11. August 2019

Mit Topfhut und Bubikopf: Hans Theils fotografische Reiseimpressionen

Was der Leiter des Siebenbürgischen Museums, Dr. Markus Lörz, auf dem diesjährigen Heimattag am 8. Juni in Dinkelsbühl unter dem Motto „Schön war die Zeit“ vorstellte, war eine kleine Sensation: Bilddokumente aus den zwanziger Jahren, alle frisch wie am ersten Tag – meist Exkursionsbilder von nah und fern, zart koloriert und fantasievoll arrangiert.
Die Überfahrt auf die Donauinsel Ada-Kaleh, das Loreley-Plateau mit Rheinpanorama, ein Bad im Rhein bei St. Goar mit vorbeituckerndem Raddampfer, ein Mann an der Harmonika, der zum Tanz im Volkspark von Hamburg-Altona aufspielt, Flanieren an der Neckarpromenade in Heidelberg, Schäßburger Jungs in ihren Sandburgen auf Rügen beim Mampfen ihrer Stullen, Schiffsverkehr auf der Donau vor Budapest, eine lässig posierende Gruppe auf dem Passagierdampfer „Impăratul Traian“ in Konstanza …

Die Fotos haben es in sich: So kreativ und lebendig, so nah am Puls der Zeit hatte damals kaum einer in Siebenbürgen fotografiert. Sie stammten allerdings nicht „aus dem Atelier von Hermann G. Roth“, sondern vom Schäßburger Gymnasiallehrer und Amateurfotografen Hans Theil. Das konnte Lörz nicht wissen, als er sich kurzfristig entschloss, den Bilderschatz aus seinem Haus in Zusammenarbeit mit Dr. Heinke Fabritius, der neuen Kulturreferentin für Siebenbürgen, der Öffentlichkeit vorzustellen (der Entschluss war erst im April gefallen).
Historisch und doch taufrisch: Überfahrt zur ...
Historisch und doch taufrisch: Überfahrt zur heute versunkenen Donauinsel Ada-Kaleh, 1925. Handkoloriertes Glasdiapositiv von Hans Theil. ©Siebenbürgisches Museum
Da sich auf der vom Siebenbürgischen Museum erworbenen Schachtel eine nachträglich angebrachte Notiz befand, derzufolge „der wichtige Schäßburger Fotograf“ Hermann G. Roth „der Urheber“ der 540 größtenteils kolorierten Glasplattendias und Schwarzweißnegative aus den Jahren von 1925 bis 1928 im Format 9x12 cm sei, hatte man die Angaben einfach übernommen. Auch ein selbstgebauter Projektionsapparat gehört zu dem kostbaren Konvolut.

Dabei hatten die Ausstellungsmacher Bedenken, ob der Atelierfotograf Hermann Gottlieb Roth (1854-1941) tatsächlich der Richtige ist. Ich selbst hatte mich bereits vor Jahren gewundert, als ich eine kolorierte Aufnahme der Klausenburger Lederfabrik der Brüder Renner von 1925 sah, unter der der Name von Roth stand Dr. Volker Wollmann hatte sie im zweiten Band seiner Serie „Patrimoniu preindustrial și industrial în România“ veröffentlicht (Honterus 2011, Abb. 470a). Darauf angesprochen, fiel ihm noch ein weiteres Bild ein („erstes Farbfoto der Erdölsonden von Moreni“), das er dem gleichen Bilderfundus entnommen hatte. Es stellte sich schnell heraus, dass es ebenfalls ein koloriertes Schwarzweißfoto ist, doch dank des Fotografen-Pkw im Vordergrund keines der oft so drögen Sondenbilder (Bd. 6, Abb. 218).
Rheinpanorama, vom Loreley-Felsen aus (1928). ...
Rheinpanorama, vom Loreley-Felsen aus (1928). Vorne (mit Nickelbrille) Hans Theil mit umgehängter Fototasche. Foto: Hans Theil/©Siebenbürgisches Museum
Die fotografischen Highlights der Sammlung Theil sind jedoch seine Aufnahmen von Turnfahrten und Schulausflügen. Es sind nie einfach Schnappschüsse oder Bitte-recht-freundlich-Gruppenfotos, sondern mit Malergespür inszenierte Bilder von künstlerischem und dokumentarischem Wert gleichermaßen. Dokumente einer neuen Zeit, mit selbstbewussten Frauen (Frauenwahlrecht!) mit Bubikopf und Topfhut und sportelnden Damen und Herren als neuem Massenphänomen. Nicht zufällig kam gerade damals auch die „runderneuerte“ neusächsische Tracht (auch das eine Anregung von Stephan L. Roth) mit ihren farbenfroh bestickten Stirnbändern auf. Aufbruchstimmung allenthalben, Fernreisen, gemeinsamer Badespaß …

