5. Juli 2017

Krisen, Kuchen, Kirchenburgen: Ein schwäbischer Pastor als Gastpfarrer in Siebenbürgen

Der Name des Geistlichen ist Walter Scheck, und er wird dem Seniorenkreis der Kreisgruppe Heilbronn des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland als Referent in lebhafter Erinnerung bleiben. Wer aber ist Walter Scheck? Kurz: Schwabe, Alt-68er, evangelischer Pfarrer im Ruhestand, der sich freut, immer noch gebraucht zu werden, und daher außer Kabarett („Pfaffenpfeffer“) auch weiterhin Seelsorge betreibt, seit geraumer Zeit auch in Siebenbürgen, wo er sich den „virus transilvanicus“ geholt hat.
Ein paar Hinweise zur Anamnese: Walter Scheck ließ sich von seinem Oberkirchenrat als Gastpfarrer nach Siebenbürgen vermitteln, nachdem er erfahren hatte, dass seine evangelischen Amtsbrüder vor Ort bis zu 15 Gemeinden zu betreuen haben. Dass das Erlebnis Siebenbürgen einen Gemütsmenschen wie Walter Scheck nachhaltig beeinflusst und inspiriert, war zu erwarten. So kam es, dass der schwäbische Gastpfarrer in Siebenbürgen sich bereit erklärt hatte, im Seniorenkreis Heilbronn seine Eindrücke und Erfahrungen in einem Bildvortrag zu schildern. Gefragt nach dem Titel seiner Präsentation, dachte er kurz nach und sagte: „K. K. K.“ Das machte stutzig: Im Falle eines Alt-68ers stehen die drei K’s wohl nicht für „Kirche, Küche, Kinder“. Also klärt Walter Scheck uns auf: Die Evangelische Kirche Siebenbürgens befinde sich eindeutig in der Krise, er selbst werde uns wunderbare Kirchenburgen zeigen und er habe noch nie in seinem Leben so leckeren Kuchen wie in Siebenbürgen gegessen. Daher: Krise, Kuchen, Kirchenburgen.

Walter Schenk erwies sich im Vortrag und der anschließenden Diskussion als differenzierter Kenner der Kulturlandschaft Siebenbürgen. Er setzte mit einem historischen Abriss ein, zeigte die Entwicklung über die Jahrhunderte auf, analysierte die bedeutenden Krisenaspekte, skizzierte aktuelle Entwicklungen und konzentrierte sich auf die gegenwärtige Problematik der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien. Den höchsten Stellenwert scheint für ihn aber der direkte Kontakt mit Menschen in Siebenbürgen zu haben, der ihm ermöglicht, die Vielfalt des Lebens vor Ort und das Naturell der Siebenbürger kennenzulernen: Armut, Existenzsorgen, mangelnde Infrastruktur einerseits, Zusammenhalt, eine gewisse Form von Urzufriedenheit, beruhend auf tiefem Gottesglauben, Kreativität, Zuversicht und Dankbarkeit andererseits, allem voran aber überwältigende Gastfreundschaft.
Vor dem Gottesdienst in der Kirchenburg Malmkrog: ...
Vor dem Gottesdienst in der Kirchenburg Malmkrog: Gastpfarrer Scheck begrüßt Kurator Michael Linzig und seine zwei Kinder. Foto: privat
Wir, die Zuhörer, staunten: so viele Ortsbezeichnungen und Namen von Dorfbewohnern, sei es der Hirte oder der Presbyter, der Wirt oder der Küster, die rumänische Konfirmandin oder die sächsische Frau, in deren Wohnzimmer Gottesdienst stattfindet. Und das alles mit deutlich spürbarer Begeisterung, mit viel Empathie erlebt und vermittelt.

Walter Scheck erzählte frei, bezog die Zuhörer aktiv ein, indem er jede noch so kleine Bemerkung aus dem Publikum aufgriff und direkt darauf einging. Während er seine Bilder zeigte, entwickelte sich zuweilen ein lebhaftes Gespräch mit seinen Adressaten. Seine Siebenbürgen-Erlebnisse und -Erfahrungen hat er zu Papier gebracht. Gut so, denn dadurch hat man die Möglichkeit, alles Erzählte nachzuschlagen und es sich zu Gemüt zu führen. Waldhütten, zum Beispiel, „früher sicher ein Paradebeispiel für ein typisches siebenbürgisches Dorf von wohlhabenden Bauern, die ihre Höfe mit Stolz, Tatkraft und Traditionsbewusstsein gebaut und betrieben haben. Man kann das an den Höfen ablesen, die noch erhalten sind.“ (Quelle: Schreibwerkstatt von Walter Scheck) – heute: eine den Umständen angepasste evangelische Kirchengemeinde, die wie folgt funktioniert: in der guten Stube von Maria, der 87-jährigen „letzten Sächsin des Dorfes“, die nicht mehr zur Kirche gehen kann, Gottesdienst mit insgesamt acht Personen. Marias Töchter Karin, Kindergärtnerin und Kuratorin, verheiratet mit einem Rumänen, und Mizzi, zu Besuch aus Arad, ein ungarisch sprechendes evangelisches Rentnerehepaar mit Schwiegertochter und den beiden evangelisch getauften Jungen, die nur rumänisch sprechen, und der schwäbische Pfarrer, der sich als Neuling in Siebenbürgen fragt: „Wie soll das gehen? Nun ja, wir sitzen in der Stube um den Tisch herum, die junge Mutter und die zwei Buben sitzen auf dem Sofa.

