25. Mai 2011

Mariana-Virginia Lăzărescu stellt drei deutsch schreibende Autorinnen aus Rumänien vor

Eine wertvolle Hilfeleistung für Studierende der Germanistik und nicht bloß für diese bietet der 2009 im Wissenschaftlichen Verlag in Berlin erschienene Band der Germanistin Mariana-Virginia Lăzărescu: „’Schau, das Leben ist so bunt’: Selma Meerbaum-Eisinger, Karin Gündisch und Carmen Elisabeth Puchianu: drei repräsentative deutsch schreibende Autorinnen aus Rumänien“.
Im Vorwort erklärt die 1953 in Kronstadt geborene Literaturkritikerin Lăzărescu ihr Hauptauswahlkriterium. Es ist dies, wie es in Westeuropa immer gerne gehört wird, das Prinzip Freiheit: „Eine wichtige Vokabel im Leben aller drei Schriftstellerinnen war und ist Freiheit.“

Bei Selma Meerbaum-Eisinger, am 15. August 1924 in Czernowitz in der Bukowina geboren, trifft dies sicherlich voll zu. 1941 kam sie mit ihrer Familie in ein Ghetto. Von dort im Juni 1941 in das rumänische KZ „Cariera de piatra“ (Steinbruch) nach Transnistrien und dann in das deutsche KZ Michailowka in der Ukraine, wo sie schon am 16. Dezember 1942 im Alter von erst 18 Jahren an Flecktyphus starb. Von den 57 handschriftlich erhaltenen Gedichten sind 51 eigene und sechs Übersetzungen.

Bevor Lăzărescu mit ihren eigenen, sehr einfühlsamen Gedichtpräsentationen und Analysen den Leser anschaulich in die naturverbundene, heile, lebensfrohe, aber auch ahnungsvolle Lyrik Meerbaum-Eisingers einführt, vergleicht sie zunächst Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) mit Selma Meerbaum-Eisinger: beide jüdische Autoren, der alten Habsburger Monarchie kulturell verbunden, wobei Hofmannsthal zum Katholizismus konvertierte, Meerbaum-Eisinger aber ihre jüdische Identität in einer zionistisch-sozialistischen Jugendgruppe lebte. Hugo von Hofmannsthal, dem Impressionismus und Symbolismus verpflichtet, hat oft dieselben Themen auf seine Weise behandelt wie Selma Meerbaum-Eisinger dann auf ihre. Aus der Gegenüberstellung von zwei Frühlingsgedichten arbeitet Lăzărescu dies heraus.

Die Todesahnung von Selma Meerbaum-Eisinger führt Lăzărescu dem Leser anschaulich vor Augen mit dem Zitieren des langen Gedichtes „Poem“ aus der Anthologie von Heinz Seydel: „Welch Wort in die Kälte gerufen. Die Judenverfolgung des Dritten Reiches im deutschen Gedicht.“ (Verlag der Nation, Berlin 1968). Sie stellt es der etwas veränderten, ein paar Zeilen längeren Fassung aus Jürgen Serkes Band gegenüber. Es entstand bezeichnenderweise am 7. Juli 1941, dem Tag, an dem der große Tempel in Czernowitz abgefackelt wurde, und endet tragisch: „Ein Leben./ Hauf um Hauf/ sterben sie./ Stehen sie auf./ Nie./ Nie.“ Lăzărescus Essay lässt erahnen, welch ungeheurer Verlust der deutschen Literatur durch dieses tragische Ende der erst 18-jährigen Selma Meerbaum-Eisinger entstanden ist.

Die zweite vorgestellte Autorin ist Karin Gündisch, eine 1948 in Heltau bei Hermannstadt geborene Verfasserin von Kinderbüchern, die 1984 nach Deutschland aussiedelte. In ihrer alten Heimat Rumänien konnte sie in Klausenburg und Bukarest studieren und danach als Deutschlehrerin in der Hauptstadt Bukarest arbeiten und gleichzeitig auch tätig sein bei Presse, Rundfunk und Fernsehen, ebenfalls in Bukarest. Bereits in Rumänien veröffentlichte sie zwei Kinderbücher und wurde 1984 mit dem rumänischen Kinderbuchpreis ausgezeichnet. Im Westen erhielt sie mehrere Preise, darunter den renommierten Peter-Härtling-Preis für Kinder- und Jugendliteratur, ebenfalls 1984. Auch das von Lăzărescu hier ausführlich analysierte Jugendbuch „Cosmin“ („Cosmin von einem der auszog, das Leben zu lernen“, Hanser Verlag, 2005) behandelt die Roma-Problematik anhand des Schicksals eines Kindes, des Roma-Jungen Cosmin, der von einer aufopfernden rumänischen Lehrerin großzügig gefördert wird. Lăzărescu gelingt anschließend eine realistische Gesamtbetrachtung der Situation der acht Millionen Roma in Europa, zwei davon allein in Rumänien.