Besonders ansprechend der poetische Reiz der zart kolorierten Bilder, die mit ihrer Farbigkeit an die im aufwendigen Photochrom-Verfahren hergestellten Abbildungen der Zeit um die Jahrhundertwende erinnern (die auch keine echten Farbfotos waren), wie sie heute in prächtigen Nostalgie-Bildbänden im Taschen-Verlag („Deutschland um 1900“) oder Christian Brandstätter Verlag in der Reihe „Die Welt von gestern in Farbe“ den Leser verzaubern.
Bad im Rhein auf der Kölnfahrt von 1928. Hinten ...
Bad im Rhein auf der Kölnfahrt von 1928. Hinten passiert gerade der 1925 in Amsterdam gebaute Raddampfer „Königin Wilhelmina“ St. Goar mit Burg Katz (1945 versenkt). Im „alten Schwimmbad“ mit seiner Sandbank wurde bis in die späten 1960er gebadet. Handkoloriertes Glasdiapositiv von Hans Theil. ©Siebenbürgisches Museum
Aber Hans Theils Fotos sind eben Unikate, die nicht durch Photochrom-Druck, sondern durch zeitaufwendiges Kolorieren der Schwarzweiß-Glasdias zustande kamen (der Volksbildungsverein Urania und die kommerziellen Kaiser-Panoramen beschäftigten hierfür zeitweilig bis zu 20 Miniaturisten und Porzellanmalerinnen, erst mit dem Aufkommen des Farbfilms gerieten die kleinen Kunstwerke in Vergessenheit). Als ich Theils älteren Sohn, den Architekten und Bildhauer Hans Wolfram Theil Mitte der neunziger Jahre besuchte, erinnerte er sich noch gut an die Fläschchen mit den Retuschefarben und die feinen Pinsel, mit denen sein Vater die Glasdias bemalte. Dabei kam ihm entgegen, dass er künstlerisch begabt war, wovon auch eine Serie von Aquarellen mit siebenbürgischen Kirchenburgen zeugt (auf Hans Wolfram Theil geht der Entwurf zur Gedenkstätte der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl sowie der Museumsum- und -ausbau auf Schloss Horneck zurück).