Gesangbücher hab ich ausgeteilt (deutschsprachige). Die Bibellesung wird von Mizzi, Marias Tochter, aus dem rumänischen Neuen Testament gelesen, die Predigt wird abschnittsweise und ,der Spur nachʻ von ihr ins Rumänische übersetzt, die Gebete spreche ich in Deutsch und die zwei Choräle singe ich als Solist allein, wobei die Anwesenden andächtig staunend zuhören und die Verse im Gesangbuch mit mehr oder weniger Verständnis mitverfolgen. Die zwei braven Buben machen große Augen. (…) Die Predigt, die ich vormittags in Keisd in einem nur von Sachsen (16 Teilnehmende) besuchten Gottesdienst schon gehalten hatte, hab ich natürlich stark vereinfacht und aufs Wesentliche konzentriert (,elementarisiertʻ), eine für jeden Prediger heilsame Übung! (…) Mizzi schließt mir die Kirchenburg auf und geht mit hinein. Was für ein Bau! Eine hohe, mächtige, in einem unregelmäßigen Viereck angelegte Wehrmauer umschließt das Kirchengebäude. Vier massige Türme markieren die Ecken. (…) In der Kirche Staub auf den Bänken, Staub auf dem Altar, Staub auf den bestickten Gedenkfahnen und Samtbehängen. Hier war schon lange kein Gottesdienst mehr. Auf dem Altarparament der in gotischer Zierschrift hineingestickte Spruch ,Gottes Wort bleibt in Ewigkeitʻ. Ja, meditiere ich, Gottes Wort schon – aber die zu dieser Kirche einstmals gehörenden Menschen blieben nicht …Wo hören sie es jetzt, wenn sie es hören?“ Das allerdings ist ein anderes Problem!

Ähnlich, wenngleich mit ortsspezifischen Merkmalen, sind die Eindrücke von den anderen betreuten Gemeinden. Der Gastpfarrer reißt die Geschichten von Dagebliebenen, von Sachsen, die mehrere Monate im Sommer in Siebenbürgen leben, von Rückkehrern, Besuchern, Neusiedlern, von Gästen und Einheimischen an und versetzt seine Zuhörer in Staunen darüber, was man in so kurzer Zeit erfahren und sich merken kann über ein bis dahin (fast) unbekanntes Land.

Walter Schecks Plädoyer für Hermannstadt aus dem Kapitel „Ochsenaugen auf Ziegeldächern“ könnte – abgewandelt auf Siebenbürgen – als Fazit etwa so lauten: Also, wer immer dies liest: Siebenbürgen ist wunderschön! Ein Landstrich mit Geschichte, Kultur und multiethnischer Lebendigkeit. Wenn du, liebe Leserin, und du, lieber Leser, nach Siebenbürgen kommst, vergiss nicht zu sagen, du habest uns preisen hören die Gastlichkeit dieses Ortes, die hohe Kochkunst, die Freundlichkeit der Gastgeber und die Lieblichkeit der Menschen.

Wie gesagt, gegen den „virus transilvanicus“ scheint kein Kraut gewachsen zu sein, und so wird Pfarrer Scheck auch in diesem Jahr in Siebenbürgen seelsorgerisch tätig sein, Gottesdienst halten und Menschendienst leisten, und vielleicht wird er wieder den Weg zu uns, den Heilbronner Senioren, finden, um uns auf die ihm eigene, erfrischende, mitreißende, herzliche Weise davon zu erzählen.

Hannelore Schuster

Schlagwörter: Pfarrhaus, Siebenbürgen, Heilbronn

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Neueste Kommentare

  • 05.07.2017, 23:07 Uhr von Doris Hutter: Es hat mich tief berührt, wie Pfarrer Scheck die Siebenbürger erlebt hat. Ich danke ihm, dass er ... [weiter]

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