11. April 2012

"Gegen den Ausverkauf unserer Werte": Richard Wagner zum 60. Geburtstag

Wenn vom 26. bis 28. April 2012 in Temeswar eine internationale Tagung unter der Überschrift „40 Jahre „Aktionsgruppe Banat“. Akteure und Texte – Mitstreiter und Begleiter“ stattfindet (siehe Ankündigung in dieser Zeitung), so erfolgt dies wenige Tage nach dem 60. Geburtstag von Richard Wagner, der, damals selbst erst zwanzig Jahre alt, die weltanschauliche Richtung und das literarische Profil dieser bei ihrer Gründung noch sehr jungen Autorengruppe maßgeblich mitgeprägt hat. Richard Wagner wurde am 10. April 1952 in Lowrin im Banat geboren.
Natürlich wurde seinerzeit über die zu vertretenden Positionen, die literarischen Mittel und Maßstäbe, manchmal sogar über einzelne Zeilen und Verse intensiv und nicht selten kontrovers diskutiert. Richard Wagners Argumente und Sichtweisen hatten stets ein besonderes Gewicht. Er galt als die unbestrittene intellektuelle Autorität und Führungspersönlichkeit der „Aktionsgruppe Banat“ und später als ein zentraler Akteur der rumäniendeutschen Literatur, wobei dies auch von der politischen Polizei Rumäniens, der Securitate, und ihren willfährigen, heute einschlägig bekannten Kollaborateuren auch unter deutschen Schriftstellern, natürlich nicht unbemerkt blieb.

Heute, so kann man dem sicherlich hinzufügen, zählt Richard Wagner zu dem recht überschaubaren Kreis deutschsprachiger Schriftsteller und Intellektueller, die sich, in der besten Tradition der abendländischen Kultur, mit großer Überzeugungskraft, Geistesreichtum und sprachlicher Fertigkeit für deren Werte und Lebensordnung einsetzen. Die Vielzahl an Büchern und anderen Arbeiten, die in den letzten vier Jahrzehnten von Richard Wagner vorgelegt wurden, ob es nun Gedichtbände, Prosatexte, Romane oder essayistische Bände oder zeitkritische Beiträge sind, belegen dies gleichermaßen originell wie nachhaltig eindrucksvoll.

Als Aufklärer von Securitate-Verstrickungen nimmt ...
Als Aufklärer von Securitate-Verstrickungen nimmt Richard Wagner auch persönliche Einbußen in Kauf, hier als Angeklagter in einem Securitate-Prozess beim Landgericht München im Januar 2011. Foto: Konrad Klein
So kann der 2003 erschienene Band „Der leere Himmel. Reise in das Innere des Balkan“ gleichsam als eine „andere“ Geschichte Südosteuropas gelesen werden. Dem Buch gelingt die Annährung und Erschließung des „Inneren des Balkan“ in ebenso kenntnisreicher wie faszinierender Weise, indem gerade aus Bruchstücken, aus Randgeschichten, mit gründlichem historischem Tiefenblick, mit eindringlicher Beobachtungsgabe und analytischer Gedankenschärfe, aber auch mit subjektiv angereicherten Reflexionen entwirrt und veranschaulicht wird, was von den vielen Facetten des Balkans zu erklären und zu verstehen oder was nur intensiv zu beschreiben, aber kaum zu begreifen ist.

Richard Wagner zählt, wie nicht zuletzt seine Bücher „Der deutsche Horizont. Vom Schicksal eines guten Landes“ (2006) und „Es reicht. Gegen den Ausverkauf unserer Werte“ (2008) zeigen, zu jenen deutschen Gegenwartsschriftstellern, die sich regelmäßig neben ihrer literarischen Arbeit nahezu mit gleicher Vernehmbarkeit und ähnlichem Gewicht auch als Intellektuelle artikulieren. Seine Stellungnahmen fallen durch eindringliche Beobachtungen, fundierte Sachkenntnis, unbestechliche Kritik und ein unverwechselbares Urteil auf. Seine Überlegungen werden vielfach im Sinne eines konsequenten Eintretens für die Werte der Demokratie und Freiheit entwickelt, die sich für ihn nicht nur mit weitgehender intellektueller Unabhängigkeit und Selbstverantwortung des Individuums verbinden, sondern deren Ursprung und Grundlage auch immer wieder in der historischen und geistesgeschichtlichen Tradition des abendländischen Rationalismus und der europäischen Aufklärung verortet werden. Insofern macht er uns auch nachdrücklich bewusst, dass das Schicksal Deutschlands unverbrüchlich in der westlichen Wertegemeinschaft verankert ist – und dass man gegen den „Ausverkauf“ dieser Werte der eigenen Kultur intellektuell einstehen muss. Mit scharfsinniger Beobachtungsfähigkeit und teilweise beißender Ironie werden von ihm daher auch der stupide Konsumismus, der fortschreitende Bildungsverfall, die Nivellierung und Trivialisierung der Kultur, der Zwang zur oft lächerlichen Selbstinszenierung, die problematische Medienmacht und andere fragwürdige Zeiterscheinungen in der deutschen Gegenwartsgesellschaft kritisiert. Er setzt sich dabei ebenso mit den Gefahren der kulturellen Selbstvergessenheit und der hypermoralischen Selbstzweifel wie auch der externen Bedrohungen, nicht zuletzt durch religiöse und ideologische Fundamentalismen, aber z.B. auch durch demographische Entwicklungen oder internationale Asymmetrien, auseinander und fordert eine entschiedene Rückbesinnung auf die eigene „Identität“ und ihre kulturellen Fundamente ein.

