10. Juli 2010

Nürnberger Aussiedlerkulturtage 2010

„Der mitgebrachte Kulturschatz der zugewanderten Deutschen ist und bleibt ein wertvoller Bestandteil der gesamtdeutschen Kultur, der gepflegt und erhalten werden soll.“ So lautete das zentrale Credo von Nina Paulsen vom Historischen Forschungsverein der Deutschen aus Russland in ihrer Begrüßungsansprache bei den heurigen Nürnberger Aussiedlerkulturtagen.
Die Eröffnung der Aussiedlerkulturtage am 18. Juni im Haus der Heimat Nürnberg begann mit der Titelmelodie zur TV-Serie „Mission Impossible“, ein moderner Klassiker eines der meistzitierten Musikers der letzten Jahrzehnte: Lalo Schifrin. Die Interpreten waren Alexandra Kutsche (25) und Marcus Hullin (26) an der Violine, Kerstin Neumann (20) an der Viola und Tobias Hullin (19) am Violoncello. Die beiden jungen Männer sind die Kinder eines oberschlesischen Vaters und einer Mutter, die aus Pommern stammt. Es folgten Bearbeitungen berühmt gewordener Lieder wie z. B. die Ballade „From a Distance“ oder „My heart will go on“ aus dem Film „Titanic“.

Horst Göbbel, der Vorsitzende des Vereins Haus der Heimat, verglich in seiner Begrüßung die bundesdeutsche Gesellschaft mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, als er feststellte: „Neben alten Leistungsträgern wie den Aussiedlern Klose oder Podolski spielen heuer auch neue erstklassige Spieler mit Migrationsgeschichte wie Aogo, Boateng, Cacau, Gomez, Khedira, Marin, Özil, Tasci, Trochowski für Deutschland. Es begreifen mehr und mehr Menschen in Deutschland, dass Menschen mit Migrationserfahrung ein belebendes Element unserer Gesellschaft sind.“ Am Schluss betonte er: „Wir Aussiedler feiern seit 1986 ununterbrochen jährlich Aussiedlerkulturtage. Einige wissen es, und geben uns die Ehre – z. B. der erste Bürger unserer Stadt, Herr Oberbürgermeister Dr. Maly, der – wie seine Vorgänger - die Schirmherrschaft der Kulturtage übernommen hat, was uns sehr freut. Ebenso freut uns der positive Start des neuen Integrationsrates und des Nürnberger Kulturbeirates zugewanderter Deutscher.“
Aussiedlerkulturtage in Nürnberg: Den ...
Aussiedlerkulturtage in Nürnberg: Den Gottesdienst umrahmten Trachtenträger der Banater und Sathmarer Schwaben, Oberschlesier und Siebenbürger Sachsen. Foto: Doris Hutter
In Vertretung des Schirmherrn, Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, lobte Stadträtin Gabriela Heinrich (SPD) den Einsatz des Hauses der Heimat im Initiativkreis Interkultureller Garten Langwasser: „Wer sich dafür einsetzt, zeigt, dass er schon weit auf dem Weg der Integration gegangen ist. Denn einen interkulturellen Garten aufzubauen heißt, dass Menschen aus verschiedenen Nationen bereit sind, zusammen zu arbeiten und sich einzusetzen, gemeinsam etwas zu schaffen, und offen sind für andere Kulturen.“ Stadtrat Max Höffkes (CSU) freute sich über den von Horst Göbbel in der Begrüßung verwendeten Begriff „Mitbürger mit Migrationserfahrung“, der den Begriff „Migranten“ ersetzen soll: „Ich verspreche Ihnen, ich werde diesen Begriff weiter tragen, weil es die richtige Bezeichnung ist!“ Zum Schluss nannte er die Aussiedler einen „sehr vitalen Bestandteil der Stadt Nürnberg“ und betonte: „Das Haus der Heimat hat integriert und integriert weiter, ohne zu assimilieren.“ Unter den Gästen befanden sich wieder Vertreter von kommunalen Institutionen, Wohlfahrtsverbänden und Vereinen.

