3. Juni 2014

29. Löwensteiner Musikwoche: Auszüge aus der Operette „Mädel aus Kokeltal“

Im vollbesetzten Maybach-Saal der „Harmonie“ Heilbronn fand mit großem Erfolg am 26. April das Abschlusskonzert der Musikwoche Löwenstein statt. Höhepunkt war die konzertante Aufführung von Teilen der Operette „Mädel aus Kokeltal“ von Richard Karl Oschanitzky, die seit ihrer Entstehungszeit Ende der 1930er Jahre und grandiosen Erfolgen auch in Deutschland nicht mehr aufgeführt worden war.
Über 120 Teilnehmer aus drei Generationen präsentierten das Programm des Abends, das aber noch viel mehr zu bieten hatte: Gleich zum Auftakt konnte der zahlreich besetzte Jugendchor der Musikwoche das Publikum für sich erobern und entwickelte sich im Laufe eines differenzierten, geschickt ausgewählten Repertoires zu einer stimmlich-interpretativ beeindruckenden Leistung. Zu Gehör kamen „Halleluja“ von Jürgen Thies, „Sing Jubilate Deo“ von Jerry Estes sowie Arrangements der Lieder „Viele verachten die edele Musik“, „Die Gedanken sind frei“ und „Hine mah tow“. Unter der temperamentvollen, souverän gestalteten Leitung von Gertraud Winter hinterließ der Jugendchor einen musikalisch beachtlich homogenen Eindruck, der mit viel Applaus honoriert wurde. Mit einer intonationsmäßig mehr als bravourösen Leistung sang sodann der Gesamtchor der Musikwoche das „Alleluja pascal“ des Klausenburger Komponisten Ede Terényi und das „Abendlied“ von Joseph Gabriel Rheinberger. Stimmlich besonders anspruchsvoll war durch ihre harmonisch komplexe Struktur die Motette für Chor und Orgel „Ich will den Herren loben allezeit“ von Waldemar von Baußnern, hier in einer Fassung für Klavier zu vier Händen (mit Christian Turck und Liane Christian). Die ernst-pathetischen Werke, unter anderem die einst viel gespielten Programmsinfonien Baußnerns, finden heute leider kaum noch Beachtung. Der deutsche Komponist verbrachte seine Jugend in Siebenbürgen und wurde bei einem großen siebenbürgischen Baußnern-Fest in den 1920er Jahren gefeiert.

