14. November 2021

"Ein ewiges Staunen vor der Schönheit der Welt": Nachruf auf die Kunsthistorikerin und Museologin Karin Bertalan

Am 3. Oktober verstarb Karin Bertalan, deren Leben und Wirken Spuren in der Kunst- und Museumsgeschichte sowohl ihrer siebenbürgischen Heimat als auch in der württembergischen Wahlheimat hinterlassen hat. In ihrer Person verband sich die akribische Wissenschaftlerin mit einem musisch vielseitig kreativen Geist, sie hat beispielhaft die Wertevorstellungen und das ästhetische Empfinden des siebenbürgisch-sächsischen Bürgertums ihrer Herkunft gelebt.
Karin Bertalan (links) führt in eine Ausstellung ...
Karin Bertalan (links) führt in eine Ausstellung von Sieglinde Bottesch mit Illustrationen zu siebenbürgisch-sächsischen Sagen und Sprichwörtern ein (München 1989). Foto: Konrad Klein
Mit diesem geistig-moralischen Anspruch war es kein Leichtes, sich im Getriebe gesellschaftlich-totalitärer Entwicklungen im kommunistischen Alltag der 1950er bis 1970er Jahre in Rumänien zurechtzufinden, mehr noch, unter solchen Umständen auch beruflich wichtige Leistungsakzente zu setzen. Später, ab Mitte der 1980er Jahre galt es dann auch noch, den beruflichen und gesellschaftlichen Neuanfang in Deutschland zu meistern.

In Karin Bertalans Leben spiegeln sich die Herausforderungen der historischen Ereignisse in der Sozialistischen Republik Rumänien im 20. Jahrhundert. Sie lenkten zum Teil ihren beruflichen Werdegang und markierten auch viel Privates im Leben des Künstlerehepaars Karin und Stefan Bertalan. Vieles davon steht beispielhaft für die ganze Generation von siebenbürgischen Intellektuellen, der sie angehörte, auch für deren Willenskraft, das Leben sinnstiftend zu meistern.

Karin Elisabeth Sontag wurde am 5. September 1936 als Tochter des Arztes Hermann Sontag und dessen Ehefrau Ilse in Hermannstadt geboren. Die Kindheit verbrachte sie zwischen Hermannstadt und Bukarest - dem großelterlichen Anwesen im beschaulichen Hermannstadt und der Großstadt Bukarest, in der ihr Vater von 1934 bis zum Kriegsende 1944 tätig war. Dieser frühe Kontakt mit dem rumänischen großbürgerlichen Milieu in der Landeshauptstadt, zu dem später die Bildungsjahre an einer rumänischen Mädchenschule hinzukamen, brachten der jungen Sächsin die rumänische Kultur und Lebensweise näher und sicherten ihr als Kunsthistorikerin später einen besonderen Zugang zur rumänischen Kunst der Avantgarde. Es folgte das Studium der Malerei und Kunstgeschichte an der Kunstakademie „Ion Andreescu“ in Klausenburg (1956-1962), wobei die Persönlichkeit des überragenden Kunsthistorikers Virgil Vătășianu für ihren Werdegang richtungsweisend wurde. Jedoch riss auch hier im ungarisch geprägten Klausenburg der Kontakt zur sächsischen Diaspora-Gemeinde nicht ab, die junge Hermannstädterin sang im evangelischen Kirchenchor mit, beteiligte sich an der von Professor Kurt Mild koordinierten Inszenierung der Johannes-Passion (J. S. Bach), deren Aufführung die kommunistische Partei jedoch zu verhindern wusste.

