12. Februar 2009

Gudrun Schuster: Leidenschaftliche Pädagogin und fachkundige Germanistin

Prof. Dr. Dieter Borchmayer vom Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg hat Gudrun Schuster 1988 aus Anlass ihres Staatsexamens (Überprüfung) kennen gelernt. Es handele sich hier um eine „Spitzenbegabung“, „eine ungewöhnlich gebildete und kultivierte Persönlichkeit, die es von ihren intellektuellen Qualitäten her gewiss nicht verdient hat, nun noch einmal ein Examen absolvieren zu müssen, über das sie aufgrund ihrer langen Lehrtätigkeit weit hinausgewachsen ist“, stellte der bekannte Literaturwissenschaftler, der seit 2004 auch Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und Stiftungsratsvorsitzender der Ernst von Siemens-Musikstiftung ist, fest.
So schrieb Gudrun Schuster denn auch eine glänzende Klausur über Bertolt Brecht und zeigte in der mündlichen Prüfung souveräne Fachkenntnisse. Borchmayer und sein Kollege Professor Dr. Oskar Reichmann „vergaßen buchstäblich, dass es sich um eine Prüfung handeln sollte, denn es entwickelte sich ein Fachgespräch auf hohem intellektuellem Niveau, das sich weit über ein Prüfungsgespräch erhob“, schrieb Borchmayer in einer „Empfehlung“, die er Gudrun Schuster für eine Bewerbung in Deutschland aus eigenem Antrieb zur Verfügung gestellt hatte.

Gudrun Schuster wurde 1988 beim Ersten Staatsexamen am Germanistischen Seminar der Universität Heidelberg mit der Höchstnote 1 bewertet und stellte damit nicht nur ihr fundiertes Fachwissen unter Beweis, sondern auch das beachtliche Niveau der Germanistik in Rumänien, als deren Exponentin sie sich nahtlos in den Schulbetrieb in Deutschland hätte integrieren können.

Ein Jahr zuvor, 1987, war sie mit dem Besuchspass nach Deutschland eingereist. Anfang 1989 zogen ihr Mann, der Journalist Hannes Schuster, und die beiden Söhne Thomas (geboren 1964) und Johannes (1968) im Rahmen der Familienzusammenführung nach.

Gudrun Schuster ...
Gudrun Schuster
Die 70-jährige Jubilarin kann heute auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Am 12. Februar 1939 in Heldsdorf in einer Lehrerfamilie geboren, besuchte sie die Grundschule in Neustadt bei Kronstadt, wo der Großvater ebenfalls Lehrer war. An die pädagogische Tradition ihrer Familie anknüpfend, begann sie 1953 ihre Berufsausbildung am Lehrerseminar („Bergschule“) in Schäßburg und legte, nach dessen Auflösung, am dortigen Gymnasium die Reifeprüfung ab. Von 1958 bis 1963 studierte sie Germanistik und Ugristik an der Babeș-Bolyai-Universität in Klausenburg. Dem erfolgreichen Studium folgte eine mit Fleiß und Konsequenz betriebene berufliche Karriere. Ab 1965 war Schuster zunächst Lehrerin in Hetzeldorf, dann in Rosenau, ab 1968 unterrichtete sie Deutsch als Fremdsprache am Lyzeum für Mathematik und Physik Nr. 4 in Kronstadt und von 1972 bis 1987 Deutsch als Muttersprache am Honterus-Gymnasium ebendort, wo sie auch das Deutsch-Katheder leitete. Die Leidenschaft, mit der sie arbeitete, führte zu inhaltsreichen, interessanten, anschaulichen Lehrstunden, in denen ihre Schüler aktiv mitwirkten, literarische Texte interpretierten und eigene Argumente in die anregenden Diskussionen und vor allem in ihre Aufsätze einbringen durften, wie sie das im Rückblick auf ihre Schulzeit vielfach bestätigen.

