4. Februar 2020

Neue Erkenntnisse über Deportation

Diplomat, Historiker und Militärexperte – gleich drei Eigenschaften, die Ministerialrat Dr. Ilie Schipor, Autor des Buches „Deportarea în fosta URSS a etnicilor germani din România“, für seine Aktivität in der russischen Hauptstadt „in doppelter Mission“ qualifizierten: Sein zehnjähriger diplomatischer Einsatz an der rumänischen Botschaft in Moskau (2009-2019) gab ihm nebenbei auch Gelegenheit, die russischen Archive aus Sicht eines Militärhistorikers ausführlich zu studieren. In seinem kürzlich erschienenen Buch wirft er so manches neue Licht auf das Thema. Historikerin Hannelore Baier hat die wichtigsten Aspekte in der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien zusammengefasst.
Das Schicksal der Deutschen aus Rumänien studierte der Autor im Zusammenhang sämtlicher sowjetischer Deportationskampagnen. Zwischen 1920 und 1953 wurden bis zu 6,4 Millionen eigene Bürger in Umerziehungs- und Arbeitslager verschickt. Hinzu kommen Kriegsgefangene und Deportierte aus den fünf Ländern Osteuropas, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetischem Einfluss standen.

Zum Hintergrund der Deportation der Deutschen: Von Deutschland sollten ursprünglich Reparationen von bis zu 75 Milliarden Dollar gefordert werden, die Hälfte davon aus unentgeltlicher Aufbauarbeit, zu leisten von fünf Millionen Zwangsarbeitern innerhalb von zehn Jahren, so der Vorschlag der von Iwan Maiski 1943 gegründeten Kommission an Stalin am 27. Juli 1944. Die Deportation der ca. 70 000 Rumäniendeutschen rechtfertigt die russische Seite übrigens mit dem Waffenstillstandsabkommen vom 12. September 1944: Darin verpflichtete sich die rumänische Regierung zu Entwaffnung und Internierung der Streitkräfte Deutschlands und Ungarns auf eigenem Gebiet sowie zur Kooperation bei der Verhaftung und Verurteilung von Kriegsverbrechern. Abgesehen davon, dass dies nur mit einer übertriebenen Deutung der Artikel 2 und 14 aus dem Abkommen akzeptiert werden kann, so der Autor, wurden auch Bürger aus Staaten deportiert, die kein solches Abkommen unterzeichnet hatten.

Planung und Organisation der Deportationen aus fünf Ländern

Am 24. November 1944 erließ Lawrentij Beria den Befehl zum Bilden von drei Einsatzgruppen im Osten Europas. Ihre Aufgabe war, die Anzahl der Deutschen und ihre Altersstruktur zwischen 16 und 50 Jahren, getrennt nach Geschlechtern, festzustellen, sowie Sammelpunkte in der Nähe von Bahnhöfen festzulegen. Am 15. Dezember 1944 legte Beria Stalin einen Bericht über den Abschluss der Bestandaufnahme vor: Darin wurden 551 049 Personen deutscher Herkunft registriert, 240 436 Männer und 310 613 Frauen. Etwa 75 Prozent waren rumänische Staatsbürger (421 846, davon 70 476 arbeitsfähige Männer zwischen 17 und 45 Jahren), gefolgt von jugoslawischen (73 572), ungarischen (50 292), tschechischen (4250) und bulgarischen (1089), nur ein geringer Anteil waren Reichsdeutsche.
Im März 1948 schickte Dorothea Hermann (hinten, ...
Im März 1948 schickte Dorothea Hermann (hinten, Vierte von rechts) ihren Eltern die - ses Bild aus dem Arbeitslager Hanjonkowa: „Herzlichen Gruß von Eurer Tochter aus weiter Ferne.“ Lesen Sie ihren Zeitzeugenbericht demnächst in der Siebenbürgischen Zeitung Online. Foto: privat
Am 16. Dezember 1944 wurde auf Beschluss des Staatskomitees die Aushebung aller arbeitsfähigen Deutschen und ihre Deportation in die UdSSR angeordnet – Männer zwischen 17 und 45, Frauen von 18 bis 30 Jahren. In Bukarest wurde ein Generalstab für die Koordinierung der Operationen gebildet. Für den Transport per Bahn durch Rumänien wurde ein Bedarf von insgesamt 5 677 Eisenbahnwaggons veranschlagt: 4 145 für Rumänien, 1 092 für Jugoslawien, 420 für Ungarn, 20 für die Tschechoslowakei. 24 Züge mit 1258 Waggons verließen das Land über Jassy, 27 Züge mit 1 496 Waggons über Adjudul Nou, elf Züge mit 671 Waggons über Focșani, 41 Züge mit 2 252 Waggons über Galatz.

