14. April 2018

„Immer war diese Hoffnung …“

Marc Schroeders Fotografien von in die Sowjetunion deportierten Rumäniendeutschen sind eindrückliche Zeitzeugenporträts. Das rumänische Kulturministerium weiß dies zu schätzen und unterstützte gemeinsam mit dem Deutschen Kulturforum östliches Europa, Potsdam, eine erste Schau auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse.
Es ist eine besondere und bemerkenswerte Geschichte: Nach dem Studium und siebenjähriger Karriere in New York nimmt ein junger Banker 2008 die globale Banken- und Finanzkrise zum Anlass, um seinem Leben eine neue Richtung zu geben und sich ganz der Fotografie zu widmen. Sein erster Schritt auf diesem Weg führt nach Paris, in die alte Metropole der Künste. Vor allem aber ist es für ihn, den gebürtigen Luxemburger, eine Rückkehr nach Europa. Es dauert nicht lange, bis sich das Interesse des Fotografen besonders auf Rumänien richtet. Das soeben in die EU aufgenommene Land erinnert ihn in manchen Dingen vielleicht an seine Kindheit: wie in Luxemburg ist die Geschichte des Landes geprägt von der Multiethnizität und Vielsprachigkeit seiner Bewohner. Auch die moselfränkische Mundart mag gewisse Erinnerungen geweckt haben.
Marc Schroeder (links) mit Dr. Ingeborg Szöllösi ...
Marc Schroeder (links) mit Dr. Ingeborg Szöllösi und Georg Aescht bei der Eröffnung der Ausstellung auf der Leipziger Buchmesse. © Deutsches Kulturforum östliches Europa
Anfangs besucht Marc Schroeder Bukarest. Wer aus Luxemburg kommt, spricht französisch. In kurzer Zeit lernt man da auch das Rumänische zu verstehen. Es zieht ihn weiter ins Land hinein. 2012 und 2013 folgen Aufenthalte in Kronstadt, Hermannstadt, Ploiești, Konstanza, Sathmar, Suceava, auch Schäßburg und Temeswar. Wer aus Luxemburg kommt, spricht auch deutsch und natürlich lätzeburgisch. Auch damit kommt man in Rumänien mancherorts leicht ins Gespräch. Es können sich Türen zu Räumen und Geschichten öffnen, die sonst eher im Abseits stehen. Für Schroeder tun sie sich auf. Seine Gesprächspartner an den besuchten Orten sind alt: Banater Schwaben, Sathmarer Schwaben, Siebenbürger Sachsen. Sie sind die verbliebenen Angehörigen deutscher Minderheiten, die im Laufe des 20. Jahrhunderts nicht ausgewandert sind. Im hohen Alter sind sie bereit zu erzählen, vielleicht mehr zu erzählen und offener von ihrem Leben zu berichten als jemals zuvor.

Zu dem Leben vieler gehört auch die Erfahrung der Russlanddeportation 1945, die Verschleppung und Zwangsarbeit in der Sowjetunion. Wissenschaftlich ist dieses Kapitel der Nachkriegsgeschichte gut erforscht. Und in Herta Müllers „Atemschaukel“ (2009) hat es einen beklemmend starken literarischen Ausdruck gefunden. Dennoch gehört die Deportation der Rumäniendeutschen in der breiteren Öffentlichkeit nach wie vor zu den verdrängten Episoden der europäischen Nachkriegsgeschichte.
Ada Teutsch aus Kronstadt (1927-2015), Aufnahme ...
Ada Teutsch aus Kronstadt (1927-2015), Aufnahme von 2012, © Marc Schroeder
Marc Schroeder nimmt sich die Zeit, er hört zu. Die Berichtenden bitten ihn in ihre Wohnungen, erlauben ihm zu fotografieren, Gespräche aufzunehmen, zu filmen. Dass das alles möglich ist und dass es gelingt, ist wirklich etwas Besonderes. Selbst Familienmitglieder erfuhren und erfahren oft weniger. Von den Rückkehrern ernteten sie auf ihre vorsichtigen Nachfragen hin oft lediglich die angespannt ausweichenden Blicke sich mühsam zurücknehmender Menschen. Noch in den 1990er Jahren war das freundliche Schweigen der Großtanten und Großonkel gegenüber der neugierig nachfragenden jungen Generation allein deshalb aufschlussreich, weil es die im Verborgenen weiterhin präsenten Erfahrungen des Leids bestätigte. Zuweilen schrieben sich diese Erfahrungen auf merkwürdig diffuse Weise auch in die Leben der Nachgeborenen ein. Anders als diese bringt Marc Schroeder das Privileg der Distanz mit. Er steht in einem anderen räumlichen und zeitlichen Erfahrungshorizont: das macht das Zur-Sprache-Finden leichter.

Nach dem ersten Jahr erhält er zur Fortsetzung seiner Arbeit das Europa Grant for Cultural Journalists, ein Stipendium des Rumänischen Kulturinstituts in Bukarest. Der Schwerpunkt seines Interesses liegt in der fotografischen Aufnahme des gegenwärtigen Erzählens, nicht im Sammeln historischer Dokumente, nicht im Auswerten von Berichten. Wichtig ist ihm, die Dimension des Erinnerns aufzuzeigen, ihr ein konkretes Gesicht und damit den Ereignissen der Deportation ein visuelles Gedächtnis zu verleihen.
Eberhardt Zillich aus Temeswar (geboren 1915), ...
Eberhardt Zillich aus Temeswar (geboren 1915), Aufnahme von 2012, © Marc Schroeder
Nicht zuletzt der Fürsprache von Ioana Gruenwald, Projektleiterin für den Auftritt des Gastlandes Rumänien auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse, ist es zu danken, dass diese Bilder mit Förderung des rumänischen Kulturministeriums und des Kulturforums östliches Europa, Potsdam dieses Frühjahr in Leipzig erstmals zu Ausstellung kamen. Rumänien ist auf der Buchmesse mit gut 40 Neuerscheinungen und mehr als 70 Autoren-, Verleger- und Übersetzergesprächen ambitioniert und selbstbewusst im Zeichen des Widerstands gegen anhaltende Korruption und politische Willkür aufgetreten. Darüber ist vielfach berichtet worden. Mit der gleichzeitigen Schau der Fotografien von Marc Schroeder bewiesen Organisatoren und Aussteller den Willen, in diese Herausforderungen der Gegenwart auch schwierige Kapitel der Vergangenheit mit einzuschließen. Eingebettet in die kluge Standarchitektur von Attila Kim, die – als offenes zweistufiges Rondell gestaltet – Diskutanten und Gäste programmatisch im Kreis und auf gleicher Ebene zusammenführte, waren Schroeders Portraits ebenfalls zum Dialog gefügt. Sie wurden ergänzt von Bildern, die Einblicke in die Wohnungen der Zeitzeugen erlaubten, und von Schnappschüssen, die aus dem Auto während der Reise durch Rumänien entstanden sind. Gerade dieses Arrangement, das Hinwendung und Offenheit signalisiert, hebt zentrale Handlungsräume hervor. Auf Schroeders geplanten Bildband dürfen wir uns freuen.

Dr. Heinke Fabritius


Die Autorin ist Kulturreferentin für Siebenbürgen bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Infos zu Marc Schroeder unter www.marcpschroeder.com.

Schlagwörter: Ausstellung, Fotografie, Russlanddeportierte, Luxemburg, Leipzig, Buchmesse

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