Gemeinschaftsstiftend war die Arbeit mit der Schülertheatergruppe des Gymnasiums, die anspruchsvolle Stücke wie Dürrenmatts Die Physiker, Alexander Wampilows Zwanzig Minuten mit einem Engel oder Frischs Biedermann und die Brandstifter aufführte.

Zudem wirkte Gudrun Schuster von 1971 bis 1974 als Leiterin des Fachzirkels des Kreises Kronstadt für Deutsch als Fremdsprache und 1979-1987 als Leiterin des Fachzirkels für Deutsch als Muttersprache und als Methodistin des Kreisschulinspektorats Kronstadt. 1977 erlangte sie den II. Grad und 1984 den I. Grad im Lehramt an der Universität Temeswar, Letzteren mit der wissenschaftlich-methodischen Arbeit Der Roman im Unterricht. Ebenfalls auf wissenschaftlich-methodischem Gebiet war Schuster als Referentin für die Deutsch-Lehrbücher der Klassen XII (1977), IX (1978), XI (1979) sowie der Textsammlung XII (1977) tätig und verfasste das Kapitel Aufsatzunterricht für das Lehrbuch der XI. Klasse (1986).

Nach der Ausreise wirkte Gudrun Schuster von 1988 bis 1991 als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde und der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim. In dieser Zeit übersetzte sie die Geschichtsstudie Ein siebenbürgischer Bischof im römischen Exil von Francisc Pall aus dem Rumänischen (Böhlau 1991) und Alte siebenbürgische Drucke (16. Jh.) von Gedeon Borsa (Hg.) aus dem Ungarischen (Böhlau 1996). Von 1991 bis 2002 war Schuster Dozentin am Goethe-Institut in München.

Als Herausgeberin hat Schuster den Roman „Der grüne Heinrich“ von Gottfried Keller als Schulbuchausgabe des Kriterion Verlags in Bukarest (1984) und „Versunkene Welt. Erinnerungen“ von Hans Schwarz (Hermannstadt 2003) betreut.

Wer jenseits dieser summarischen biographischen Daten Einblick in das Leben der Jubilarin gewinnen will, sollte ihr Buch Leben mit und gegen Ideologien. Aufsätze, Erfahrungsberichte, Rezensionen, erschienen 2006 im aldus Verlag in Kronstadt, lesen. Hier beleuchtet die Autorin Facetten der siebenbürgisch-sächsischen Schule und literarische Werke rumäniendeutscher Autoren in einer von Brüchen und Ideologien geprägten Zeit. Den Aufsätzen liegt ein fundiertes Studium der Fachliteratur zugrunde, die Germanistin legt neue Argumente vor, differenziert und relativiert, regt weitere vergleichende Untersuchungen an und bringt die Forschung dabei unversehens ein gutes Stück weiter. Luzididät, analytische Schärfe und Dialogbereitschaft kennzeichnen die Arbeiten, die auf den ersten Blick emotionslos scheinen, aber von Gudrun Schusters großer Leidenschaft zur Sache getragen sind.

In einem ihrer wichtigsten Aufsätze, „Deutsche Sprache unter rumänischer Diktatur“, stellt sie fest, dass das „Rumänien-Deutsche“ von der kommunistischen Ideologie kaum vereinnahmt wurde. Während die Partei- und Propagandasprache in deutscher Sprache kaum Eingang gefunden und nicht ernst genommen wurde, bediente sich die rumäniendeutsche Literatur oft eines kodierten Zeichensystems, zu dem mehr oder weniger literarisch Gebildete Zugang hatten. Die Handhabung von Denk- und Sprachstrukturen hatten im Rahmen der „jungen Germanistenschule“ aufgrund „seriöser Fachinformation und durch Kenntnis der in den ‚Mutterländern’ geführten poetologischen, literaturtheoretischen und –kritischen Diskussionen einen Grad von Professionalität erreicht, der in seiner relativen Breite meines Erachtens für die deutsche Minderheit in Rumänien historisch einmalig war“. So dokumentiere der Schriftsteller und Dichter Franz Hodjak in seinem Prosaband An einem Ecktisch „unmissverständlich Szenen einer Gesellschaft, in der Einschüchterung, Drangsalierung und Bespitzelung, aber auch materielle Not Menschen in Angst und Orientierungslosigkeit versetzen, während sie ihren grauen, freudlosen und armseligen Alltag bewältigen.“ Fehlender Zugang zu solch kodierter Sprache seitens der Zensur war wohl der Grund dafür, dass Hodjak gerade für diesen Band 1984 mit dem Preis des rumänischen Schriftstellerverbandes ausgezeichnet wurde.