Nach Studienabschluss im Jahr 1962 heiratete Karin Sonntag ihren Studienkollegen, den Maler und Graphiker Stefan Bertalan (1930-2014) und ging mit ihm nach Temeswar, wo beide noch im gleichen Jahr ihre Lehrerlaufbahn an der Mittelschule für Musik und bildende Kunst begannen. Während Stefan eine beeindruckende Künstlerkarriere gelang, die ihn zu einem führenden, national wie international anerkannten Vertreter seiner Generation der rumänischen Kunstavantgarde (Konstruktivismus, Kinetismus) werden ließ, zog Karin 1966 mit dem 1963 geborenen Sohn nach Hermannstadt, übernahm dort die Pflichten des großen Haushalts in der elterlichen Villa, die sie auf dem Weg ihrer wissenschaftlichen Karriere am Brukenthalmuseum mit zu bewältigen hatte.
Eine glückliche Fügung wollte es, dass die ...
Eine glückliche Fügung wollte es, dass die Familie Sontag ab 1968 die ehemalige Kasper’sche Villa auf der Hallerwiese in der Johanna-Balck-Gasse/Scânteii, jetzt Titulescu 4, beziehen konnte – ein architektonisches Kleinod, das Hans Heckner (der Erbauer des Hermannstädter Volksbades) 1906 entworfen hatte und das mittlerweile liebevoll von seinem neuen Besitzer saniert wurde. Foto und Bildtext: Konrad Klein
Zwischen 1966 und 1970 leistete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Kustodin im Bereich siebenbürgischer Klassischen Moderne sowie der zeitgenössischen Kunst am Brukenthalmuseum Beachtliches. Sie nahm hierbei die Inventarisierungs- und Katalogisierungsarbeiten sehr ernst und erarbeitete Grundsätzliches, worauf noch die späteren Generationen aufbauen konnten. Schon die erste von Bertalan im Brukenthalmuseum kuratierte Ausstellung zum Werk von Carl Dörschlag im Jahr 1966, zu der sie auch den Katalog erstellte, ließ aufhorchen.

Karin Bertalan hatte eine eigene, unverwechselbare Art, sich der Hermannstädter Künstlerszene ihrer Zeit zu nähern, wobei sie die wissenschaftliche Aneignung stets mit dem Menschlich-Persönlichen verband, ihre familiären Verbindungen im Umfeld erleichterten ihr das. Sie verband das alles mit dem Respekt vor der künstlerischen Leistung. Ihre Ausstellungen etwa zu Hans Hermann und Trude Schullerus zeigten dieses, die Empathie für alles Schöngeistige und Künstlerische spricht aus ihren in dieser Zeit veröffentlichen Künstlermonografien und Aufsätzen. Auch in der deutschsprachigen Presse meldete sie sich zu Wort, vertrat mit Kompetenz die Standpunkte der Künstler in der Öffentlichkeit, wenn diese von unbedarfter, oft auch politischer Seite in die Kritik gerieten. Auch mit den Künstlern der jüngeren Generation – Sieglinde Bottesch, Kurtfritz Handel – pflegte sie fachlich-freundschaftliche Beziehungen, die sie nach der Aussiedlung über ihre Kuratorentätigkeit weiter festigte.

Im Mai 1968 fand im Brukenthalmuseum ein großer Kunstraub statt, der bis heute nicht aufgeklärt wurde, obzwar einige Jahrzehnte danach in den Vereinigten Staaten ein Teil der sehr wertvollen Gemälde aufgespürt und zurückgebracht werden konnten. Die Siebenbürger Sachsen am Museum gerieten unter Generalverdacht, Verhöre und Repressionen durch die Securitate zogen sich über Jahre hinweg. Karin Bertalan verlor zeitweise ihre Arbeit und durfte erst wieder 1975 als Oberkustos, diesmal an die Geschichtsabteilung des Brukenthalmuseums zurückkehren. „Die Recherchen von Miliz und Sicherheitsorganen […] warfen noch Jahre lange Schatten auf meine Karriere“, schreibt die Kunsthistorikerin in ihren Erinnerungen.

Trotz alledem sind die Jahre am Museum bis zu ihrer Ausreise mit der Familie 1985 in die Bundesrepublik Deutschland für Karin Bertalan beruflich erfüllte Jahre gewesen. Sie arbeitete die Sammlungen im Bereich Stilmöbel und Kunsttischlerei sowie die Goldschmiedekunst akribisch auf. Ausstellungen zu diesen wichtigen Bereichen siebenbürgischen Kunstgewerbes, die sie unter anderem gemeinsam mit ihrem Kollegen Martin Rill gestaltete, wissenschaftliche Aufsätze, Vorträge sowie ein fundierter Sammlungskatalog zu den Stilmöbeln im Museum (1980) belegen die erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit dieser Zeit. 1977 absolvierte sie ein Aufbaustudium in Museologie, Bereich Kunst. Zwei weitere Kataloge zu Gedenkausstellungen sowie die 1982 erschienene Künstlermonographie zu Hans Hermann vervollständigen ihr wissenschaftliches Schaffen. Karins Unterstützung bei Konzept und Gestaltung meiner ersten großen Ausstellung, die als eine umfangreiche Schau siebenbürgisch-sächsischer Schreinermalerei-Leistung 1984 im „Schatzkästlein“ in Hermannstadt gezeigt wurde, stand am Anfang unserer Freundschaft, die die Zeiten überdauerte und später, in der Bundesrepublik Deutschland, noch vertieft wurde.

