26. Juni 2007

Freya Klein: Oscarreife Theatergruppe

Den Oscar für den besten fremdsprachigen Film nahm der deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck am 25. Februar in Los Angeles für „Das Leben der Anderen“ entgegen. Bundespräsident Horst Köhler gratulierte: "Ihr Name, lieber Florian Henckel von Donnersmarck, ist jetzt in aller Munde, und das nicht in Deutschland allein, sondern weltweit. Und wir alle kommen aus dem Staunen kaum heraus."
In einer Mischung aus nationalem und Lokalpatriotismus titelte die Bild-Zeitung Frankfurt: „Unser Oscar! Ein Frankfurter Bub erobert Hollywood“. Der Artikel setzt die Leser ins Bild über den schulischen Werdegang des Starregisseurs, den eine siebenbürgische Lehrerin am Lessing-Gymnasium in Frankfurt entdeckt und gefördert hat, im Rahmen der von ihr 1986 gegründeten Theater-Arbeitsgemeinschaft „Thespis-Karren“. Auf „Das Leben der Anderen“ ist der pädagogische Auftrag einer Lehrerin, eines Lehrers ausgerichtet, nicht anders bei der vor sechzig Jahren in Schirkanyen zur Welt gekommenen Freya Klein.

Du stehst im Dunkel. Alleingelassen in dem großen Raum ohne Zeit, Licht, Schall. Was tue ich hier? Der Auftrag. Schritt für Schritt wächst aus der ominösen Leere eine riesige Bühne. Du überschreitest die flach ansteigenden Treppen und die Schwelle zur Vorstellung. Der Anfang hat eine Vorgeschichte.
Nach der Vorstellung: Freya Klein. ...
Nach der Vorstellung: Freya Klein.
Über zwanzig Jahre ist es her, dass Freya Klein durch die kleine Eingangspforte in die Aula des altehrwürdigen Lessing-Gymnasiums eintrat. Dort, so lautete der Auftrag, sollte sie eine Theater-AG der Mittelstufe gründen. Alleingelassen im Dunkel. „Aber ich sagte mir: Ich soll und ich will!“ Schließlich hatte die Deutsch- und Erdkundelehrerin an allen Schulen, an denen sie zuvor tätig war, Theatergruppen gegründet. Wenn Arbeitsmarktforscher heute unter Verweis auf den rasanten Wandel der Arbeitswelt in unserer globalisierten Welt kundtun, jeder werde sich im Laufe seines Arbeitslebens einige Male „komplett neu erfinden“ müssen, klingt da nicht auch Geringschätzung der erworbenen Erfahrungen an? Hier, an dieser so traditionsreichen Bildungsstätte in der Fürstenbergerstraße (mit 486 Jahren Frankfurts ältestes Gymnasium), baute man auf diese Erfahrungen. Haben die Schüler davon profitiert?

Inszenierte Gesamtkunstwerke

Im vergangenen Jahr ist die von Freya Klein herausgegebene, außergewöhnlich prachtvolle Festschrift der Theater-AG des Lessing-Gymnasiums Frankfurt am Main im Selbstverlag erschienen: „20 Jahre Thespis-Karren 1986-2006“. Auf 368 Seiten entfaltet sich die 20-jährige kontinuierliche Gemeinschaftsarbeit der Theaterfamilie in sämtlichen Facetten.

Vom Zeus zum „Oscar“: Der 14-jährige Florian ...
Vom Zeus zum „Oscar“: Der 14-jährige Florian Henckel von Donnersmarck.
Alle 20 Inszenierungen, die in dieser langen Zeitspanne über die Bühne gegangen sind, werden ausführlich dokumentiert. Die phantasievolle Gestaltung des Bandes in DIN-A4-Querformat, in Farbe und in hochwertiger Fotodruckqualität, die Textbeiträge, die üppige Fotodokumentation legen beredtes Zeugnis ab von dem Herzblut, das von allen Beteiligten in dieses Projekt eingeflossen ist. Einer der „Ehemaligen“, Malte Horrer, meint zur Erstellung: „Der Thespis-Karren hat, wie gewohnt mit Hilfe von Freunden und Verwandten, wieder einmal alles selbst gemacht vom Entwurf des Layouts, durch den aus Siebenbürgen stammenden Graphik-Designer Diethelm Wonner, über die digitale Bildbearbeitung und das Setzen am Computer bis zum Lektorat.“ Bravo! Selbstbewusst fasst der „Thespisianer“ zusammen: „Der frisch gebackene deutsche Oscar-Gewinner ist aus der Theater-AG des Lessing-Gymnasiums hervorgegangen, eine bekannte Schriftstellerin und mehrere hauptberufliche Theaterschauspieler. Conclusio: Diese Theater-AG ist etwas Besonderes, so etwas hat nicht jede Schule. (…) Immer waren die Inszenierungen außergewöhnlich, die Stücke anspruchsvoll, die schauspielerischen Leistungen der Schüler phänomenal, die Bühnenbilder opulent – kurz: eigene Gesamtkunstwerke. Seine Existenz und seinen Charakter verdankt der Thespis-Karren seiner Leiterin, Freya Klein.“

Freya Klein, geb. Freymayer, ist am 16. Juli 1946 in Schirkanyen/Siebenbürgen geboren. Nach ihrer Schulausbildung in Agnetheln (Abitur 1964) studierte sie an der Universität Klausenburg Germanistik und unterrichtete danach an deutschen Schulen im Burzenland, in Honigberg (siehe Artikel in Honigberger Heimatbrief, Pfingsten 2007, Seite 36/37), Zeiden und am Honterus-Gymnasium in Kronstadt Deutsch als Muttersprache und Weltliteratur. 1980 übersiedelte sie nach Deutschland, studierte an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main Geographie und unterrichtete seit 1986, nach den beiden Staatsexamina für das Höhere Lehramt, bis zu ihrer Verabschiedung aus dem Schuldienst im Januar 2007 am Lessing-Gymnasium in Frankfurt am Main Deutsch und Erdkunde.