Dies gelingt meisterhaft und von einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland endlich auch entsprechend gewürdigt in dem 2011 erschienenen, zusammen mit Thea Dorn verfassten Buch über „Die deutsche Seele“. Darin werden vielfältige eindringliche Streifzüge durch die deutsche Geschichte und Geistesgeschichte und ihre „Lebenswelten“ unternommen. Die Auslotung der „deutschen Seele“ erscheint zugleich als Rekonstruktion jener etwa durch die Reformation oder deutsche Romantik folgenreich eingebrachten Wertideen und Veränderungen der „Weltbilder“ in der deutschen Ideen- und Geistesgeschichte, die in der Gestalt normativer Vorstellungen wie institutioneller Weichenstellungen, aber auch in unmittelbarer Wirkung einzelner Persönlichkeiten und ihres Denkens, unübersehbaren Einfluss auf die Wertorientierung und Verhaltensweisen, Weltanschauungen und Gemütszustände und damit letztlich auch auf die typischen „Lebenswelten“ der Deutschen genommen haben. Zunächst gelten die Blicke und Reflexionen den Belangen und vielfältigen Erscheinungsformen der „deutschen Seele“ selbst, ohne dass allerdings auf mal einfühlsame, mal würdigende oder stolze, mal ironische, mal beschämte und bedrückte Wertungen verzichtet würde.

Wie bereits in seinem Roman „Habseligkeiten“ (2004) zeigt sich Richard Wagner auch in seinem letzten, 2011 erschienenen Buch „Belüge mich“ als ein Prosaautor, der nicht nur vielschichtig, eindringlich und spannend schreibt, sondern seine Erzählungen auch überzeugend historisch und zeithistorisch einzubinden und gesellschaftskritisch zu entwickeln vermag. Komplizierte Identitätsfragen sowie Zeit- und Milieubezüge bündeln sich dabei in einer spezifischen Weise auch und nicht zuletzt in den Gestalten von Geheimdienstagenten und Spitzeln, deren Biographien so angelegt erscheinen, dass sie gleichsam einen „Schlüssel“ für das Verständnis von Kontinuitätslinien über historische Umbrüche, Systemwechsel und Staatsgrenzen hinweg bieten. Die Enthüllung des Romans „Belüge mich“, dass deutsche Aussiedler, auch nachdem sie in die Bundesrepublik Deutschland kamen und sich hier etablierten, weiterhin – aus welchen Motiven auch immer – Informanten oder Agenten der Securitate blieben, sollte nicht nur als ein gewisser „Tabubruch“ und leider auch nicht nur als eine freie literarische Erfindung gelesen werden, sondern als ein skandalöser Sachverhalt, dessen gründlichere Aufklärung und wissenschaftliche Bearbeitung allerdings noch weitgehend ausstehen. Es dämmert uns langsam, dass noch viele verschlüsselte Akten zu lesen und Fälle zu enthüllen sind, um dieses dunkle Kapitel der Machenschaften der Securitate und der Verstricklungen ihrer Helfer und Helfershelfer, die sich auch und nicht zuletzt unter deutschen Aussiedlern und „Literaten“ finden, konsequent aufdecken und aufklären zu können. Nur so kann man erreichen, nicht in einem dauerhaften Zustand des „Belogenseins“ zu verbleiben, gegen den Richard Wagner als Schriftsteller und Intellektueller seit Jahrzehnten so entschieden kämpft.

Anton Sterbling

Schlagwörter: Kultur, Banat, Literatur, Securitate

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