Deportation der Deutschen aus Rumänien

Am 5. Januar 1945 befahl Generalleutnant Winogradow in einem Schreiben an Premierminister Nicolae Rădulescu die Mobilisierung aller arbeitsfähigen Personen deutscher Herkunft, egal welcher Staatsbürgerschaft, zwischen dem 10. bis 20. Januar 1945. Am 17. Januar 1945 erfolgt die erste Meldung zur Übertretung der festgelegten Regeln. Zahlreiche weitere sollten folgen. Daraufhin geht am 29. Januar ein Telegramm von Oberst Efremow an die zuständigen russischen Offiziere in Râmnicu Sărat, Adjudul Nou und Jassy, in dem die Befreiung folgender ziviler Personen aus Zügen und Lagern gefordert wird: Pfarrer, Mönche, Nonnen, chronisch Kranke, Schwangere, die den vierten Monat überschritten haben. Am 3. Februar berichtet Efremow an Winogradow: 4,4 Prozent wurden auf Antrag ihrer Familien, rumänischer Behörden oder Diplomaten an den Sammelstellen ausgesondert, weniger als 2,7 Prozent der bereits Ausgehobenen entlassen. Am 2. Februar war die Operation abgeschlossen. Insgesamt haben daran 12 137 sowjetische Militärangehörige (es kamen 10 auf 100 Deportierte) teilgenommen.

Heimkehr

Bis zum 1. März 1947 waren mehr als die Hälfte der Zwangsarbeiter aus den russischen Listen gestrichen worden: 69 263 repatriiert, 34 626 gestorben, 11 209 geflüchtet oder befreit mit der Auflage, als Agenten zu arbeiten oder sich in der UdSSR dauerhaft niederzulassen. In den Arbeitsbataillonen waren noch 93 141 fremde Zivilpersonen verzeichnet – davon über 45 Prozent aus Rumänien. Bis zum Januar 1950 wurden über 61 000 Deportierte aus Rumänien repatriiert. Über ein Drittel der rumänischen Staatsbürger wurde erst am Ende der Zeitspanne 1945-1949 entlassen – viel weniger als der Anteil aus Deutschland oder Ungarn. Von jenen rumänischen Bürgern, die mehr als fünf Jahre bleiben mussten, waren über 90 Prozent Kriegsgefangene oder Verurteilte.

Die im Buch wiedergegebenen Dokumente über die Deportation der Rumäniendeutschen beinhalten auch eine Namensliste mit 488 auf sieben Friedhöfen neben Arbeitslagern begrabenen Deportierten, allerdings in russifizierter Schreibweise und aus dem Kyrillischen übersetzt. Der Autor untersuchte im Rahmen seiner Forschungen auch Dokumente über die ca. 200 000 rumänischen Armeeangehörigen, zwischen 1941 und 1956 in sowjetischer Gefangenschaft, sowie über die rumänischen Opfer der stalinistischen Repression (1937/38) und die rumänische politische Emigration in die Sowjetunion (1919-1948).

Nina May

Schlagwörter: Deportation, Russlanddeportation, Forschung, Buchvorstellung, ADZ

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