Vom Zeus zum Oscar

Der Thespiskarren oder -wagen meint den Wohnwagen wandernder Schauspieler oder eine Wanderbühne. Thespis, so hieß der erste griechische Tragödiendichter (6. Jh. vor Chr.); nach ihm benannte sich 1986 auch die neue Theater-AG. 1987 verwandelte sich ein gewisser Florian Henckel, damals 14-jährig, in den Göttervater Zeus. Frau Klein erinnert sich: „Bei meiner ersten Inszenierung am Lessing-Gymnasium, Aristophanes’ „Die Vögel“, meldete er sich und bekam – nicht zuletzt auch wegen seiner stattlichen Erscheinung (schon damals in der 8. Klasse nahezu 2 m) – die Rolle des Zeus. Er war mit Begeisterung dabei, interessierte sich für alle Aufgaben, nicht nur für das Spiel, und genoss den Zauber des Theaterspielens sichtlich. Durch den Wegzug der Familie aus Frankfurt verließ auch er unsere Schule, bedauerte aber sehr, dass er somit bei unserem nächsten Stück nicht mitspielen konnte.“ Bleibt anzumerken, dass die Thespisianer natürlich „sehr stolz auf unseren Oscar-Gewinner“ sind; sie haben seinen Film „Das Leben der Anderen“ gesehen und dem Preisträger eine speziell angefertigte Karte mit Glückwünschen und die Festschrift, in der er auch abgebildet ist, zukommen lassen.

Konzept Theaterfamilie

Gemäß der klassischen Ausrichtung des Lessing-Gymnasiums hat die Schultheaterleiterin stets griffige Dramen der Weltliteratur in Szene gesetzt. Dabei setzte sie auf das „Konzept der Theaterfamilie mit großen und kleinen Geschwistern, wobei jeder die seinem Alter entsprechenden Aufgaben übernimmt, und vor allem ein Zusammengehörigkeitsgefühl über alle Jahrgangsstufen hinweg entsteht“. Das erst habe die immer anspruchsvolleren Inszenierungen der folgenden Jahre möglich gemacht, „weil die jungen Akteure im Laufe von mehreren Jahren (in manchen Fällen waren es neun) zu wirklichen Könnern herangewachsen sind.“ Die erfahreneren Spieler nahmen sich der neu hinzugekommenen an, ob bei Sprech- und Stimmübun- gen, oder indem sie bei Interpretationsmöglichkeiten halfen, mitunter auch Bühnen-Tricks verrieten. Darüber hinaus lernten alle Thespisianer verschiedene Berufe, die zum Theaterspielen gehören, handwerklich kennen, schließlich galt es den gesamten Theaterbetrieb zu er- lernen: neben Regie auch Bühnenbild, Kostüme, Technik, Beleuchtung, Maske etc. Für die Gymnasiasten sind das unbestritten wertvolle Erfahrungen. Und die Arbeit der siebenbürgischen Pädagogin trug Früchte.

Die Leitung des „Thespis-Karren“ hat Freya Klein inzwischen abgegeben. Januar 2007 hat sich die Oberstudienrätin aus dem Schuldienst verabschiedet. Vielleicht denkt sie heute in Darmstadt, wo sie mit ihrem Ehemann Dietrich in der Siebenbürgenstraße lebt, hin und wieder zurück an die Anfänge ihrer Theaterarbeit, vor 36 Jahren in Honigberg, mit dem Fastnachtspiel von Hans Sachs „Der fahrende Schüler ins Paradies“? Angesprochen auf ihre Herkunft erklärt Frau Klein: „Ich verdanke meiner siebenbürgischen Heimat eine gründliche Ausbildung sowohl in der Schule als auch auf der Universität, außerdem das selbstverständliche und ungebrochene Bewusstsein deutscher Kultur- und Wesensart, das meine Arbeit als Deutschlehrerin immer zu einem Vergnügen hat werden lassen.“ Lebhaft in Erinnerung geblieben sind ihr die mehrtägigen geographischen Exkursionen, die die Erdkundelehrerin mit ihren Schülern durchgeführt hat. Als langjähriges Vorstandsmitglied der Frankfurter Geographischen Gesellschaft begleitet sie zusammen mit ihrem Mann Dietrich in diesem Sommer eine von Prof. Wilhelm Lutz geleitete geographische Exkursion ins Banat, nach Siebenbürgen und in die Bukowina. Zuvor, am 16. Juli, feiert Freya Klein Geburtstag: Nor de Geseangd!

Christian Schoger

Schlagwörter: Theater, Jugend, Burzenland

Bewerten:

106 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.