Keine Frage, Hans Theil war alles andere als ein Unbekannter. Geboren als Sohn eines Volksschullehrers am 9. Februar 1890 in Schäßburg, studierte er in Budapest, Leipzig und Berlin Altphilologie, Theologie und Leibesübungen. Ungewöhnlich die Tatsache, dass er neben seiner schulischen Ausbildung auch Rumänischunterricht nahm, was ihm den Spitznamen „Costache“ einbrachte, nach dem Schriftsteller Costache Negruzzi. 1912 begann er als Lehrer an der Schäßburger Mädchenschule, 1914 wechselte er mit den Fächern Griechisch, Latein und Turnen ans Bischof-Teutsch-Gymnasium. Seine freiwillige Teilnahme am Ersten Weltkrieg bei den „Tiroler Kaiserjägern“ endete in italienischer Kriegsgefangenschaft, die er wegen einer Ruhrepidemie in Neapel nur knapp überlebte. 1919 kehrte er in seine Heimatstadt zurück und heiratete noch im gleichen Jahr Gertrud Wolff, die Tochter des Gymnasialdirektors und späteren Stadtpfarrers Dr. Johann Wolff. Der Ehe entstammen vier Kinder, darunter der bereits erwähnte Hans Wolfram Theil (1921-2003) und, als Nachzügler, Dipl.-Ing. Hermann Theil (geb. 1941), ehemaliger Vorsitzender der HOG Schäßburg und Redakteur der Schäßburger Nachrichten. Als erfahrenem Lehrer gelang es Theil sogar, den bekanntermaßen oft langweiligen Lateinunterricht durch ein von ihm verfasstes und bald weit verbreitetes zweibändiges „Lehr- und Lernbuch für die deutschsprachigen Gymnasien in Rumänien“ neu zu beleben („Latein, auf rumänisch-deutscher Grundlage“, 1935/36). Nach 1945 erschien sogar eine Neubearbeitung.

Besonders am Herzen lag Professor Theil das Internat „Alberthaus“ (so benannt nach dem Dichter Michael Albert, dem Großvater seiner Frau), das er seit 1928 nebenher leitete und dessen Kapazität er 1940 durch einen Erweiterungsbau des jungen Architekten Kurt Leonhardt fast verdoppeln konnte. Es wurde für viele Schüler aus den damaligen deutschen Siedlungsgebieten Großrumäniens zum „zweiten Zuhause“, wie sich Pfarrer Lothar Schullerus sen. (gest. 2016) in den Schäßburger Nachrichten von Dezember 2013 erinnert. Davor hatte bereits ein anderer ehemaliger Internatsschüler einen Nachruf zum Gedächtnis des verehrten Lehrers geschrieben. Der nicht gezeichnete Text stammt von Hans Henrich und erschien in der Siebenbürgischen Zeitung vom 15. September 1963.
Zwischenstopp zu einer Donauschifffahrt in ...
Zwischenstopp zu einer Donauschifffahrt in Budapest (Rügenfahrt von 1927). Auffallend der perfekte Bildaufbau und die genrehaften Elemente, die Theils Aufnahmen von jenen herkömmlicher Knipser unterscheiden. Handkoloriertes Glasdiapositiv von Hans Theil. ©Siebenbürgisches Museum
Als Vorstand des Schäßburger Turnvereins (STV) investierte Theil auch viel Herzblut in die Leitung von Fahrten ins In- und Ausland, die er danach in Lichtbildvorträgen (Groß-Kokler Bote v. 1.11.1925) und gedruckten Berichten dokumentierte („Von unserer Auslandsreise zum 14. Deutschen Turnfest in Köln am Rhein im Oktober 1928“, „Auf nach Stuttgart! Fahrtberichte der Reisegruppe zum 15. Deutschen Turnfest in Stuttgart 1933“ u.a.m.); hochgelobt auch seine Vorträge über Alt-Schäßburg (Groß-Kokler Bote vom 3. u. 10.5.1925) und „Siebenbürgen, süße Heimat“: „vorzügliche photographische Aufnahmen … feine Bemalung durch Prof. Theils fleißige und geschickte Hand“ (Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt vom 7.3.1926, vgl. auch Siebenbürgisch-Deutsches Tageblatt v. 28.4. u. 6.5.1926). Selbst bei den Olympischen Spielen 1936 waren die STV-ler mit ihrem bewährten Vorstand und Reiseleiter dabei.

