22. Januar 2013

Zum Tod des Organisten Helmut Plattner

Mit Helmut Plattner hat der Letzte des fast schon legendären Organisten-Dreigestirns Kurt Mild (1914-2008), Helmut Plattner (1927-2012) und Horst Gehann (1928-2007) die Orgelbank für immer verlassen und den Dirigentenstab niedergelegt. Plattner ist nicht nur einer dieses leuchtenden Dreigestirns, er ist auch ein Stern erster Größe in einer langen Reihe siebenbürgischer Organisten und Kirchenmusiker, wie wir sie seit dem 13. Jahrhundert in Siebenbürgen kennen.
Verfolgen wir die Entwicklung des siebenbürgisch-sächsischen Musiklebens seit seinen Anfängen, stellen wir fest, dass sich die Orgel als Musikinstrument, die Orgelmusik in ihrer liturgischen Funktion und als Genre der Tonkunst sowie das Orgelspiel seit jeher und bis in die Gegenwart großer Beliebtheit, besonderer Hochschätzung und eifriger Pflege erfreuten; ja, das Orgelspiel kann neben Gesang und Chorwesen geradezu als charakteristisches Merkmal des siebenbürgischen Musiklebens gelten. So kam es, dass mancher „von Jugendt auff bey der Orgel ertzogen“ wurde, wie es von Georg Ostermayer (1530-1572) hieß. Denn Siebenbürgen hat im Lauf der Jahrhunderte nicht nur herausragende Organisten aus dem deutschsprachigen Ausland beschäftigt – zuletzt Bönicke, Bella und Dressler –, sondern selbst auch bedeutende Vertreter dieses Fachs hervorgebracht, wie die drei Genannten oder vor ihnen Daniel Croner, Martin Hammer, Johann Copony, Petrus Schimert, Rudolf Lassel, Piroschka Metz oder Karl Theil. Sie alle, wie auch die heutigen Organisten in der Nachfolge, sind als vielseitig tätige, umfassend und in die Breite wirkende Musiker zu bezeichnen, sie waren und sind, einer alten Tradition folgend, nicht nur liturgische und konzertierende Organisten, sondern auch Chorleiter, Dirigenten, Kammermusiker, Pädagogen und Komponisten. So hat auch Plattner in allen seinen Wirkungsstätten Kantaten, Motetten und Oratorien dirigiert, ist kammermusikalisch am Cembalo aufgetreten, hat unterrichtet und komponiert.
Helmut Plattner (1927-2012) ...
Helmut Plattner (1927-2012)
Plattner steht also in einer langen, charakteristischen Tradition. Geboren in Hermannstadt am 31. März 1927 als Sohn des Rechtsanwalts Dr. Fritz Plattner und der aus Lechnitz in Nordsiebenbürgen stammenden Melitta, geborene Fabritius, lernte er seit frühem Alter Orgel, Musiktheorie, Harmonielehre und Kontrapunkt bei dem aus Aussig gebürtigen Karl-Straube-Schüler Franz Xaver Dressler (1898-1981), Organist, Kantor, Dirigent und Komponist in Hermannstadt. (Durch Dresslers Hände sind übrigens fast alle nachmals namhafte Organisten der nächsten Generation – auch Dirigenten und Komponisten – gegangen; Dressler war, um im Bild zu bleiben, der Fixstern, um den sich alles drehte. Diese Rolle des Mentors, Lehrers und Wegweisers kam in Kronstadt dem Kantor, Organisten, Dirigenten und Pädagogen Victor Bickerich [1895-1964] zu.) Der junge Plattner nahm bereits aktiv am Musikleben Hermannstadts teil und war Mitglied in Dresslers Brukenthal-Chor, dort dann auch „Chorpräfekt“. Plattner gehörte zu den letzten Musikern, die aus dem Umfeld eines traditionsgetragenen, im Großen und Ganzen noch intakten, autarken und prägenden siebenbürgischen Musiklebens hervorgegangen sind (zerschlagen wurde dieses reiche, vielgestaltige, intensive Musikleben erst nach dem Krieg).

Nach seinem Musikstudium an der Bukarester Musikhochschule (von 1946 bis 1953) nahm Plattner Orgelunterricht bei Jiri Reinberger in Prag und auch weiter bei Dressler, denn er hatte im Hauptfach Klavier studieren müssen, da es das Fach Orgel damals noch an keiner Lehranstalt in Rumänien gab. In Deutschland zu studieren, hatten ihm die kommunistischen Behörden verwehrt. Er hatte Berlin im Auge gehabt, wo vor dem Krieg Mild studiert hatte. Erst 1955 war es möglich, in Bukarest eine „Konzertprüfung“ im Fach Orgel abzulegen und 1966 das Orgel-Staatsexamen nachzuholen. Eine rege Konzerttätigkeit Plattners schloss sich an, wobei er auch bei der rumänischen Bevölkerung und in den rumänischsprachigen Landesteilen großen Zuspruch erhielt und ungewöhnliche Erfolge feierte. 1958 kam er preisgekrönt vom renommierten Internationalen Orgelwettbewerb in Prag zurück. So wurde er sehr bald zum Vorzeigeorganisten Rumäniens. Die Bukarester Staatsphilharmonie stellte ihn als Pianisten und Organisten ein, die Musikhochschule berief ihn als Lehrer für das nun neu eingerichtete Fach Orgel. Seine Tätigkeit als Kantor und Organist an der Bukarester evangelischen Kirche (im rumänischen Volksmund „deutsche Kirche“ genannt) brachte ihm jedoch oft politische Unannehmlichkeiten ein, denn staatlich angestellte Musiker durften nicht gleichzeitig in Kirchen Dienst tun. Als mit der Zeit die Lebens- und Berufsumstände, die politische und ideologische Bevormundung und Verfolgung, die ständige Überwachung bis in das Privatleben hinein, die radikale Beschneidung persönlicher und geistiger Freiheiten und die ethnischen Diskriminierungen und Belästigungen unerträgliche Ausmaße annahmen, sah sich auch Plattner, wie die meisten Deutschen Rumäniens, die sich vom kommunistischen rumänischen Staat hinausgeekelt fühlten, veranlasst, nach Deutschland auszusiedeln.

