die Worte sind sorgfältig ausgewählt, es ist keine gewalttätige Sprache. Aber doch bedeutet das, was er sagt, dass er jede Schuld von sich weist. Und das, was er nicht sagt, impliziert, dass er Menschen umgebracht hat.

Die Hauptperson Sita, eine selbstbewusste junge Frau, die mitten im Leben steht, gerät in diese Situation. Und es ist ihr Großvater, den sie auf einem Videoband sprechen hört. So rückt die ganze Thematik in eine unangenehme Nähe. Fragen kommen auf: Ist das der gleiche Mensch, den ich kenne/kannte? Wieso habe ich bis jetzt nichts von alledem gewusst? Ist/war er ein schlechter Mensch? Kann ich ihm verzeihen? Muss ich ihm verzeihen? Anders als ihr Vater, der diesen Fragen stets ausgewichen ist, will Sita, gegen seinen Willen, nachforschen. Und vor allem, um ihres Seelenfriedens willen Antworten finden. Das führt sie bis nach Warschau, wo ihr Großvater in den Kriegsjahren gelebt hat, und schließlich auch nach Siebenbürgen, wo sie, geläutert von den Erfahrungen und Erlebnissen, mit ihrer Familiengeschichte ins Reine kommt.

Einen wichtigen Beitrag dazu leisten auch die Menschen, denen sie auf ihrer Reise begegnet und die ihr neue Perspektiven eröffnen: Silver, bei der sie in Warschau unterkommt, fragt zum Beispiel, was sie in den Archiven und Akten zu finden hofft: Beweise dafür, dass der Großvater schuldig ist, oder unschuldig? Oder Jocquin aus Israel, der nicht versteht, warum sich Sita für die Taten des Großvaters schämt. Genauso der Schriftsteller Michael Weiss, der Außenseiter der Familie, der einzige, der sich bisher mit der Familiengeschichte kritisch auseinandergesetzt hatte und deswegen als Nestbeschmutzer behandelt wird. Er ist es, der Sita die Videoaufnahmen des Großvaters zeigt.

Barbara Albert hat dem Publikum, uns, mit ihrem Film etwas zum Nachdenken gegeben. Auch uns, den Siebenbürger Sachsen und ihren Nachkommen. Ihr Film, den sie ganz entschieden nicht als Anklage formuliert sehen will, beleuchtet unter anderem die Täterseite, also wie der Täter sein Handeln vor sich selbst und anderen rechtfertigt. Dass der Täter Siebenbürger Sachse ist, ist mehr oder weniger Zufall: Barbara Albert, deren Familie teils aus Siebenbürgen, teils aus dem Banat stammt, hat ihre eigene Familiengeschichte einfließen lassen. Dennoch ergibt sich dadurch die seltene Gelegenheit, sich als Siebenbürger Sachse von einem Film direkt angesprochen zu fühlen. Diese kann und sollte man ergreifen. Und obwohl der Film einige Klischees aufweist, ist er, vor allem aus siebenbürgischer Perspektive, nicht einfach nur, wie es von manchen Seiten tönt, ein weiterer „Mein Großvater war ein Nazi“-Film.

Meike Kolck-Thudt

Schlagwörter: Film, Kino, Siebenbürgen, Vergangenheitsbewältigung, Geschichte

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Neueste Kommentare

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  • 18.12.2012, 22:06 Uhr von gloria: Von der einen Seite sollen wir Siebenbürger Sachsen alles was uns Böses angetan wurde verzeihen,am ... [weiter]
  • 17.12.2012, 11:16 Uhr von seberg: „...eine verstörende Erfahrung, diese (siebenbürgisch-sächsische) Sprachmelodie aus dem Mund eines ... [weiter]

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