5. November 2010

Mythen aus den Karpaten

Vor kurzem fand die vierte Zusammenkunft des auf Initiative des Bildhauers und Mythenforschers Tilmann Krumrey im Februar 2010 gegründeten Mythologischen Round Table München (MRTM e.V.) statt. Es handelt sich dabei um einen offenen Kreis von Mythen-Freunden, wo man sich zu einem Vortrag und anschließendem Gespräch über Themen aus dem weiten Bereich der Mythen trifft. Der MRTM entstand als zweite Arbeitsgruppe in Deutschland der amerikanischen Joseph Campbell Foundation (JCF).
Die zwei primären Fragen, die sich den Zuhörern bei der vierten Begegnung im Rahmen des Forschungsprojekts über „weibliche Mythen“ stellten, lauteten: Ist die Erzählstruktur des Monomythos, die sogenannte „Heldenfahrt“, ein männlich dominiertes Muster, das für Frauen keine Gültigkeit hat? Gibt es eine verlorene Symbolsprache und ein spezifisch weibliches Muster in matrifokalen Gesellschaften?

Zum Auftakt und Einstieg in dieses mythologische Forschungsprojekt des MRTM hielt der Schriftsteller und Ethnologe Dr. Claus Stephani, Mitbegründer des Round Table, einen Vortrag über die mythische Gestalt der Dokia, die in der Volkserzählung der Ethnien am Rande der siebenbürgischen bzw. moldauischen Karpaten – Rumänen, Zipser Sachsen, Ruthenen, Ostjuden – in verschiedenen Varianten als weibliche Heldin auftritt. Dabei führte Claus Stephani den Ursprung des Dokia-Motivs auf die dakisch-römische Zeit (Anfang des 2. Jhs.) zurück, aus der die erste Dokia-Legende überliefert ist.

Damals soll Dokia, die Tochter des Dakerkönigs Dezebal, vom Kaiser Trajan bis hinauf in die Berge verfolgt worden sein, wo sie schließlich, um nicht entehrt zu werden, so die Legende, vom Gott Zamolxes in einen anthropomorphen Felsen verwandelt wurde. Diese steinerne Frauengestalt kann man auch heute noch oben im Ceahlău-Gebirge sehen. Zum ersten Mal stellte Stephani vergleichende Betrachtungen zwischen der nordsiebenbürgisch-zipserischen Dokiafigur und der in ostjüdischen Kaskales überlieferten Frauengestalt Jente – einer tragischen, vieldeutigen Variante des Dokia-Motivs – zur Diskussion.

Weiblicher Sirenenvogel, Terrakotta, 4. Jh. ...
Weiblicher Sirenenvogel, Terrakotta, 4. Jh. v.u.Z. Staatliche Antikensammlung, München.
Danach folgerte Tilmann Krumrey, der als Leiter der Gesprächsrunde das Thema aktualisierte und ein vorläufiges Fazit zog, dass „das alte Rollenmodell der Frau in unserer Gesellschaft ausgedient“ hat „und ein neues noch nicht erkennbar ist. In einer Übernahme oder Nachahmung männlicher Verhaltensweisen kann jedoch eine neue Vorstellungswelt nicht wirklich wurzeln und daher daraus auch nicht abgeleitet werden“.

An den lebhaften Diskussionen beteiligten sich unter anderem Kunst- und Kulturmanager Dr. Helmut Pitsch, die Architekten Hajo Bahner und Susanne Schütte-Steinig, Dipl.-Päd. Karl Albert, Lehrer für Transzendentale Meditation, Kunsthistorikerin Brigitte Stephani-Nussbächer, Andrea Pollak, Herausgeberin der Online-Zeitung Isarbote, sowie die Galeristin und Gastgeberin Dr. Michaela Prinzessin Wolkonsky.

„Diese Abende verstehen sich“, so Tillmann Krumrey, „als offene Diskussionsplattform für an Mythologie Interessierte. Dabei geht es vornehmlich darum, aus verschiedenen Blickwinkeln mythische Themen anzuleuchten und zu diskutieren.“

Die nächste Veranstaltung des MRTM – zum Thema „Gewalt und Frieden“ – findet am 6. Dezember, 19.00 Uhr, im Künstleratelier, Brienner Straße 48, in München statt. Im Internet kann man sich unter www.mrtm.info über Begegnungen und Tätigkeit des mythologischen Arbeitskreises informieren.

Michaela Trost

Schlagwörter: München, Mythen

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