21. Juli 2010

60 Jahre Kreisverband Kempten/Allgäu – Sängerfest des Landesverbandes Bayern

Bei fast schon tropischen Temperaturen feierte der Kreisverband Kempten/Allgäu des Verban­des der Siebenbürger Sachsen in Deutschland am 10. Juli sein 60-jähriges Bestehen und richtete gleichzeitig das Sängerfest des Landesverbandes Bayern aus. Über 500 Gäste hatten sich im – zum Glück klimatisierten – historischen Kornhaus eingefunden, unter ihnen Kemptens Oberbürgermeister Dr. Ulrich Netzer, der die Schirmherrschaft übernommen hatte.
Der „Jubiläumsmarathon“ begann bereits am Vormittag mit einem Chorleiterseminar unter der Leitung von Wilhelm Stirner, ehemaliger Lei­ter des Hermannstädter Männergesangsvereins und aktuell „erster Mann“ des „Vocalis“-Chors der HOG Nadesch. Nach einem kurzen Exkurs über den deutschen Komponisten Friedrich Silcher (1789-1860) und die Epochen der Musikgeschichte kamen aktuelle Themen auf den Tisch: die Rechte an den Liedern. Es wurden Erfahrungen ausgetauscht und Synergieeffekte bei der Beschaffung und Nutzung kostenpflichtigen Liedgutes ausgelotet. Doris Hutter, Kulturreferentin des Landesverbandes Bayern, bat abschließend darum, bei Auftritten der Chöre in Tracht immer auch auf das äußere Erscheinungsbild zu achten: Schuhe, Schürzen, Rocklängen, Kopfbedeckungen etc. sollten harmonieren. Nach Ende des Seminars wurden die Teilnehmer in die wohlverdiente Mittagspause ans Büfett entlassen.

Den Festakt eröffnete Dankwart Gross, Vorsit­zender des Kreisverbandes Kempten seit 1994. Als Ehrengäste konnte er Dr. Ulrich Netzer, Ober­bürgermeister der Stadt Kempten und Schirmherr der Veranstaltung, Anton Klotz, stellvertre­tender Landrat des Landkreises Oberallgäu, Pfarrer Rainer Piscalar, Regionalsprecher der evangelisch-lutherischen Kirchen in Kempten, Herta Daniel, Vorsitzende des Landesverbandes Bayern der Siebenbürger Sachsen, Doris Hutter, stellvertretende Bundesvorsitzende und Kulturreferentin des Landesverbandes Bayern, sowie mehrere Kreisgruppenvorsitzende begrüßen. „Ganz besonders freut es mich“, so Dankwart Gross, „Artur Gross zu begrüßen. Er ist Gründungsmitglied und seit 60 Jahren aktives Vorstandsmitglied unseres Kreisverbandes – schön, dass du da bist.“ Auch seine beiden Vorgänger im Amt des Kreisvorsitzenden, Dipl.-Ing. Dr. Georg Kautz und Konrad Messe, hieß Gross herzlich willkommen und nicht zuletzt die zehn Chöre, die zum Sängerfest aus ganz Bayern angereist waren. In einem kurzen Rückblick ließ Gross 60 Jahre Kreisverband Kempten Revue passieren und wies auf die Festschrift hin, die zum Jubiläum herausgegeben wurde und alles Wissenswerte über Gründung, Entwicklung und Tätigkeitsschwerpunkte des Kreisverbandes enthält. „Wir fühlen uns wohl im Allgäu“, sagte der Kreisverbandsvorsitzende stellvertretend für seine Landsleute in Kempten und Umgebung, „die Nähe und der Blick auf die Alpen erinnern uns an die Karpaten, die unsere siebenbürgischen Städte und Dörfer umgeben.“ Einen kritischen Blick warf Gross auf die Entwicklung der Mitgliederzahlen. „Heute zählt der Kreisverband 297 Familienmitglieder. Einerseits sind wir froh über eine gelungene Eingliederung unserer Kin­der und Jugendlichen, andererseits würden wir uns sehr freuen, wenn eine jüngere Generation das weiterführt, was vor 60 Jahren begann.“ Dies ist wohl das größte Dilemma der siebenbürgischen Gemeinschaft: Die Integration der Jüngeren ist gelungen, aber dadurch verlieren sie auch ihre Bindung an die Herkunftsgebiete. „Wir wollen der jungen Generation helfen, sich ihrer Wurzeln zu besinnen“, schloss Gross und wünschte allen Gästen einen „schönen musikalischen Nachmittag“.