Plattner kam zunächst 1973 als Organist und Kantor an der Neuen Pauluskirche in Essen unter. Hier leitete er auch den Heinrich-Schütz-Chor und unterrichtete an der Gesamthochschule. Er war nun frei, seine Konzerttätigkeit als gastierender Organist auf ganz Deutschland und Westeuropa auszudehnen, während er bis dahin nur in den Ostblockländern (Sowjetunion, DDR, CSSR, Polen, Jugoslawien, Ungarn) konzertieren durfte. 1976 wechselte er nach Bayreuth als Bezirkskantor, Organist an der Stadtkirche und als Dozent für künstlerisches und liturgisches Orgelspiel an der Fachakademie für Evangelische Kirchenmusik. Der Landeskirchenrat verlieh ihm den Titel eines Kirchenmusikdirektors. Er gründete den Orgelzyklus, den Orgelmonat und den Kantatenkreis (mit Kammerorchester). Es ist noch anzumerken, dass Plattner Wohltätigkeitskonzerte zugunsten der „Siebenbürgen-Hilfe“ gegeben hat und dass neben dem gesamten Orgelmusikschaffen aller Stilrichtungen Werke von Komponisten aus Südosteuropa und Siebenbürgen – auch von rumänischen Autoren – zu seinem Repertoire gehörten.

Als Komponist ist Plattner mit Werken für Orgel und für Cembalo sowie mit Kantaten hervorgetreten. Sein interpretatorisches Wirken ist nur unzureichend dokumentiert. Es existieren Rundfunkaufnahmen beim Bukarester, Brünner, Westdeutschen und Hessischen Rundfunk.

Schallplattenaufnahmen halten sich in Grenzen, was umso mehr zu bedauern ist, als er mehrfach in zyklischen Konzertdarbietungen das Gesamtorgelwerk von Johann Sebastian Bach vorstellte.

Der Interpretationsstil Plattners hingegen wurde in der Presse und in anderen Publikationen oft beschrieben: Wir lesen in Blättern vieler deutscher Städte und europäischer Metropolen charakterisierende Prädikate wie „klares, durchsichtiges und ausdrucksvolles Spiel“, „ungemein überlegt, beherrscht und doch zugleich vital und unkonventionell“, „Disziplin, Konzentration und ausgewogene Gestaltung“, „hohes technisches Niveau“ bei gleichzeitiger „ungewöhnlicher musikalischer Feinfühligkeit“, „suggestive Kraft“, „strenge Logik“, „Eleganz der Technik“ und „unerhört reicher, sensibler Klangsinn“, „verinnerlichte Geistigkeit“, „zwingender Ernst“, „wahre Orgelkunst“. Dass Plattner immer alles auswendig spielte, selbst die Registrierung vornahm und nie einen Registranten bei sich hatte, vergisst kaum ein Rezensent zu erwähnen. Für Prag war Plattner ein „Organist von Weltklasse“, für Hamburg ein „Organist von hohem Rang“, für Riga „einer der besten Organisten unserer Zeit“, für Bukarest „ein ganz großer Organist“, in Berlin „zeigte Plattners Spiel in jeder Hinsicht meisterliche Beherrschung des Instruments“.

1992 trat Plattner in den Ruhestand, konzertierte noch gelegentlich und besorgte das Orgelspiel im Gottesdienst verschiedener Kirchen. Der Sohn, Dr. Dankwart Plattner, setzte die Zeitung vom Ableben seines Vaters in Kenntnis. „Er ist in den frühen Morgenstunden des 29. Dezember 2012 sanft entschlafen“, schreibt er.

Es bleiben kostbare, dauerhafte Erinnerungen an denkwürdige Orgelabende, an ein breites bedeutendes Wirkungsspektrum, an herausragende künstlerische Leistungen, es bleiben die in die Zukunft wirkenden Impulse, es bleibt ein repräsentatives Künstlerprofil, es bleiben das dokumentarische Vermächtnis und eine musikhistoriographische Präsenz. Ergänzende monographische und verbindende Darlegungen sind zu finden in: Beiträge zur Musikgeschichte der Siebenbürger Sachsen, Band III (Gehann-Musikverlag, Darmstadt); Siebenbürgische Zeitung vom 31. März 2007: "Die bemerkenswerte Frucht eines Musikerlebens: Helmut Plattner wird 80", vom 15. September 2000, 15. März 1991, 20. März 1988, 15. August 1987, 15. April 1982, 31. August 1976; Allgemeine Deutsche Zeitung für Rumänien vom 7. Mai 2004; Musikzeitung der GDMSE (München), November 2004; Neuer Weg vom 25. April 1970.

Karl Teutsch

Schlagwörter: Musiker, Nachruf, Orgeln

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