Die letzten zehn Jahre in einem Rumänien der allgemeinen Entbehrungen und des ewigen Schlange-Stehens um Lebensmittel und die Güter des täglichen Gebrauchs trug Karin zudem noch die Last des „Großfamilienoberhauptes“ in der Villa auf der Hallerwiese, all derer, die zu alt und gebrechlich waren, um die Aussiedlung noch anzustreben. Zudem war ihr Mann 1981 von der Architektur-Fakultät des Polytechnischen Instituts, wo er bis dahin gelehrt hatte, entlassen worden. In ihren Erinnerungen beklagt Karin Bertalan die allmähliche kulturelle Vereinsamung und den Verlust des Vertrauten in ihrer durch die Auswanderung der Sachsen gezeichneten Heimatstadt, zudem die zunehmende Unterwanderung der Gesellschaft durch den Repressionsapparat der Ceaușescu-Jahre: „Unterschwellig hat die Machtmaschinerie alle Gebiete der menschlichen Tätigkeit, vor allem die zwischenmenschlichen Beziehungen korrumpiert, moralische Werte fraglich gemacht und in ihr Gegenteil verkehrt. Man hat zu misstrauen gelernt.“
Kunsthistoriker unter sich: Karin Bertalan und ...
Kunsthistoriker unter sich: Karin Bertalan und der im vergangenen Jahr verstorbene Gerhard Eike (rechts) bei der Vernissage der Kollektivausstellung „Wege siebenbürgischer Künstler“ am 14. April 1988 in München. Foto: Konrad Klein
Nach der Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland kam es mehrfach zu wissenschaftlichen Neuanfängen, die Karin Bertalan unverdrossen meisterte und überall dort, wo sie auch nur zeitweilig tätig war, hat sie Wichtiges hinterlassen: Ab 1986 war sie ein Jahr lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft Ostdeutsche Museen und Sammlungen am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim tätig. Hier recherchierte sie zu den Zeugnissen siebenbürgisch-sächsischer Kunst und Kultur in den Museen in Ungarn. Im Anschluss leistete sie wiederum wissenschaftliche Grundsatzarbeit, indem sie die Sammlungen im neu eröffneten Museum im Kernerhaus in Weinsberg ordnete und inventarisierte. Schließlich fand Karin Bertalan 1990 in Öhringen im repräsentativen Anwesen der im Hinblick auf eine Museumsgründung gestifteten Zinn- und Fayance-Sammlungen des Zinngießers Gustav Weygang ein Betätigungsfeld, auf dem sie in gewohnter Weise die wissenschaftliche Grundsatzarbeit zur Aufarbeitung der Sammlungen leistete und eine erste, fachlich gelungene Museumspräsentation gestaltete. Dies war ihre wichtigste Altersleistung und es betrübt einen, wenn die beiden Einrichtungen in Baden-Württemberg – in Weinsberg und Öhringen – bei der Präsentation ihrer Geschichte heute den Namen und die Leistung von Karin Bertalan übergehen.

Karin Bertalans Engagement für die Kunst und Kultur ihrer siebenbürgischen Heimat fand seinen Niederschlag in dem Ehrenamt einer Kulturreferentin des Kreisverbandes Öhringen im Verband der Siebenbürger Sachsen. Auch in diesem Rahmen kuratierte und organisierte sie Ausstellungen im Raum Heilbronn, etwa zum Thema Zinn, stand dem Bundeskulturreferenten Hans-Werner Schuster zur Seite, wenn es um Präsentationen zeitgenössischer Siebenbürger Künstler in Deutschland ging. In Erinnerung bleibt u. a. die im Haus des Deutschen Ostens im München gestaltete Ausstellung der Werke von Sieglinde Bottesch (1989). Zuletzt hat sie im Jahr 2013 die wiederholte Würdigung des Werkes von Stefan Bertalan auf der Kunst-Biennale in Venedig erleben dürfen.

Nach ihrer anrührenden Verabschiedung in der Johanneskirche in Stuttgart am 30. Oktober 2021, die Sohn Andreas und Schwiegertochter Diethild, ganz dem musischen Wesen der Mutter entsprechend, vorbereitet hatten, klingt ein Satz von Sebastian, dem älteren Sohn, nach, der das Geheimnis von Karin Bertalans Innerstem als „ehrfürchtiges, ewiges Staunen vor der Schönheit der Welt“, offenbarte.

Ruhe in Frieden, liebe Karin. Uns, die Dich gekannt haben, hast Du diese Schönheit so oft nahegebracht.

Irmgard Sedler

Schlagwörter: Kultur, Kunsthistorikerin, Hermannstadt, Siebenbürgisches Museum

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