3. August 2020

Ein Standardwerk zur ungarndeutschen Musikgeschichte

Aus Peter König wurde Király Péter, und Karl Huber hieß plötzlich Hubay Károly. Die ethnische und damit auch kulturelle und musikalische Identität der Ungarndeutschen ist deutlich schwerer zu fassen als die der Siebenbürger Sachsen oder Banater Schwaben. Der aus dem Banat stammende Münchner Musikwissenschaftler, Musikverleger und Kirchenmusiker Dr. Franz Metz erforscht seit Jahrzehnten die in ihrer Eigenständigkeit lange vergessene Musikkultur der Donauschwaben. Nun hat er auf über 500 Seiten eine wertvolle Synopse bisheriger Arbeiten vorgelegt.
Unter dem Titel „Mit frohem Herzen will ich singen – Zur Musikgeschichte der Ungarndeutschen“ trägt Metz, Jahrgang 1955, in seinem eigenen Verlag „Edition Musik Südost“ mit Übersicht und großem Fleiß Informationen und Quellen rund um das deutsche musikalische Leben in Ungarn zusammen. Doch vor welchem Hintergrund spielte sich dieses Leben überhaupt ab?

Der Autor nimmt die Musik der deutschen Kolonisten in den Blick, die nach der türkischen Herrschaft Ende des 17. Jahrhunderts ins Königreich Ungarn strömten. Sie besiedelten die teils brach liegende pannonische Tiefebene, trugen wesentlich zum raschen Wiederaufbau und zur barocken Blüte des Landes bei. Lange existierten deutsche und ungarische Kultur und Musik einträchtig nebeneinander, alle Bewohner verstanden sich als Ungarn. Mit der Revolution 1848 und spätestens dem Ausgleich 1867 setzten immer stärkere Tendenzen der Magyarisierung ein: Die deutsche Sprache wurde zurückgedrängt und deutsche Namen ins Ungarische übertragen, teils aus Überzeugung, teils unter Zwang. Deutsche Komponisten, etwa Franz Erkel, wurden zu Wegbereitern der ungarischen Nationalmusik. Spätestens mit der Umsiedlung vieler Ungarndeutschen im Zweiten Weltkrieg und ihrer Verschleppung nach Sibirien nach dem Krieg lag die deutsche Kultur vollends am Boden.

Franz Metz, der vermutlich sämtliche Kirchböden Südosteuropas bestiegen und zahllose Orgeln persönlich gespielt hat, widmet sich zunächst der Musikgeschichte an den großen Domen in Wesprim (Veszprém), Stuhlweissenburg (Székesfehérvár), Fünfkirchen (Pécs) und Kalatscha (Kalocsa). Wie die hier abgedruckten Inventare und die gewiss mühsame Auswertung zahlloser Dokumente deutlich machen, konnte sich in diesen eine blühende Musikkultur entwickeln, die wohl nicht ganz an große europäische Metropolen herankam, aber hinsichtlich ihres Repertoires stets aktuell war.

Die bis weit ins 19. Jahrhundert hinein dominierende weltliche Prägung der Kirchenmusik treffen wir hier ebenso an wie – sehr zeitig – den Cäcilianismus als große kirchenmusikalische Reform des späten 19. Jahrhunderts mit seiner Hinwendung zur A-cappella-Kunst der Renaissance. Eine vokalsinfonische Blüte wie an den evangelischen Kirchen Siebenbürgens war so freilich ausgeschlossen. Aufschlussreiche Artikel aus der katholischen Zeitschrift Musica Sacra, dem „Zentralorgan“ des Cäcilianismus, machen allerdings auch deutlich, dass die Reformbestrebungen in Ungarn nicht selten ins Leere liefen. Oft gab es eine enge Kooperation zwischen bürgerlich-städtischer und Kirchenmusik. Die bekanntesten katholischen deutschen Kirchenmusiker in Ungarn waren wohl bis zum frühen 19. Jahrhundert Franz Novotny, Franz Krommer und Johann Georg Lickl.

Ein weiteres Kapitel des Buches ist Josef Angster gewidmet, dem wichtigsten ungarischen Orgelbauer, dessen Tagebuch von den Reisen als Geselle durch Europa Franz Metz bereits vor einigen Jahren herausgegeben hat. In Heinrich Weidt (1824-1901) treffen wir auf einen der ersten Kapellmeister des 1852 eröffneten deutschen Theaters in Pest. Wie viele deutsche Komponisten war er begeistert von der ungarischen Nationalmusik und wirkte später in Temeswar. Der Autor hat etliche seiner Werke zum ersten Mal ediert, ebenso die Kompositionen vieler weiterer ungarndeutscher Meister – und sie damit ganz aktiv vor dem Vergessen bewahrt. Metz hat zudem zahllose Aufführungen initiiert oder selbst geleitet und ist Vorsitzender der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa, bei deren jährlicher Musikwoche ungarndeutsche Werke regelmäßig aufgeführt werden.

Doch weiter im vorliegenden Buch: Wir finden weiterhin Biografien von elf Komponisten sowie eigene und historische Beiträge zum deutschen Kirchenlied und zum Volkslied in Ungarn. Interessant ist dabei, dass erst 1937 (wohl mit Unterstützung der deutschen Nationalsozialisten) ein ungarndeutsches katholisches Gesangbuch samt Orgelbuch erscheinen konnte – zu spät, um das deutsche Kirchenlied zu retten. Zuvor wurden kirchliche ebenso wie Volkslieder immer nur mündlich oder handschriftlich tradiert, einfach von Kantorlehrern, aber auch in bedeutenden Sammlungen, zum Beispiel in der Region Heideboden in Westungarn.

Die sanglichen und nicht selten leicht sentimentalen Kirchenlieder der Donauschwaben sind, das erfährt der Leser auch, in ihrer großen Mehrzahl Marienlieder, die im Gebrauch wie von selbst mit einer „schwäbischen Terz“ versehen wurden. Dazu zählt auch das ungeheuer populäre Lied „Mit frohem Herzen will ich singen“ des 1841 in Gödre geborenen Kantors Josef Schober. Seine erste Zeile ist zum Titel dieses Buches geworden, das einerseits ein Abgesang auf eine verlorene Kultur ist, andererseits zu ihrer Bewahrung beiträgt und auch von Hoffnung machenden Neuanfängen zu berichten weiß, jenseits der volkstümlichen Blasmusik: Seit den 1970er Jahren widmete sich die ungarische Musikwissenschaft, namentlich die Forscher Bárdos Kornél und Szigeti Kilián, auch dem musikalischen Erbe der Ungarndeutschen. Und längst gibt es in Ungarn wieder deutsche Zeitungen, deutsche Vereinigungen, ein deutsches Theater – und deutsche Chöre.

Johannes Killyen

Franz Metz (Hrsg.): „Mit frohem Herzen will ich singen. Zur Musikgeschichte der Ungarndeutschen“, Edition Musik Südost, München 2020, 19,50 Euro

Schlagwörter: Musik, Geschichte, Ungarndeutsche, Buch, Besprechung

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