Mit dem Frontwechsel Rumäniens am 23. August 1944 endete die Laufbahn des engagierten Lehrers abrupt. Für zwei Jahre wurde er ohne Anklage in den Lagern von Slobozia, Turnu Măgurele und Tg. Jiu interniert, um danach nur noch fachfremd (darunter auch mit Russisch!) als Aushilfslehrer in den Dörfern bei Schäßburg eingesetzt zu werden. 1954 hatte Gans Gansowitsch Theil (ja, unser „Chanz“ hatte auch Sinn für Galgenhumor) seine Schuldigkeit als Lehrer getan, ehe er noch im Ruhestand acht Jahre als Kirchenbezirksanwalt arbeitete. Am 6. August 1963 erlag der bis zuletzt rüstige Rentner einem Krebsleiden.

Woher bezog Hans Theil seine Anregungen? Diese können eigentlich nur von seinem ehemaligen Mathe- und Physiklehrer Adolf Höhr (1869-1916) stammen, dessen fotogra­fische Kreativität außergewöhnlich war. Ein schönes Beispiel eines kolorierten Höhr-Dias von 1902 mit maisschälenden Bäuerinnen brachte die Siebenbürgische Zeitung vom 15. Mai 2013 als Titelbild. Jutta Fabritius vom Bildarchiv des Siebenbürgen-Instituts zufolge besitzt Gundelsheim derzeit 284 Glasplatten von Höhr, davon 235 Glasnegative und 49 Glasdias im Format 9x12 cm. Von den 49 Glasdias sind 38 koloriert. Alt-Schäßburger Motive gibt es etwa 60, davon weniger als 20 kolorierte (Mail vom 9.7.2019). Letztere verwendeten beide für ihre Lichtbildvorträge, wobei zu klären ist, ob diese Fotos zum Teil nicht noch auf Hermann G. Roth und Ludwig Schuller zurückgehen. Im Übrigen arbeitete Höhr schon 1905 als einer der Ersten auf Lumières Autochromplatten, also mit echten Farbdias. Ein Meister, den es noch zu entdecken gilt.
Meisterhafte Inszenierung: Mitglieder des ...
Meisterhafte Inszenierung: Mitglieder des Schäßburger Turnvereins auf der Detunata Goală, rechts Hans Theil, der das Foto vermutlich mit Selbstauslöser gemacht hatte (1925). Handkoloriertes Glasdiapositiv von Hans Theil. ©Siebenbürgisches Museum
Während des Kokel-Hochwassers 1975 wurde eine ganze Kiste mit kolorierten Hans-Theil-Dias (meist Ausflugsbilder) schwer in Mitleidenschaft gezogen, fand aber auf Umwegen doch noch zum 1973 ausgewanderten Hermann Theil, der sie bis heute in Weinsberg aufbewahrt. Es grenzt an ein Wunder, dass eine Glasdia-Sammlung im Besitz des Bistritzer Sammlers Florian Coșoiu die Zeitläufte heil überstand. Durch Vermittlung von Dr. Wollmann gelangte sie 2011 nach Gundelsheim, wo sie Direktor Marius Tataru für das Siebenbürgische Museum erwarb – jene finest selection, von der einiges in Dinkelsbühl zu sehen war. Im Nachrichtenblatt des Museums wird der Neuzugang merkwürdigerweise nicht verzeichnet.

Kolorierte Aufnahmen erfahren im Rahmen des allgemeinen Retrotrends gerade ein Revival. Erst vor wenigen Wochen kam der Dokumentarfilm „They Shall Not Grow Old“ des Regisseurs Peter Jackson über den Ersten Weltkrieg in die Kinos – digital restauriert und koloriert, „wie frisch gedreht“ (Süddeutsche Zeitung). Die Historiendoku mit ihren eingefärbten Schwarzweißbildern, einst ruckelig und zerkratzt, lässt keinen Zuschauer unberührt – Farbe, so der Filmhistoriker Rolf Gießen, hat eine emotionale Ausstrahlung.

Konrad Klein

Schlagwörter: Fotografie, Schäßburg, Fotogeschichte, Siebenbürgisches Museum

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