Herta Daniel, Vorsitzende des Landesverbandes Bayern, überbrachte Grüße des Landes- und des Bundesvorstands und nahm die Gäste in ihrer Festrede mit auf einen Streifzug in das Deutschland des Jahres 1950, in dem der Kreisverband gegründet wurde. Die Lage der Millionen Vertriebenen in Deutschland war schlecht, aber mit der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, die auch von einem Siebenbürger Sachsen, Erwin Tittes, unterschrieben worden war und am 5. August 1950 in Stuttgart verkün­det wurde, stellten sie die Weichen für ein friedliches Europa. Auch für die Siebenbürger Sach- sen war das Jahr 1950 bedeutsam. Im Februar wurde die Reihe der Heimattreffen mit einer Veranstaltung in Uffenheim eröffnet, im Juni erschien die erste Ausgabe der Siebenbürgischen Zeitung, im Oktober wurden 800 Jahre seit der Ansiedlung der Siebenbürger Sachsen mit Bundespräsident Theodor Heuss als Ehrengast gefeiert – ein ereignisreiches Jahr, in dem die Landsleute in Kempten sich zusammenschlossen. Herta Daniel hob besonders die gute Vernet­zung mit den Einheimischen hervor. So besteht seit Beginn der 80er Jahre eine konstruktive Zusammenarbeit mit der evangelischen Markus­gemeinde des Kemptener Stadtteils Thingers, und auch zur Lokalpolitik gibt es gute Kontakte. Die Anwesenheit eines Vertreters der Kirche, des Oberbürgermeisters, gleichzeitig Schirmherr, und des stellvertretenden Landrats sei ein bemerkenswerter Beweis dafür, so Daniel.

Herta Daniel verleiht Dankwart Gross das goldene ...
Herta Daniel verleiht Dankwart Gross das goldene Ehrenwappen. Foto: G. Roth
Zu einem Jubiläum gehören Ehrungen. Herta Daniel verlieh Artur Gross, Gründungsmitglied des Kreisverbandes Kempten, und seiner Frau Frieda für ihren beispielhaften Einsatz für die Förderung und Pflege der siebenbürgischen Gemeinschaft eine Urkunde des Landesverbandes Bayern, ebenso Andreas Späck, der von 1975 bis 2001 als Aussiedlerbetreuer des Kreisverbandes gewirkt und zahlreichen Landsleuten und anderen Aussiedlern geholfen und den Anfang in der neuen Heimat erleichtert hat. Die höchste Auszeichnung des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, das goldene Ehrenwappen, verlieh Herta Daniel an Dankwart Gross, der nicht nur seit 1994 Kreisverbandsvorsitzender ist, sondern von 2000 bis 2008 Schriftführer des Landesverbandes Bayern war und seit 2008 „das in diesen Zeiten der Sparzwänge nicht unbedingt leichte Amt als Kassenwart“ innehat. „Wir können alle beruhigt schlafen“, so Daniel, „Dankwart hat mit seiner ihm eigenen Gründlichkeit, Genauigkeit und buchhalterischen Fachkompetenz alles fest und bestens im Griff!“ Überrascht und ein wenig gerührt nahm Dankwart Gross die Auszeichnung entgegen – hatte er doch als Organisator der Veranstaltung mit allem gerechnet, nur nicht mit dieser Ehrung.

Oberbürgermeister Dr. Ulrich Netzer gratulierte den Geehrten und erinnerte sich an Feste in seiner eigenen Familie. „Je mehr man gesungen hat, desto schöner war’s.“ Die Siebenbürger hätten großen Fleiß und hohe Bildung in Stadt und Region eingebracht, was nicht hoch genug eingeschätzt werden könne. Egal, woher man komme, man solle die Heimatpflege hochhalten und dadurch seine Identität bewahren. Netzer wünschte weitere Generationen zur Fortführung der Traditionen und überreichte dem Kreisverband einen Scheck.

Pfarrer Rainer Piscalar erzählte in launigen Worten von seiner ersten Begegnung mit Sieben­bürger Sachsen als junger Vikar bei einer Beerdigung in München – „Es war eine schöne Lei- che.“ – und hatte die Lacher auf seiner Seite. Auch eine Einladung bei Siebenbürgern in Augs­burg hat ihn nachhaltig beeindruckt: „Schwere und Beschwingtheit“ – und damit meinte er das reichhaltige Essen und den Pali, der großzügig ausgeschenkt wurde – „gehen bei Ihnen Hand in Hand.“ Piscalar erwähnte auch die siebenbürgische Mundart, die „Gemütlichkeit erzeugt“, und dankte besonders für die Liebe, die Leidenschaft und die Energie, die die Siebenbürger für die Kirche aufbringen. „Wir brauchen euch!“

Der stellvertretende Landrat Anton Klotz überbrachte Glückwünsche des Landkreises Oberallgäu und zitierte Golo Mann: „Wer nicht um seine Heimat weiß, hat keine Zukunft.“ Ein Jubiläum sei geeignet, sich an Traditionen zu erinnern und diese zu pflegen. Er bezeichnete die Siebenbürger als gutes Beispiel dafür, wie man sich selbst integriert. „Sie besitzen gelebte Kultur, die uns bereichert.“

Dankwart Gross dankte den Rednern für die guten Wünsche und allen, die den Kreisverband unterstützt und zum freundschaftlichen Zusammenhalt beigetragen haben.

