30. April 2006

Friedrich von Bömches: Ohne Unterlass auf Sinnsuche sein

Mit dem Namen des Künstlers Friedrich von Bömches verbindet man gemeinhin aussagenstarke Ölgemälde, die in ungeduldigen Pinselstrichen und breit hingespachtelten Farbreflexen dem Betrachter ihre Visionen entgegenschleudern, oder man erinnert sich an seine Porträts, die in sensibler Anverwandlung stets die Wesenzüge der jeweils abgebildeten Personen einsehbar machen, was den namhaften Kunstkenner und Sammler Peter Ludwig veranlasst hat, Bömches "den bedeutendsten Porträtisten der Gegenwart" zu nennen. Seltener und weniger ausführlich ist von dessen Graphik die Rede, obwohl sich der bald Neunzigjährige selbst eher als Zeichner denn als Maler sieht und zu Protokoll gegeben hat, er sei lebenslang "von hysterischer Zeichensucht" besessen gewesen.
In der Tat verdeutlichen die Zeichnungen des Friedrich von Bömches in besonderem Maße das, was der Kulturphilosoph und Heidegger-Schüler Walter Biemel als charakteristisch für diesen Künstler festgestellt hat: er sei einer von denen, die nie aufgehört haben, ans Limit ihrer Ausdrucksmöglichkeiten zu gehen, getrieben von unaufhörlichem Suchen und Versuchen, nie irgendwo die Ruhe der Ankunft erfahrend, immer nur vorübergehend und an den Rändern beheimatet, stets unterwegs im Grenzgelände.

Friedrich von Bömches: Die Heimkehr des verlorenen Sohnes, Bleistiftzeichnung, 1992, 30 x 20 cm.
Friedrich von Bömches: Die Heimkehr des verlorenen Sohnes, Bleistiftzeichnung, 1992, 30 x 20 cm.

Von Kennern ist Bömches wiederholt als Expressionist gekennzeichnet worden: Biemel nennt ihn einen Künstler des "visionären Expressionismus" und das "Allgemeine Künstlerlexikon", das die bedeutendsten "Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker" aufführt und 1996 bei Saur in München/Leipzig erschien, spricht im Zusammenhang mit seinen Zeichnungen, in denen er Kriegs- und Deportationserlebnisse verarbeitet, von einem "dunkelfarbigen Expressionismus".

Der Terminus sollte freilich nicht im kunsthistorischen Wortsinne, also falsch verstanden werden. Er meint keineswegs die Zugehörigkeit zu einer Stilepoche, die längst der Vergangenheit angehört, sondern eine ganz bestimmte Weise des Sehens und Darstellens von Welt, ganz in der Art dessen, was die deutschen Expressionisten von ihrer Malweise als einer "Ausdruckkunst" verstanden, indem sie mit ihren Bildern gegen die materielle Wirklichkeitsnachbildung bei den Naturalisten und die Wiedergabe von nur äußeren Eindrücken bei den Impressionisten antraten. Zu gestalten gilt seither der geistige Ausdruck geschauter und erfahrener Wahrheiten, die in und hinter dem bloß Sichtbaren auszumachen sind.

Bömches ist eindeutig in dieser Tradition zu begreifen. Auf seinen vielen und langen Wegen im Grenzgelände bildnerischer Gestaltungsmöglichkeiten hat er immer wieder Ausschau gehalten nach der Ausdrucksfähigkeit von Dingen, Figuren und Geschichten, die ihm widerfuhren. Und wenn er sie entdeckte, hat er sie ins Bild gehoben, ergänzt und bereichert mit der eigenen Vision, um ihnen im "Ausdruck" ihrer eigentlichen Beschaffenheit unverwechselbar Identität zu verleihen.

Friedrich von Bömches: Die drei Weisen, Bleistiftzeichnung, 1997, 30 x 20 cm.
Friedrich von Bömches: Die drei Weisen, Bleistiftzeichnung, 1997, 30 x 20 cm.

