27. April 2015

Lesung von Iris Wolff im Stuttgarter Haus der Heimat

„Nach drei Jahren des Schreibens freue ich mich sehr darauf, wieder unterwegs zu sein“, sagte Iris Wolff im Interview mit Siegfried Habicher. Diese Freude war auch am 27. März im Haus der Heimat in Stuttgart deutlich zu spüren. Dieser Abend war eine Station auf der Lesereise der jungen Autorin, die sie unter anderem nach Leipzig, Salzburg, Linz, Heilbronn, Ludwigsburg, München und in andere Städte führt.
Iris Wolff debütierte 2012 als Romanautorin. Ihr erster Roman „Halber Stein“ erschien bald in zweiter Auflage, die Autorin wurde in Dinkelsbühl am Heimattag 2014 mit dem Ernst-Habermann-Preis ausgezeichnet. Zur Leipziger Buchmesse im März dieses Jahres erschien ihr zweiter Roman „Leuchtende Schatten“ im Otto Müller Verlag, Salzburg. Der Verlag hatte den Roman bereits in seinem Frühjahrsheft vorgestellt: „Poetisch und mit beeindruckender Leichtigkeit erzählt Iris Wolff in ihrem zweiten Roman von der Unantastbarkeit der Freiheit, von Freundschaft und Liebe in der Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein.“ Diese „beeindruckende Leichtigkeit“ kennzeichnete auch den Leseabend am 27. März in Stuttgart, obwohl das, was das Buch aufgreift, beileibe kein „leichtes“ Thema ist, spielt es doch in der Zeit des Zweiten Weltkrieges im Hermannstadt der Jahre 1943 und 1944.

Sehr bald stellt man als Zuhörer fest, dass die Figuren des Buches der jungen Autorin ans Herz gewachsen sind. Nicht zuletzt auch wegen ihrer Auffassung, dass sich diese Figuren „nie völlig erklären. Das, was einen anderen Menschen zu seinen Worten und Taten antreibt, ist immer größer, als unsere Versuche, seine Handlungen zu deuten. Literatur erlaubt es, in fremde Leben hineinzusehen und kann Mut dafür machen, diese Differenz auszuhalten.“

Auch der Titel des Buches, „Leuchtende Schatten“, soll verdeutlichen, dass sich in der Rückschau auch in „Zeiten voller Leid und Verlust“ etwas finden lässt, „das einen getragen hat“; und dass die Dinge „nie ganz hell oder ganz dunkel“ sind.

Es stellt sich natürlich die Frage, warum Iris Wolff sich mit Ereignissen befasst, die so weit vor ihrer Zeit stattgefunden haben. Überzeugend ist die Antwort der jungen Autorin: „Das Interesse an den Bruchstellen der siebenbürgischen Geschichte, in denen sich der Exodus abzeichnet.“ Das schwere Thema habe sie nicht gesucht, sondern es habe sie gefunden. „Schreiben ist für mich so, als würde ich ein verschwommenes Bild betrachten. Ich entscheide mich, genauer hinzusehen, und beginne mit dem Festhalten dessen, was sichtbar wird.“ So Iris Wolff zu der Geschichte von Ella und Harriet, Protagonistinnen des Buches „Leuchtende Schatten“, die „eines Tages einfach da“ waren und die Autorin in den Roman „hineingetrieben“ haben. Ella, die Träumerin, lebt mit ihrer Großfamilie in der Hermannstädter Unterstadt. Durch den Zuzug von Harriet und deren Familie aus Kronstadt im Frühjahr 1943 auf die Hallerwiese beginnt die Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei jungen Frauen, die sich trotz ihrer Unterschiedlichkeit sehr vertraut sind. Durch die Realistin Harriet lernt Ella, die dazu neigt, sich in Tagträume zu flüchten, „wie wichtig es ist, im Augenblick zu leben. Die Geschichte dieser Freundschaft ist so etwas wie eine Elegie über das Glück“, ähnlich wie Brechts Gedicht „Die Kraniche“, das dem Buch vorangestellt ist und zu dem sich immer wieder ein Bezug im Buch findet.

Die beiden historischen Ereignisse, die die Romanhandlung umfasst – die Rekrutierung von Siebenbürgern für die deutsche Wehrmacht im Sommer 1943 und der Frontwechsel Rumäniens im August 1944 – beleuchten den Familienzusammenhalt im alten Hermannstadt, wie in schweren Zeiten Menschlichkeit erkennbar wird und Verluste erträglicher macht. Es sind Ellas Vater und Onkel, die sich mit dem letzten Freiwilligenzug zum Kriegsdienst nach Deutschland verabschieden – eine der Textpassagen, die die Autorin der Zuhörerschaft bei der Lesung im Stuttgarter Haus der Heimat überzeugend darbietet. Nicht nur, wenn sie Ella sagen lässt: „die Zeit mit Vater trug Siebenmeilenstiefel“, sondern auch bei der Beschreibung von Ursula-Oma, Ellas Großmutter, und deren liebevoll-ironisch dargestellten „Welterklärungsmodellen“ wird deutlich, wie nah der Autorin die Figuren sind. Mit der Figur der Ursula-Oma, dem Oberhaupt aus Ellas Familie, setzt Iris Wolff dem „Archetyp der siebenbürgischen Großmutter mit ihren herrlichen Kapriolen und ihrer Stärke“ ein Denkmal.

Iris Wolff hat ihr Buch neben dem Job geschrieben. Dafür hat sie Zeitzeugen befragt und Geschichtsbücher gewälzt. Durch die Verknüpfung der Subjektivität in den Erinnerungen der Befragten mit den historischen Fakten ist es ihr auch mit ihrem zweiten Roman gelungen, ein Stück lebendiger Familiengeschichte zu zeichnen.

Waltraut Stirner-Lohrmann

Schlagwörter: Lesung, Roman, Siebenbürgen, Stuttgart

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