24. Oktober 2001

'Schreift af!' - 'Schreibt auf!'

Siebenbürgisch-sächsische Mundartlesung in München
Als Erfolg dürfen die Veranstalter die im Rahmen der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2001 am 19. Oktober im Münchner Haus des Deutschen Ostens abgehaltene „Mundartddichterlesung“ buchen. Vor vollem Saal trugen nach der Begrüßung durch den Bundeskulturreferenten Hans-Werner Schuster und der musikalischen Eröffnung mit der „Romanze“ von Carl Filtsch durch Peter Szaunig fünf Autoren Lyrik- und Prosatexte im Dialekt vor: Bernd-Dieter Schobel (*1940, Hermannstadt), Hilde Juchum (*1956, Maldorf), Stefan Hann (*1929, Eibesdorf), Maria Gierlich-Gräf (*1930, Großscheuern) und Oswald Kessler (*1948, Kerz). Peter Szaunig (*1933, Kronstadt) spielte zwischen den Vorträgen neben Kompositionen von Filtsch solche von Rudolf Wager-Régeny und abschließend einige eigene eindrucksvolle Improvisationen über siebenbürgische Lieder.

Die Textproben, die das Publikum von den zum Teil in Volkstracht auftretenden Dichtern zu hören bekam, lebten durchwegs von bewährten Tugenden siebenbürgisch-sächsischer Mundartdichtung, wie sie einst in der Wesensart der Siebenbürger Sachsen begründet waren, in den Mundartwendungen vorgegeben sind und von den „Klassikern“ der Mundartdichtung – Seiwerth, Kästner, Schuster „Dutz“, Reich u.a. – bis in unsere Tage geprägt wurden. Dazu gehört vor allem der Humor, von dem Bernd-Dieter Schobels „Ä Kopesch“ („In Kopisch“) ebenso lebt wie Hilde Juchums „De licht Schwijer“ („Die böse Schwiegermutter“) oder Maria Gierlich-Gräfs köstliches Prosastück vom Kaiser-Franz-Joseph-Porträt als Gelddepot.
Dazu gehört aber auch der getragene Ton sächsischer Selbstporträtierung, wie er in Stefan Hanns „Mottersproch“ („Muttersprache“), „De old Londj“ („Die alte Linde“) oder in Gierlich-Gräfs „Noch oist se mer zesumme kun“ („Noch einmal sind wir zusammen gekommen“) aufklingt. Nicht zuletzt auch das in der Hochsprache nicht – oder nicht mehr – anzutreffende Wort oder die Wortprägung, oft die Würze siebenbürgisch-sächsischer Mundartdichtung. Denn wo von der „häener Grun" (dem „hängenden Schnurrbart“), von der „Akkes“ („Axt“), von „zanirscht“ („zuerst“), „ezet“ („jetzt“) und vom „Bäsch“ („Wald“) die Rede ist, begegnet der Kenner eben jener mundartlichen Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit, die zu pflegen, solange es geht, allemal verdienstvoll ist.
Sehr bewusst nutzt Oswald Kessler die Mundart als beschwörendes Medium siebenbürgisch-sächsischer Stimmungsspezifika; sein balladeskes „De Bäschfrä“ („Die Waldfrau“) ist dafür ein Paradebeispiel. Kessler las auch Michael Astners schönes Gedicht „Gras“.
Der Abend bot nicht allein die Begegnung mit Mundartdichtern, er veranschaulichte zugleich in konzentrierter Form Charakteristika sächsischen Selbstverständnisses. Es gibt ein eigenstämmiges, im Hochdeutschen nicht mehr mögliches Pathos im Sächsischen, das fast durchwegs in den Rezitationen zum Klingen kam. Es wird dem an moderne Lyrikklänge gewöhnten Ohr erträglich durch den Humor, der der siebenbürgisch-sächsischen Vorstellung von dichterischer Sprache eignet. Hinzu kommt, dass die Mundart eine menschliche Wärme der Nähe zum Realen verbürgt, von der sich die Hochsprache ihrem Wesen nach distanziert. Diese Nähe sichert der Mundart einerseits jene Unmittelbarkeit des Ausdrucks, die „geradewegs“ aus dem Volk kommt, und sie unterbindet andererseits auf wohltuende Weise alles literarische Star(un)wesen.
Wie lange siebenbürgisch-sächsische Mundart noch Bestand haben wird, stand – bewußt, unbewußt – als Frage im Raum. Der von Karin Servatius-Speck den siebenbürgisch-sächsischen Mundartpoeten nahegelegten Aufforderung „Schreift af!“ („Schreibt auf!“) kommt doppeltes, dreifaches Gewicht zu: Es wird ja nicht nur eine der vielen auf der Erde ausklingenden Mundarten ein letztes Mal „aufgeschrieben“, sondern mit ihr werden zugleich Lebensinhalte und Lebenshaltungen dokumentiert, die mit ihr für immer verschwinden – Mundart als historisches Zeugnis ersten Ranges.
Die sanglichen Filtsch-, die spröden Wagner-Régeny-Kompositionen und die melodische Erinnerungsfracht der Szaunig-Improvisation fügten sich nahtlos ins musische Programm des aufschluss- und beziehungsreichen Münchner Abends.

Hans Bergel



Weiterführende Verweise zum Thema Mundart:
Sprachbilder in siebenbürgisch-sächsischer Mundart
Sächsischer Literaturkreis im Aufwind
Den 'Windbruch' erfahren und in die Sprache geholt

Schlagwörter: Kulturtage, Kulturtage 2001, Kulturprogramm, Kultur, Mundart, Mundartautorin

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