Die dritte von Lăzărescu vorgestellte Autorin ist Carmen Elisabeth Puchianu, unter dem Titel (ein Zitat von Puchianu): „Ich gehöre zu den Schriftstellern, die keine Erfinder sind, sondern eher Finder.“ Carmen Elisabeth Puchianu, 1956 in Kronstadt geboren und auch heute noch dort lebend, gehört der mittleren Generation rumäniendeutscher Autorinnen in Rumänien an und ist besonders wichtig als Brückenbauerin zwischen der deutschsprachigen Literatur in Rumänien, wo sie häufig veröffentlicht, und dem binnendeutschen Raum, in dem ihre Bücher auch erscheinen.

Lăzărescu untersucht zunächst das wohl wichtigste Motiv in Puchianus sowohl lyrischem wie auch epischem Werk, das Problem des Verstreichens der Zeit. In der Epik untersucht sie die puchianische Zeitbehandlung in zwei Erzählungen aus dem Sammelband „Der Ameisenhaufen und andere Geschichten.“ (Aldus Verlag, Kronstadt, 1998). In „Wirrnis, eine Kindergeschichte“ muss ein Lehrer u. a. einsehen, dass er die Zeit nicht rückgängig machen kann, indem er lose Kalenderblätter mit alten Erinnerungen wieder in den fortlaufenden Kalender einheftet.

In „Die Pendeluhr“ werden diesem Zeitmesser nach und nach menschliche Eigenschaften zugeschrieben, die ihrer Besitzerin bis zu ihrem letzten Stündlein dienlich sind.

Die kunstvolle Zeitschichtung mit unterschiedlichen Zeitebenen wird von Lăzărescu als zentrales Gestaltungsprinzip im Sinne von Gero von Wilperts Unterscheidung von Erzählzeit und erzählter Zeit analysiert.

Auch in der Interpretation ihrer Lyrik stellt Lăzărescu das Zeitmotiv als Puchianus Grundanliegen dar. Schon der Titel ihres ersten Gedichtbandes „Das Aufschieben der zwölften Stunde auf die dreizehnte“ (Dacia Verlag, Klausenburg 1991) deutet dies an. Fortgeführt wird disee Thematik in ihrem zweiten Gedichtband „Unvermeidlich Schnee“ (Karl Stutz Verlag, Passau, 2002), zumal der Titel eine direkte Fortführung eines Gedichtes aus dem ersten Gedichtband ist. Dieses endet: „unvermeidlich steht uns allen Schnee bevor“.

In der Geschichte „Ein Stückchen Hinterhof“ („Ein Stückchen Hinterhof. Novellistische Familienchronik.“, Hora Verlag, Hermannstadt,, 2001) erkennt Lăzărescu Puchianus Fähigkeit, mit Tiersymbolik – hier Katzen – menschliche Schicksale zeitübergreifend anzudeuten. Diese Geschichte, wie auch die Kurzgeschichten aus dem Band „Der Begräbnisgänger“ (Karl Stutz Verlag, Passau, 2007) spielen zu einem guten Teil in Kronstadt, der Vaterstadt Carmen Puchianus. Das berühmte Restaurant Krone, die Heimatstadt am Fuße der Zinne, der alte Rathausplatz im Zentrum der Stadt werden hier unverwechselbar geschildert. Auch die Sprache der Kronstädter mit ihren Austriazismen noch aus der Zeit der K.u.K.-Monarchie, der sie auch angehörten, wird von Lăzărescu untersucht. Zur Erinnerung an die Kulturleistungen in diesem Raum im Karpatenbogen über 800 Jahre kann dieser Essay Lăzărescus über die Kronstädter Lyrikerin und Epikerin Carmen Elisabeth Puchianu auch als ein Gedenkbeitrag gewürdigt werden.

Ingmar Brantsch


Mariana-Virginia Lazarescu: „’Schau, das Leben ist so bunt’: Selma Meerbaum-Eisinger, Karin Gündisch und Carmen Elisabeth Puchianu: drei repräsentative deutsch schreibende Autorinnen aus Rumänien“, Wissenschaftlicher Verlag, Berlin 2009, 105 Seiten, 17,80 Euro, ISBN 978-3-86573-445-7.

Schlagwörter: Literatur, Rezension, Schriftsteller

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  • 25.05.2011, 19:01 Uhr von bankban: Eine (in meinen Augen) komische Zusammenstellung und Auswahl. Inwiefern sind / sollen diese drei ... [weiter]

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