4. Juni 2010

Heilbronner Ausstellung: Borges’ „Bibliothek von Babel“ in Wonners Bildern

Was ist das Universum? Fläche, Raum und die vierte Dimension: die Zeit! In der Ausstellung „Die Bibliothek von Babel“, die bis zum 29. Mai 2010 in der Buchhandlung Osiander in Heilbronn zu sehen war, versuchten Dichtung, Zeichnung, Collage, Kalligraphie, Typographie und Objekt das Universum einzufangen ... als Bibliothek von Borges, Lebenserfahrung des aus Schirkanyen stammenden Graphikers und Künstlers Diethelm Wonner oder Rezeptionsprozess und Inspiration des Betrachters.
Die Ausstellung ging von Jorge Luis Borges’ Erzählung „Die Bibliothek von Babel“ aus, da dessen Idee, das Universum als unendliche Bibliothek zu sehen, den büchersüchtigen, schriftbegabten, buchstabenvertrauten Menschen Diethelm Wonner in seinen Bann gezogen und fasziniert hat, aber gleichzeitig auch den phantasiebegabten Künstler Wonner vom Text weg zu den Grundgeheimnissen unserer Existenz, zu den Ursprüngen des Lebens, zu den vier Elementen Luft, Wasser, Erde und Feuer geführt hat. Doch die Ausstellung reichte weit über den Text hinaus, denn es ist Darstellung und Interpretation zugleich, wenn Wonner mit Borges die Seelen der Menschen durch das Universum schweben lässt, das ganze Wissen des Menschenlebens mit sich tragend: Die Finsternis gebiert hier noch einmal das Licht. Die Offenbarung wird nicht hinterfragt. Das Hohelied der Liebe ist gegeben. Ihm werden die Gräueltaten der Menschheit entgegengestellt. Bibel versus Kapital. Zwei Bücher. Sie stehen in der „Bibliothek von Babel“.
Diethelm Wonner: „Das Universum und das Hohelied ...
Diethelm Wonner: „Das Universum und das Hohelied der Liebe“. Foto: der Künstler
Was ist diese Bibliothek? Für Borges ist sie „das Universum, das sich aus einer undefinierten, womöglich unendlichen Zahl sechseckiger Galerien zusammensetzt, mit weiten Entlüftungsschächten in der Mitte (...). Von jedem der Stockwerke kann man die unteren und oberen Stockwerke sehen: grenzenlos. (...) Auf jede Wand kommen fünf Bücherregale; jedes Regal faßt zweiunddreißig Bücher gleichen Formats; jedes Buch besteht aus einhundertzehn Seiten, jede Seite aus vierzig Zeilen, jede Zeile aus achtzig Buchstaben von schwarzer Farbe.“ (aus Jorge Luis Borges: „Die Bibliothek von Babel“). Die Bibliothek umfasst alles Erlebte und Erlebbare. Sie ist total und unendlich.

Was ist die Unendlichkeit? Max Frisch, Zeitgenosse von Borges, lässt auf diese Frage den modernen Renaissancemenschen Don Juan folgende Antwort geben: „Was ist feierlicher als zwei Striche im Sand, zwei Parallelen? Schau an den fernsten Horizont, und es ist nichts an Unendlichkeit; schau auf das weite Meer, es ist Weite, nun ja, und schau in die Milchstraße empor, es ist Raum, daß dir der Verstand verdampft, unausdenkbar, aber es ist nicht das Unendliche, das sie allein dir zeigen: zwei Striche im Sand, gelesen mit Geist.“ (Max Frisch: „Don Juan oder Die Liebe zur Geometrie“). In dieser Ausstellung hat der Künstler und Graphiker Diethelm Wonner den Betrachter zu diesem Unendlichkeitssymbol geführt und ihn das Staunen über das Wissen gelehrt.

Freya Klein

Schlagwörter: Kunst, Ausstellung

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