22. April 2012

Schön zum Hören, anregend zum Singen

Zwei musikalische Veröffentlichungen der letzten Zeit legen uns nahe, der ansehnlichen und bemerkenswerten Reihe siebenbürgischer Liederkomponisten zwei Namen hinzuzufügen und damit gleichzeitig das Singrepertoire zu erweitern.
Die zwei Namen gehören zwar nicht zu jenen bedeutenden Schöpfern volkstümlicher Lieder – herausragende Komponisten oder Volkssänger und -musikanten –, die Ende des neunzehnten und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts den „Siebenbürgischen Liederfrühling“ (Otto Folberth) einleiteten, den ersten Höhepunkt erreichten und zum Teil auch in anderen deutschsprachigen Landschaften bekannt wurden, wie Hermann Bönicke, Michael Zikeli, Georg Meyndt, Friedrich Schiel, Hermann Kirchner und Rudolf Lassel, auch nicht zu denjenigen, die diese einmalige und erstaunliche Entwicklung fortführten, wie Heinrich Bretz, Josef Eisenburger, Carl Reich, Hans Mild, Fritz Schuller, Karl Fisi, Anna Schuller-Schullerus oder Grete Lienert-Zultner, deren Lieder in deutscher Hochsprache oder in der siebenbürgisch-sächsischen Mundart in kürzester Zeit, wie auch die der Erstgenannten, zu Volksliedern wurden und weite Verbreitung in allen Volksschichten fanden, in Haus und Schule, in Verbänden, Vereinen und Chorgemeinschaften, in den Stuben und auf den Gassen und Plätzen der Dörfer.

Man kann die zwei Namen jedoch im gleichen Atemzug nennen mit Eduard Orendi, Andreas Nikolaus, Gustav Schmidt, Martin Kutschis, Michael Buchholzer, Rolf Müller, Johann Wellmann, Paula Wagner-Henning, Christine Maly-Theil, Käthe Zerbes-Rosenauer, Rosa Kraus u.a., wobei neue Aspekte erkennbar werden, die ergänzend und bereichernd wirken.

Die Hermannstädter Singgruppe Sälwerfäddem (mundartlich für Silberfäden) hat eine CD mit dem Titel „Frähjohrswängt“ (Frühlingswind) zum Gedenken an Frida Binder-Radler bereitgestellt. Wir erfahren aus dem Begleittext, dass Frida Radler 1908 in Elisabethstadt geboren wurde, sich zunächst in Schäßburg zur Grundschullehrerin ausbildete, nach einem weiteren Studium als Kunstpädagogin und Bühnenbildnerin in Hermannstadt tätig wurde, wo sie 1986 starb. Sie hat neben mundartlichen Liedern, Gedichten und Bühnenstücken auch Gemälde und plastische Bildwerke hinterlassen.

Der Untertitel der CD „Lieder und Gedichte von Frida Binder-Radler“ ist nicht ganz stimmig. Bei sieben Liedern sind jeweils zwei Namen angegeben, ohne dass deutlich wird, welcher Name für den Textdichter und welcher für den Komponisten steht. Da die an zweiter Stelle angeführten Namen, Martin Kutschis, Hans Mild, Heinrich Bretz und Michael Botradi, als Liederkomponisten bekannt sind, ist anzunehmen, dass mit dem bei allen diesen Liedern an erster Stelle stehenden Namen Frida Binder-Radler die Textdichterin gemeint ist. Nur bei drei Liedern ist als einziger Name Frida Binder-Radler angegeben, wobei nicht ersichtlich ist, ob die Liedautorin auch die Textautorin ist. So ist nicht klar, wieviel und welchen Anteil Binder-Radler an den Liedern hat. Die CD bringt auch vier Vorträge von Mundartgedichten Binder-Radlers. Die Lieder erklingen in traditioneller volkstümlicher Zweistimmigkeit mit Gitarrenbegleitung, zum Teil auch mit einleitenden Blockflöten. Gesungen werden sie von einem kleinen Frauenchor, stellenweise auch solistisch. Gerne wüsste man, wer die Sängerinnen mit den sympathischen und im doppelten Sinn reinen Naturstimmen sind. Wir finden keine Angaben, weder zu den Interpreten noch zum Tonstudio.