Das Sängerfest des Landesverbandes Bayern war Umrahmung und zugleich Höhepunkt der Jubiläumsfeier in Kempten. Der Kreisverband hätte sich damit, so Herta Daniel, „einige Geburtstagsständchen herbeigeholt“, und das aus dem gesamten Bundesland. Aus Nürnberg und München, Bad Tölz und Augsburg, Karlsfeld und Neuburg, Landsberg und Ingolstadt, Rosenheim und Fürth waren zehn Chöre gekommen, um zu gratulieren und die Tradition des gemeinsamen Singens zu feiern. Doris Hutter begrüßte Aktive und Gäste mit dem chinesischen Sprichwort „Die Zunge ist der Degen der Frauen. Sie lassen ihn nie rosten“, wies aber darauf hin, dass in den Chören natürlich auch Männer sängen. Die Moderation des Sängerfestes lag in den Händen – und Zungen – von Maria Krech und Senta Wotsch, die charmant durch das Programm führten, unterstützt von den Mitgliedern des Laientheaters SALATH des Kreisverbandes Kempten, die zwischen den Chordarbietungen Sketche und Gedichte zum Besten gaben. Der gemischte Chor der HOG Nadesch „Siebenbürger Vocalis“ unter der Leitung von Wilhelm Stirner eröffnete den Sängerreigen, es folgten der Reußmarkter Chor, Leitung Wilhelm Spielhaupter, der gemischte Chor der Kreisgruppe Bad Tölz – Wolfratshausen, Leitung Johann Stirner, und der Sieben- bürger Chor Augsburg, geleitet von Elisabeth Schwarz. Über Kleeblätter, Brombeeren, Kirsch­blüten und den Zeisig wurde gesungen – eine durchaus „sommerliche“ Mischung aus acht Lie­dern. Die für danach angesetzte kaffepaussi (wie es im Finnischen heißt) musste aus Zeitgründen gestrichen werden, was für leichte Unruhe im Saal sorgte, da sich die Gäste Kuchen und Kaffee natürlich nicht entgehen lassen wollten. Trotz der Hintergrundgeräusche ging es aber mit der Singgemeinschaft der Kreisgruppe Karlsfeld – Dachau, Leitung Wido Viktor Fleischer, und den Kirschenaugen weiter, gefolgt vom Siebenbürgischen Singkreis Neuburg an der Donau, Leitung Lisbeth Schell, der die Zuhörer ins Frühjahr sang, und dem von Hans Hannich geleiteten Landsberger Chor – auch hier blühten die Kirschen. Der Chor der Kreisgruppe Ingolstadt, Leitung Ludwig Seiverth, verabschiedete den Jäger, der Chor der Kreisgruppe Rosenheim, Leitung Hedwig Zermen, blieb mit dem Sängerlied ganz im Thema, und den Schlusspunkt setzte der Siebenbürger Chor Fürth – Nürnberg, geleitet von Reinhold Schneider, mit seiner Anklage „Nor tea bäst schuld“.
„Frisch gesungen im Kreise der Lieben“: Aus über ...
„Frisch gesungen im Kreise der Lieben“: Aus über 300 Kehlen ertönt zum Abschluss des Sängerfestes in Kempten ein gemeinsames Lied. Foto: G. Roth
Ihren Höhepunkt erreichte die Jubiläumsfeier mit dem gemeinsamen Singen aller Chöre. Dicht gedrängt auf und neben der Bühne, dirigiert von Wilhelm Stirner, sangen die Sängerinnen und Sänger gemeinsam das Lied „Frisch gesungen im Kreise der Lieben“. Doris Hutter überreichte jedem Chor eine Urkunde des Landesverbandes Bayern und dankte allen Teilnehmern und Organisatoren, allen voran Dankwart Gross. Auch der Kreisverband bedankte sich bei ihm und seiner Frau Gerlinde für die gute Organisation der Veranstaltung. Bevor die Gäste sich aus dem Staub machen konnten, um rechtzeitig zum Spiel der deutschen Nationalmannschaft um Platz 3 bei der Fußball-WM zu Hause zu sein, wurde das Siebenbürgenlied angestimmt – das 60-jährige Jubiläum des Kreisverbandes Kempten/Allgäu und das Sängerfest des Landesverbandes Bayern fanden einen würdigen und einträchtigen Abschluss.

Doris Roth


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Schlagwörter: Chor, Sänger, Jubiläum, Kreisgruppe, Bayern

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