Ob in Kohle, Kreide oder Bleistift, ob flächig laviert oder filigran liniert, haftet den Zeichnungen des Friedrich von Bömches Blatt für Blatt, selbst in Darstellungen der Ruhe, eine innere Bewegung an, ein ständiges Ertasten der Form, aufscheinendes Finden und wieder Verlieren von Erscheinung und deren Sinnfälligkeit. Das macht ihr Faszinosum aus und, wenn man will, ihre Modernität. Im Laufe seines langen Künstlerlebens hat sich Bömches, so der bereits zitierte Walter Biemel, mehr und mehr vom "mimetischen Charakter" seines Metiers entfernt, aber ohne dass ihm jemals der "Bezug zum Darstellungsinhalt" abhanden gekommen wäre. Gerade in seinen Zeichnungen blieb und bleibt er dem Figürlichen verpflichtet, doch längst nicht im Sinne platter Dinglichkeit, sondern und vor allem im momenthaft festgehaltenen Gestus, der erst dem Dinglichen das hinterfragbar Wirkliche seiner Gegenständlichkeit verleiht. "Kürschners Handbuch der Bildenden Künste" (2005) spricht in diesem Zusammenhang von geradezu "explosiven, wie im Rausch kurzfristig geschaffenen, visionären" Zeichnungen des Künstlers. Und das französische "Dictionaire de peintres, sculpteurs, dessinateurs et graveurs" von 1999 macht darin eine "geste stilistique expressioniste" aus, mit der Bömches realitätsnah und eindrucksvoll Zeugnis ablege von seiner Epoche.

Immer wieder fordern diese Zeichnungen den Betrachter heraus, sich in eigenem Nachvollzug auf Sinnsuche zu begeben anhand von Abbildern der Welt, welche nie und an keinem Ort den Stillstand kennt. So stellt sich eine Beziehung her zwischen Blatt und Betrachter, Entdeckungen werden gemacht, Ungewissheiten werden erkannt und ausgeräumt, es ereignen sich Übereinkünfte. Durch Nach-Denken wird der Betrachter teilhaftig an dem künstlerischen Schöpfungsakt und erfährt den Schauer des Wissens um dessen nachhaltige Faszination.

Freilich: Es ist kein heiter-besinnliches Verweilen vor diesen Blättern. Eher beunruhigen sie. Man wird von ihnen umgetrieben, wie dieser Zeichner ein Umgetriebener ist. Und man macht Verlusterfahrungen. Wie sollte es auch anders sein in Zeiten des allgemeinen Realitäts- und Wertezerfalls, den Bömches nie und nimmer zu kaschieren sucht? Doch gerade die erkennende Gestaltung ist es, allein sie kann es letztendlich sein, welche die Dunkelheiten, die uns allenthalben anspringen, ihrer Schrecken beraubt, sie im Bilde bannt und durchsichtig macht auf die Chance des Überstehens.

Soll man das meisterlich nennen? Man darf das ruhig tun. Gerade im Falle des Friedrich von Bömches, dessen Biographie nicht arm ist an Jahren der Bedrängnis, an Erfahrungen menschlicher Not und des Sterbens etwa in den Schützengräben des letzten Kriegs oder den Arbeitslagern des Gulag. Aus solchen Niederungen heraus immer wieder und immer noch auf der Suche nach Sinnfälligkeiten zu sein, ist meisterliche Arbeit, ganz abgesehen vom handwerklichen Können, das diesen Künstler dazu befähigt hat. Man darf sich ruhig dem anschließen, was eine seiner Kolleginnen, die Graphikerin Renate Mildner-Müller neidlos anerkennend von seinen Zeichnungen einmal behauptet hat: Sie seien mit denen eines Rembrandt zu vergleichen.

Hannes Schuster

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 30. April 2006, Seite 7)

Schlagwörter: Porträt, Kulturspiegel, Künstler

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