Das Thema des anschließenden Vortrags „Der Glaube als Anker in der Not“ führte anhand der Begräbnistradition der katholischen Russlanddeutschen von der Geschichte der Russlanddeutschen über Einzelschicksale zu der heutigen Praxis in Deutschland, wo sich viele Menschen aus den Nachfolgestaaten der UdSSR wünschen, nach den Riten in der alten Heimat beerdigt zu werden. Die Referentin Nina Paulsen, Mitglied des Historischen Forschungsvereins der Deutschen aus Russland, stellte ihr Buch „Wo unsere Toten ruhen, liegt unsere Heimat“ vor, das im Rahmen eines Projektes im Haus der Heimat entstand und mit einer CD versehen ist, auf der Beerdigungsgesänge originaltreu aufgenommen worden sind. Die dafür zeichnende Singgruppe aus dem Raum Nürnberg war zugegen. Umrahmt wurde der mit Bildern untermalte Vortrag von Walter Schatschneider, einem russlanddeutschen Trompeter, der einfühlsam u. a. Stücke von Dmitrij Bortnjanskij, Peter Tschajkowskij und das „Ave Maria“ von Franz Peter Schubert vortrug. Durch das Programm führte charmant Nicole Vetter. Der Abend wurde mit einer Bilderausstellung der Siebenbürger Sächsin Dietlinde Eichner aus Nürnberg, die im Alter von 40 Jahren die Malerei neu entdeckt und den Studiengang „Bildende Kunst“ an der Akademie Faber-Castell absolviert hat, unter dem Titel „Lebensformen“ abgerundet.

Am Samstag, im Anschluss an den Auftritt der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg (Leitung Michael Bielz), die auch vor dem Haus gespielt hatte, begrüßte Nina Paulsen im Gemeinschaftshaus Nürnberg-Langwasser die Gäste als Vertreterin des Historischen Forschungsvereins der Deutschen aus Russland und erinnerte daran, dass „unsere Herkunft unterschiedlich ist - unsere Zukunft gemeinsam“, und betonte: „Seit 1986 sind wir, Deutsche aus dem Osten und der ehemaligen Sowjetunion, in Nürnberg in der glücklichen Position, uns einmal im Jahr mit unseren Fähigkeiten und Talenten, unseren kulturellen Besonderheiten, Stärken und Traditionen der breiten Öffentlichkeit präsentieren zu dürfen. Vor diesem Hintergrund ist es vor allem ein Zeichen dafür, dass man in dieser Stadt die Hoffnungen und Erwartungen, aber auch die mitgebrachten vielfältigen Potentiale der zugewanderten Deutschen aus dem Osten und der ehemaligen Sowjetunion ernst nimmt, sie als gemeinsame Bereicherung, als Gewinn und Brückenbauer zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen, Konfessionen und Kulturen sieht.“

Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, Schirmherr der Veranstaltung, betonte in seinem Grußwort, die Aufgabe aller Aussiedler und des neugegründeten „Nürnberger Kulturbeirates der zugewanderten Deutschen“ sei, die eigene Kultur nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. „Der Kulturbeirat hebt die Schätze, die Sie nach Deutschland mitgebracht haben. Wir alle müssen wissen, woher wir kommen, damit wir wissen, wohin wir gehen.“ Weitere namhafte Ehrengäste, darunter Mitglieder des Deutschen Bundestags sowie Vertreter des Bezirks Mittelfranken und Nürnberger Stadträte, gaben durch ihre Anwesenheit den gestaltenden Kulturgruppen die Ehre.

Michael Frieser, MdB (CSU), war vom Gebotenen hellauf begeistert und äußerte: „Das ist das Spannende daran, dass man sich seiner Wurzeln bewusst ist, dass es Menschen gibt, die sich dafür einsetzen, sich gegenseitig befruchten im Integrationsrat und im so wichtigen Kulturbeirat zugewanderter Deutscher.“ Martin Burkert, MdB (SPD), lobte „das wunderbare Programm der unterschiedlichen Gruppen“ und fügte hinzu, dass auch während „stürmischer Zeiten in Berlin“ die Kultur der Aussiedler nicht zu kurz kommen dürfe.

