29. Januar 2017

Zum Ableben der ehemaligen Bundesfrauenreferentin Ortrun Scola

Am 8. Januar ist in Pullach bei München, kurz vor ihrem 94. Geburtstag am 13. Februar, Ortrun Scola verstorben. In der Todesanzeige der Familie heißt es: „Wir trauern um den Mittelpunkt unserer Familie (...)“. Drei Söhne und eine Tochter mit Ehegatten, zehn Enkel und fünfzehn Urenkel zählt die Nachkommenschaft Ortrun Scolas! Noch im vergangenen Februar erzählte sie mir freudig und stolz am Telefon, dass zur Geburtstagsfeier am 13. Februar wie jedes Jahr viele aus der ganzen Republik und aus dem Ausland anreisen würden. Zum „Mittelpunkt“ eben. Liebe, Verantwortung und ein stets lebhaftes Interesse am Gedeihen, Fortkommen und an der Entwicklung ihrer so zahlreichen Nachkommen ließ sie zu einem Kraftzentrum der Familie werden. Dass alle ihre Kinder und Enkel eine gehobene Berufsausbildung erfahren haben, ist sicher nicht zuletzt dem Streben einer tatkräftigen Mutter gut zu schreiben. Ihre Tatkraft hat sie aber auch zu einer Persönlichkeit werden lassen, die einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist, in der sie über Jahre eine gemeinschaftsstiftende und -erhaltende Rolle auszufüllen verstand.
In drei Ländern hat Ortrun Scola gelebt, aus der überschaubaren Welt Siebenbürgens trugen die wechselvollen politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts sie in die Welt. Als der Vater, Dr. Helmut Wolff, nach dem frühen Tod seiner Frau 1933 mit seiner Zahnarztpraxis aus Bistritz nach Hermannstadt übersiedelte, war seine Tochter Ortrun erst zehn. Ortswechsel bestimmten ihre Entwicklung bereits während ihrer Kindheit und Jugend: Bistritz, Schäßburg und Hermannstadt waren Stationen.

Mit 15 Jahren kam sie nach Kassel-Wilhelmshöhe auf die „Frauenschule“ und danach auf die „Akademie für Jugendführung“ nach Braunschweig. Den Ende der 1930er und Mitte der 1940er Jahre üblichen „völkischen Pflichtdienst“ leistete sie nach ihrer Rückkehr in Reschitza und im „Warthegau“ ab. Bei Verwandten lernte sie den jungen aus dem Elsass stammenden Medizinstudenten Martin Gotthelf Scola kennen. Als der nach einer Verwundung von der Wolchow-Front zurückkam, heirateten die beiden und die 19-Jährige ging mit ihm nach Innsbruck, wo er sein Medizinstudium beendete. Ihre beiden ersten Söhne wurden geboren. 1947 ging Dr. Martin Scola im Auftrag der Schweizer Firma Sandoz nach Venezuela, wo er als staatlich anerkannter Landarzt der Universitätsstadt Merida in den Anden eingesetzt wurde. Auch dort wechselte die junge Familie mehrfach den Wohnort. Zwei weitere Kinder, ein Sohn und eine Tochter, kamen auf die Welt und die vierfache Mutter musste auch zum Familienunterhalt beitragen: Sie richtete 1950 in der Nähe von Caracas ein Erholungsheim für europäische Kinder ein, das ihr Mann medizinisch betreute und das sie bis 1956 leitete, dem Jahr der Rückkehr der Familie im Hinblick auf die schulische Ausbildung der eigenen Kinder nach Österreich. In Sankt Florian bei Linz gründete sie, tatkräftig und selbstständig wie sie inzwischen geworden war, unter ärztlicher Leitung eine Baby-Pension, die sie bis zu ihrer „Auswanderung“ 1971 nach München führte. Die 48-Jährige wollte näher zu ihren in der Bundesrepublik studierenden Kindern ziehen, denn ihr Mann war inzwischen nach Venezuela zurückgegangen.