Vor der Pause kam noch das Konzert für Trompete und Orchester in Es-Dur von Johann Nepomuk Hummel zu Gehör. Solist war der junge Trompeter Oliver Christian, der 2009 beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ den Ersten Preis gewonnen hat und derzeit in Hamburg studiert. In den beiden Ecksätzen bestach Oliver Christian mit seiner stupenden instrumental-technischen Virtuosität, um im mittleren zweiten Satz seine musikalische Sensibilität durch ausdrucksintensive warme Tongebung unter Beweis zu stellen. Begeisterter Applaus belohnte diese außergewöhnliche Leistung, zu der sicher auch die adäquate Begleitung des Orchesters unter der Leitung von Erzsébet Windhager-Geréd beitrug – in dem Vater Harald Christian als Konzertmeister mitspielte.
Hans Straub und Johanna Boehme als Peter und Susi ...
Hans Straub und Johanna Boehme als Peter und Susi in Richard Karl Oschanitzkys Operette „Mädel aus dem Kokeltal“
Den musikalisch-schöpferischen Höhepunkt dieses Abschlusskonzertes erreichte ohne Frage die Aufführung der Operette „Mädel aus dem Kokeltal“ von Richard Karl Oschanitzky (1901-1975). Als sei sie eigens für die Musikwoche komponiert, umfasste sie musikalisch-künstlerisch die gesamte Teilnehmerschaft und verband diese zu einem von Frohsinn und Heiterkeit beschwingten, emotional geprägten Gesamterlebnis. Nicht von ungefähr erlebte die Operette – übrigens als einzige ihrer Gattung – nicht nur im Rumänien der Zwischenkriegszeit einen durchschlagenden Erfolg und wurde ein Jahr nach der Erstaufführung in Hermannstadt bei ihrer ersten großen Auslandstournee 1939 in Wien, Leipzig, Stuttgart, Saarbrücken, Mannheim und auf vielen weiteren deutschen Bühnen euphorisch gefeiert. Mit Sicherheit hat Richard Karl Oschanitzky mit seiner Operette nicht nur dem siebenbürgischen Kokeltal ein bleibendes lebendiges Denkmal gesetzt. Schon in der Ouvertüre wurden dem Zuhörer einzelne Themen der Operette in farbiger Instrumentierung vermittelt, wonach sich in den folgenden Sequenzen anhand erzählter Prosatexte und durch das Sextett „Flink ihr Mädchen“ sich eine heiter-animierende Grundstimmung verbreitete. Diese verdichtete sich zunehmend durch das „Auftrittslied Stepaneks: Ein Ereignis steht bevor“, gefolgt von dem „Auftrittslied Peters“. Mit dem solistischen „Auftritt Theas“ (dem deutschen Ferienkind) erklingt im Hintergrund das vom Chor intonierte bekannte Volkslied von Hermann Kirchner „Af deser ierd, do äs en Land“. Es ist das einzige original siebenbürgische Volkslied, das Oschanitzky verwendet. Die Chöre hat er „ebenso wie unser Leben sich auf die Kirche stützt“ im Geiste der Kirchenchoräle komponiert. Nach dem stimmlich wie schauspielerisch reizvoll gestalteten Duett von Susi und Peter „Mädel aus dem Kokeltal“, dem anschließenden Festmarsch, dem orchestralen Zwischenspiel und dem Lied Susis, fand das Werk im Finale und dem Schlusschor der Operette mit konzertanten Sequenzen seinen Höhepunkt. Das Ensemble wuchs künstlerisch-interpretativ wie auch szenisch über sich hinaus und regte das begeisterte Publikum zu langanhaltendem Beifall an.
Schlussapplaus nach dem Trompetenkonzert von ...
Schlussapplaus nach dem Trompetenkonzert von Johann Nepomuk Hummel mit dem Solisten Oliver Christian, Dirgentin Erzsébet Windhager-Geréd und Konzertmeister Harald Christian.
Neben dieser beeindruckenden Gesamtleistung von Chor und Orchester sind vor allem die bereits professionellen Auftritte der Gesangssolisten als tragende Säulen des Operettengeschehens hervorzuheben, beginnend mit Renate Dasch (Alt) als Erzählerin und Pauline, Johanna Boehme (Sopran) als Susi, Bettina Wallbrecht (Sopran) als Thea sowie der stimmgewaltigen Männerbesetzung durch Hans Straub (Tenor) als Peter und Peter Alexander Herwig (Bariton) als Stepanek. Sie brillierten in ihren stimmlich-szenisch famosen Auftritten. Nicht zuletzt soll die überragende Leistung der Dirigentin Erzsébet Windhager-Geréd, Organistin und Kantorin der Evangelischen Stadtkirche Wien, erwähnt werden, die durch ihr stark ausgeprägtes Temperament und ihren Gestaltungwillen mit klarer ausdrucksintensiver Gestik dem gesamten Geschehen entscheidende Impulse verlieh und maßgeblich zu dem außergewöhnlichen Erfolg des Abends – nach einer Rekord-Probezeit von einer knappen Woche – beitrug.

Dass es überhaupt zur diesjährigen Inszenierung der Operette – wenn auch nur in konzertanten Auszügen kam –, ist nicht zuletzt dem jüngeren Sohn des Komponisten, dem Temeswarer Dirigenten Peter Oschanitzky zu verdanken, der den verlorenen Teil der Partitur anhand des Klavierauszuges vervollständigte und das Notenmaterial freundlicherweise der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im östlichen Europa (GDMSE) für deren Einstudierung zur Verfügung stellte. Die zeitaufwändige Einrichtung des Materials besorgte Dr. Franz Metz, Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa. Peter Oschanitzky war es wiederum, der sich nach der Aufführung im Saal persönlich bei allen Beteiligten bedankte, die dieses Werk nach mehr als 75 Jahren erneut zum Klingen brachten.

Peter Szaunig

Schlagwörter: Musik, Löwenstein

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