Die zweite hier in Rede stehende Veröffentlichung ist ein von Klaus Oyntzen unter dem einem Liedtext entnommenen Titel „Wo der Königstein schaut tief ins Land hinein“ zusammengestelltes Büchlein über den Volksmusikanten, Musikpädagogen, Komponisten, Blaskapellmeister, Erzähler und Heimatdichter Johann Rudolf Klusch, der fast immer mit Rudi Klusch zeichnete. Es enthält biographische Angaben, Reproduktionen von Autographen und Liedveröffentlichungen, Gedichte, Bilder, Texte anderer Autoren über den Musiker und Anekdoten aus dessen Leben. Beigefügt ist eine CD mit hauptsächlich von zwei Männerstimmen oder zwei Frauenstimmen gesungenen und von Instrumenten begleiteten Liedern von Klusch in zeitgenössischen privaten Ad-hoc-Aufnahmen. Mehrere Texte und Berichte gewähren Einblick in das noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg unter kommunistischen Zwängen bestehende volksmäßige Musikleben und das Laienmusizieren in der gebeutelten und in Auflösung begriffenen siebenbürgisch-sächsischen Gesellschaft.

Geboren wurde Rudi Klusch 1906 als Bauernsohn in der Gemeinde Birthälm, verbrachte aber seine Kindheit im dörflichen Ambiente von Weidenbach bei Kronstadt. Dort nahm er früh schon Musikunterricht und spielte zwölfjährig in der großen Blaskapelle mit. In Sinaia wurde er Militärkapellmeister, worauf er in Kronstadt und Umgebung mehrere Blasmusikkapellen leitete und zu Erfolg führte, was ihm oft Wettbewerbspreise einbrachte. Zehn Jugendkapellen gingen auf seine Initiative zurück. Er starb früh und unerwartet 1966 in Kronstadt, beerdigt wurde er in Weidenbach. Seine von alpenländischen und schlagerähnlichen Melodieelementen geprägten Lieder in der Hochsprache blieben zum Teil als Volkslieder lebendig.

Beide Veröffentlichungen sind dazu berufen, Interesse an den wiedergegebenen Liedern und darüber hinaus generell am siebenbürgischen volkstümlichen Lied zu wecken und vielleicht zum Singen oder Mitsingen anzuregen. Die Siebenbürger Sachsen singen verbreitet auch heute noch gerne, sowohl in der alten Heimat – wie Sälwerfäddem zeigt – als auch hier in Deutschland. Für diejenigen, die nach modernem Brauch eher zu den Hörenden als den Singenden zählen, sind die vorgelegten Publikationen selbstverständlich erst recht empfehlenswert. Sie tragen gleichwohl zur Wahrnehmung eines von Vielfalt charakterisierten Liedguts bei. Willkommen sind sie auch als Informations-, Dokumentations- und Forschungsquelle.

Karl Teutsch


„Frähjohrswängt“. Lieder und Gedichte von Frida Binder-Radler (1908-1986) in siebenbürgisch-sächsischer Mundart, gesungen von der Hermannstädter Singgruppe „Sälwerfäddem“. 2011. Für 5,00 Euro, zuzüglich Porto, zu bestellen bei Wolfgang Binder, Hirblinger Straße 105c, 86156 Augsburg, Telefon: (08 21) 15 41 47, E-Mail: wolfganggerhardbinder[ät]hotmail.com.

„Wo der Königstein schaut tief ins Tal hinein“. Gesammelte Werke von Rudi Klusch, aufgezeichnet von Klaus Oyntzen. Büchlein, 72 Seiten, CD mit bekanntesten Liedern, zu beziehen bei: Klaus Oyntzen, Breisgaustraße 5, 77933 Lahr, Telefon: (0 78 21) 98 19 09, E-Mail: koyntzen[ät]gmx.de, 19,00 Euro, zuzüglich Porto.

Schlagwörter: Mundart, Lieder, Gedicht, Rezension, Musik

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