Ortrun Scola ...
Ortrun Scola
In ihrer späteren Münchner Rentenzeit hat sie aber keineswegs die Hände in den Schoß gelegt, sondern kehrte nach so wechselvollen „Welten-Jahren“ gewissermaßen zu ihren geistigen Wurzeln zurück: Bereits 1978 übernahm sie in München das siebenbürgisch-sächsische Frauenreferat der Landesgruppe Bayern, das sie bis 1982 leitete. Im selben Jahr wurde sie zur Frauen- und Familienreferentin der damaligen Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland gewählt, ein Amt, das sie zehn Jahre lang, bis 1992, innehatte. In beiden Ehrenämtern vertrat sie in deren Vorstand und auch beim Deutschen Frauenrat oder beim Bund der Vertriebenen die Anliegen der siebenbürgisch-sächsischen Aussiedlerfrauen in Deutschland. All die größeren und kleineren vielfältigen Aktivitäten und Veranstaltungen, die sie während ihres Ehrenamts auf Landes- und Bundesebene initiierte und leitete, an dieser Stelle aufzuzählen, würde mehrere Seiten in Anspruch nehmen. Die Palette reicht von Trachtennäh- und -stickseminaren über Ausstellungen zu Kunst und Kultur der Siebenbürger Sachsen bei den Heimattagen in Dinkelsbühl, bei den Ostdeutschen Kulturtagen, bei den Veranstaltungen anderer Vertriebenenverbände, beim Deutschen Frauenrat bis hin zu organisierten Trachtenumzügen (z. B. 1982 erstmalig die Teilnahme einer Trachtengruppe beim Münchner Oktoberfest).

Das Niveau der jährlichen Tagungen der Frauenreferentinnen in den verschiedenen Bundesländern steigerte sie durch Einladungen zu Vorträgen von Fachleuten über Themen der Volkskunst und des Brauchtums, der Literatur und bildenden Kunst. 1984 unternahm sie mit den Frauenreferentinnen eine Reise zu den Kirchenburgen in Siebenbürgen. Als nach der Wende die Zahl der Aussiedler sprunghaft anstieg, organisierte sie mehrere Seminare im Hinblick auf deren Eingliederung, wobei sie, logischerweise, die unverzichtbare Rolle der Aussiedlerfrauen für die Integration der Familie, vor allem der Kinder und Jugendlichen, im Auge hatte. Dazu lud sie auch Experten ein, die über schulische Integrationsprobleme oder rechtliche Fragen referierten, und sie setzte dabei auf die multiplikatorische Funktion der Landesfrauenreferentinnen.

Die „welterfahrene“ Ortrun Scola war bei den Veranstaltungen siebenbürgisch-sächsischer Frauen in Deutschland zur eigenen Kulturgeschichte aber auch stets bestrebt, diese mit Vorträgen zur Kultur und Geschichte Deutschlands und mit Exkursionen in der neuen Heimat zu verbinden, wie die Besuche des „Museums für Deutsche Volkskunde“ in Berlin, der „Herzog-August-Bibliothek“ in Wolfenbüttel oder des VW-Werks in Wolfsburg beispielhaft belegen. Und meist wurden die Seminare in den verschiedenen Bundesländern auch mit Stadtbesichtigungen verbunden. „Praktischen Heimatkunde-Unterricht“ nannte sie das.

1990 gab Scola zusammen mit Annemarie Schiel ein schönes Buch über „Siebenbürgisch-sächsische Frauengestalten“ heraus. Erklärte Absicht: mit den Ausgewählten stellvertretend auch der Bedeutung der vielen Namenlosen für die wirtschaftliche, moralisch-erzieherische Entwicklung der Gesellschaft ein Denkmal zu setzen, denn der gemeinschaftsfördernden und -erhaltenden Rolle der Frau sei über Jahrhunderte hinweg die öffentliche und historische Wertschätzung nicht zuteil geworden. Ortrun Scola ist solche jedoch zuteil geworden: Für ihre vielfältige Arbeit wurde sie mit dem Goldenen Ehrenwappen des Verbandes der Siebenbürger Sachen ausgezeichnet. Man kann sagen, sie hat zum richtigen Zeitpunkt siebenbürgische Frauen bei ihrer Integration in Deutschland engagiert und gleichzeitig weltoffen begleitet.

Zwei andere wichtige und viel beachtete Bild- und Textbände gehen auf Ortrun Scolas Initiative zurück, für die sie jahrelang Mühe und Überzeugungsarbeit nicht gescheut hat: „Die Festtracht der Siebenbürger Sachsen“ (1987) und „Das Dorfleben der Siebenbürger Sachsen“ (1991), beide erschienen unter wissenschaftlicher Mitarbeit der Volkskundlerinnen Gerda Bretz-Schwarzenbacher und Rohtraut Sutter-Acker im Münchner Callwey Verlag. „Exakte Methodik“ und „Verlässlichkeit der Dokumentation“ bescheinigte die Kritik diesen Arbeiten.

Dass man an Verstorbene erinnere, sei nicht bloß eine Frage der Tradition, sondern Sache affektiver Bindung, kultureller Formung und bewussten, den Bruch überwindendenden Vergangenheitsbezugs der Gegenwart für die Zukunft, heißt es in der Forschung. Solches mag Trost für alle sein, die um Ortrun Scola trauern.

Gudrun Schuster

Schlagwörter: Kultur, Nachruf, Frauen, Brauchtum, Aussiedlerfragen

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