Was auf der Bühne unter dem Motto „Musik und Tanz am Nachmittag“ geboten wurde, konnte sich sehen lassen: Volkstänze, Hip Hop, Volkslieder und moderner Gesang wechselten einander ab. Am Schluss wurden „Wenn alle Brünnlein fließen“ und „So ein Tag, so wunderschön wie heute“ gemeinsam gesungen. Sandra Hirsch führte in der banat-schwäbischen Tracht sympathisch und souverän durch das Programm. Die Banater Schwaben waren durch ihre Kindertrachtengruppe (Leitung Kathi Probst/Sandra Hirsch) vertreten, die Sathmarer Schwaben durch die Tanzgruppe „Sternele“ (Leitung Erika Bärenz/Angela Toma), die Deutschen aus Russland durch die Hip-Hop-Gruppe „White Shadows“ (Leitung Alexander Voss/ Katharina Jonas), die Tanzschule Franz Hof (Leitung Franz Hof), sowie vier Gesangsgruppen des Hauses der Heimat (Leitung Olga Philipp). Die Siebenbürger Sachsen präsentierten sich mit der Kindertanzgruppe Nürnberg/Fürth (Leitung Annette Folkendt), dem Chor Nürnberg-Fürth (Leitung Reinhold Schneider) und der Volkstanzgruppe Herzogenaurach (Leitung Katharina Fuss). Die geladene Gastgruppe, die durch ihre Auftritte das Programm schwungvoll ergänzte und viel Applaus bekam, war die ungarische Tanzgruppe „TÜZVIRÁG“. Einen besonders wertvollen Auftritt bot der Chor „Regenbogen“, weil er als landsmannschaftlich übergreifender Projektchor die gelungene Zusammenarbeit der Aussiedler dokumentiert, die sich das Haus der Heimat auf seine Fahnen geschrieben hat. Die Leitung hatte Wilhelm Stirner inne, ein Siebenbürger Sachse. Unter den Sängern waren weitere Landsleute: Anneliese Adam, Inge Alzner, Gertraud Herberth, Georg Hutter, Klaus Kellner, Ingrid Klein, Hilda Kirschner und Elfriede Konnerth.

Am Sonntag wurde in Zusammenarbeit mit Pfarrer Armin Langmann der Gottesdienst in der Ev. Lutherischen Nikodemuskirche in Nürnberg/Röthenbach gestaltet und durch rund 60 Trachtenträger der Banater und Sathmarer Schwaben, Oberschlesier sowie Siebenbürger Sachsen bereichert. Pfarrer Langmann predigte einfühlsam zum Gleichnis „Der verlorene Sohn“. Dabei rückte er den Themenkomplex Wanderung, unterwegs sein, sich im Leben etwas trauen, Initiativen entwickeln, Tiefschläge einstecken und verkraften anhand von biblischen und aktuellen Beispielen aus dem Kreis der Wolgadeutschen, der Siebenbürger Sachsen, der Schlesier, der Sathmarer oder Banater Schwaben sehr überzeugend in den Mittelpunkt. Der Chor „Siebenbürger Vocalis“ (Leitung Wilhelm Stirner) umrahmte den Gottesdienst musikalisch. Werner Henning, BdV- und UdV-Vorsitzender in Nürnberg, Sprecher der HOG Nadesch und aktiver Mitarbeiter in der Kirchengemeinde, dankte den Pfarrern Langmann und Kleinhempel für die Möglichkeit, den Gottesdienst in der Kirche feiern zu dürfen, und stellte klar, dass mit diesem Begegnungsfest unter dem Motto „Miteinander leben, miteinander arbeiten, miteinander feiern“ in der Gemeinde ein neues Fest entstanden sei, das weiter geführt werde. Stadträtin Jutta Bär (CSU), Vertreterin des Oberbürgermeisters Dr. Maly, bemerkte begeistert: „Diese Farben, diese Trachten, diese Kultur muss unbedingt weiter gelebt, weiter getragen werden, denn sie ist eine große Bereicherung für die Stadt.“ Dann lud Henning die Gemeinde zum schmackhaften Imbiss ein, den die Siebenbürgische Tanzgruppe Nadesch auf dem Kirchhof mittels Grill und selbstgebackenen Kuchen zum Kaffee bereitstellte. Bis in den Nachmittag hinein wurde fröhlich weitergefeiert.

Beim Ausgang der Kirche konnte man die Wanderausstellung des Hauses der Heimat: „1959. Erste Schritte in Deutschland“ besichtigen, in der das Aufnahmelager Friedland dargestellt wird. Zu den geschätzten Klängen der Siebenbürger Blaskapelle Nürnberg, die sofort Tanzpaare auf den Plan riefen, gestalteten die Trachtenträger für die sichtlich erfreuten Gemeindemitglieder nach dem Gottesdienst einen Trachtenaufmarsch im Hof der Kirche und schafften so einen prächtigen Rahmen für einen festlichen Abschluss der Aussiedlerkulturtage 2010.

Doris Hutter / Horst Göbbel

Schlagwörter: Nürnberg

Bewerten:

10 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.