Teile der Sprache und des gesellschaftlichen Lebens entzogen sich also der kommunistischen Indoktrination, aber die Funktionsmechanismen der Diktatur hatten zum Teil verheerende gesellschaftspolitische und sozialpsychologische Folgen. Eine davon dürfte der Massenexodus der Siebenbürger Sachsen sein, ein tiefer Bruch, der sich – wie bereits erwähnt – auch im Lebenslauf der Jubilarin widerspiegelt.

„Fortgeführte Schultradition unter veränderten Bedingungen“, so der Titel eines weiteren Aufsatzes, war unter widrigen Umständen vor allem deshalb möglich, weil Lehrkräfte und Eltern aufgrund ihrer Sozialisation „eingeübte Verhaltensmechanismen innerhalb der Gemeinschaft, vor allem Arbeitshaltungen im Hinblick auf das Fernziel: Bildung und Berufsausbildung“ weiterführten. Politisch-ideologische Vorgaben wurden von den Lehrern oft ins allgemein Menschliche umgedeutet, dem klassischen Humanitätsideal zugeordnet, das für die Schüler „anspornend, motivierend und situationsbewältigend“ wirkte.

„Zwischen ideologischen Vorgaben und Narrenfreiheit“ bewegte sich auch der Fachzirkel der Deutschlehrer des Kreises Kronstadt: „Man tat etwas mit Interesse und Freude an der Sache, weil man Gelegenheit zur Eigeninitiative hatte, die in anderen Lebensbereichen ausgeschlossen waren“, erinnert sich Gudrun Schuster. „Es bleibt unverzichtbare Aufgabe der Zeitzeugen, ihre Geschichte, ihre Sicht der erfahrenen und erlebten Ereignisse zu dokumentieren.“ Wertvolle Erfahrungsberichte und scharfsinnige Analysen, die auch in die siebenbürgisch-sächsischen Schulgeschichte zurückführen, hat Gudrun Schuster geliefert. „Weitere vergleichende Beschreibungen, historische Distanz und unterschiedliche Wissenschaftsmethoden könnten ein objektiveres Bild der ‚Gruppenidentität’ nach 1945 zeichnen“, regt Gudrun Schuster an.

Seit ihrer Verrentung im Jahr 2002 lebt sie mit ihrem Mann in Hardegsen bei Göttingen. Als Mitglied der Sektion Schulgeschichte des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde verfasst Gudrun Schuster immer wieder Referate und wird auch von der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen oft eingeladen, Vorträge zu halten. Sie ist eine der authentischsten und klarsten Stimmen in den aktuellen Diskussionen über die jüngste Vergangenheit und Gegenwart der Siebenbürger Sachsen. Die gleiche geistige Frische und vor allem Gesundheit wünschen wir der Jubilarin auch für die nächsten Jahre.

Siegbert Bruss

Schlagwörter: Kultur, Schulgeschichte, Honterusschule, Kronstadt, Burzenland, Gudrun Schuster, Hannes Schuster

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Neueste Kommentare

  • 12.02.2009, 09:16 Uhr von getkiss: Ich kannte die Jubilarin nur oberflächlich. Meine Frau Elfi hat aber immer mit Hochachtung von Ihr ... [weiter]

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