16. September 2019

Von Bad Honnef ins Harbachtal: Abhandlung über Retersdorf

Die am Oberlauf des Harbaches gelegene Gemeinde Retersdorf (rum. Retisu, ungar. Reten) wurde, zusammen mit der rumänischen Gemeinde Teline, nach Henndorf (Kreis Hermannstadt) eingemeindet. Sie zählen gemeinsam etwa 1400 Einwohner. Zwar gilt als Ersterwähnung dieser Dorfgemeinde noch das Jahr 1353 (villa Retherii), gleichwohl ist in jüngster Zeit, zusammenhängend mit dem siebenbürgischen Wirkungsbereich des Johanniterordens, vom Gründungsjahr etwa um 1200 (Gernot Nussbächer) die Rede.
Der sächsisch Reteschderf genannte Ort wies 1930 immerhin 1049 Einwohner auf, davon waren freilich nur 169 (16,1 %) Deutsche. Etymologisch soll der Ortsname auf den germanischen Personennamen Rather zurückgehen. Diesen gab es in Siebenbürgen in etwas abgewandelter Form als Familiennamen in sechs Gemeinden, so etwa in Birthälm, Keisd, Hermannstadt; am bekanntesten geworden wohl durch den Kabarettisten Hagen Rether.

Inmitten sächsischer Königsboden-Gemeinden gelegen, bildete Retersdorf seit dem 14. Jahrhundert eine Exklave des Weißenburger bzw. später Oberalbenser Komitates, war also eine Hörigengemeinde. Kirchlich war es in frühesten Zeiten dem Schenk-Kosder ­Kapitel zugeteilt, zuletzt dem Kirchenbezirk Hermannstadt. Nachdem die evangelische Kirche nach der „Wende“ von 1989 an die rumänisch-orthodoxe Kirche veräußert wurde, ist das sächsische Leben in dieser Gemeinde wohl endgültig erloschen.

Im „Goldenen Buch“ (liber aureus) der Reichsabtei Prüm in der Eifel wird in einem sogenannten Grundleihevertrag vom 20. Dezember des Jahres 866 der edlen Frau Hiedilda ein Gutsbesitz, bestehend aus Land, Weinbergen, Wald und „allem Zubehör“, in villa raterestohrp überlassen. Sieben Jahre später lautet es in dem Prümer Urbar, abgeschrieben im Jahre 1222 (in Übersetzung): „Das Kloster Prüm besitzt in Retersdorf (retersdorpht) sieben bäuerliche Betriebe“. In einer Urkunde von 922 wird wieder auf die ursprüngliche Schreibform Rateresdorp zurückgegriffen. Ab dem Jahr 1222 bis gegen Ende des 13. Jahrhundert ist für das spätere, untergegangene Dorf Reitersdorf ausschließlich die Lautform Retersdorp zu finden: „Retersdorp liegt am Rhein beim Drachenfels…“ (1222).
Abschrift des Prümer Urbars von 1222 (Zeile 3 von ...
Abschrift des Prümer Urbars von 1222 (Zeile 3 von oben: „retersdorpht“). Am rechten Rand (oben) die Kommentierung des Ex-Abtes Caesarius. Foto: Landeshauptarchiv Koblenz
1265/1266: „Ritter Heinrich bzw. Henrich von Retersdorp“. Hierbei handelt es sich zum ersten, aber auch einzigen Mal um ein Geschlecht von Retersdorp, und wie ein Historiker vermutet, um Ministerialen (also Angehörige des mittelalterlichen Dienstadels) der Grafen von Sayn.

Diesem Grafengeschlecht begegnet der Herkunftsforscher immer wieder, ähnlich wie den Grafen von Katzenelnbogen, nur mit anderem Schwerpunkt. Erst mit der Erwähnung des castrum Reytersdorp von 1288 findet das spätere Dorf samt Burg die endgültige Bezeichnung Reitersdorf.

Es gab für den beiderseits des Rheins situierten Ort auch einen Hinweis auf eine dem Erzbischof von Köln gehörende Kirche. Die Niederungsburg entstand vermutlich ab dem Jahr 1270 in zwei Bauphasen. Wahrscheinlich schon im Jahre 1317 wurden Burg und Siedlung durch die Truppen von Erzbischof Heinrich II. von Köln durch Schleifung weitgehend zerstört und nicht wieder aufgebaut.

Ein letztes Mal ist in einem Weisthum um das Jahr 1361 vom „castrum zu Reitersdorp“ die Rede, während die Siedlung zuletzt 1517 Rettersdorf genannt wird. Ein lokaler Heimatforscher ist sich sicher, dass der Ort gegen Ende des 14. Jahrhunderts wüstgefallen ist.

Nun, wo ist die abgegangene Ortschaft samt Burg heute zu lokalisieren? Die Stadt Bad Honnef im Rhein-Sieg-Kreis liegt im rechtsufrigen Bereich des Mittelrheins, südöstlich von Bonn. Von den beiden Stadtbezirken ist die Stadtmitte der größere und hat sich aus fünf ehemaligen Honschaften, darunter auch Reitersdorf, gebildet. Von der einstigen Burg sind nur mehr konservierte Mauerreste im Stadtzentrum zu finden, inmitten des weitläufig angelegten Parks Reitersdorf, dessen Name ebenso wie die Reitersdorfer Straße an das untergegangene Retersdorf erinnern.

Etwa das gleiche Alter wie Reitersdorf hat die nördlich an Köln angrenzende Stadt Wesseling im Rhein-Erft-Kreis. In den ältesten Urkunden ist abwechselnd von Waslicia, Waslic oder Weslic die Rede, während vom Ende des 14. Jahrhunderts die Variante Weeslich überliefert ist. Über den Nachnamen Wessling ist schließlich auch die Lautvariante Wesselink bekannt geworden.

Etwa 8 km nordöstlich vom siebenbürgischen Retersdorf gibt es die Wüstung (1614: Wasstung) Woßling (sächsisch: Wasslenk), rum. Teline, ungar. Pusztacelina. Sie lag auf Königsboden und wurde von Rumänen wiederbesiedelt. Über die Ursache(n) des Wüstfallens von Woßling ist nichts bekannt.

Im Umkreis von 10 km von Reitersdorf, südlich von Bonn, entstand etwa zwischen 1220 und 1230 die Deutschordenskommende Ramersdorf. Bekanntlich musste der Deutsche Orden im Jahr 1225 das Burzenland verlassen. Gut möglich, dass von ihm noch vorher einige Siedlergruppen auch vom Mittelrhein in Siebenbürgen angesetzt wurden. Und dies, wie man seit einigen Jahren weiß, allgemein nicht nur in der Burzensenke.

Schlussfolgernd lässt sich feststellen, dass anhand dieser beiden Einzeluntersuchungen deutlich gemacht werden konnte, dass es mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit einen siedlungshistorischen Zusammenhang zwischen den rheinischen Ortsnamen Reitersdorf und Wesseling einerseits sowie den siebenbürgischen Entsprechungen Retersdorf und Woßling andererseits geben sollte.

Walter Schuller

Schlagwörter: Retersdorf, Siedlung, Geschichte, Eifel, Rheinland, Etymologie

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