28. August 2020

Pastiors zeichnerische Hinterlassenschaft: Heidede Beckers Buch über das graphische Schaffen des bedeutenden Hermannstädter Dichters

Wir Siebenbürger wussten immer schon, dass wir etwas Besonderes sind, darum ist uns auch ein so Besonderer wie Oskar Pastior (1927–2006) dermaßen nahe. Dabei wird niemand, sei er Siebenbürger oder nicht, die Schwierigkeiten leugnen, diese Nähe auch nur sich selbst zu erklären. Ebenso wenig aber wird jemand, der eine Lesung des Dichters erlebt hat, das umfassende, heitere Einverständnis leugnen, das alsbald das gesamte Publikum erfasste, mit Verständnis im herkömmlichen Sinn aber wenig gemein hatte. Es „siebenbürgisch“ zu nennen wäre zumindest vermessen, in jedem Fall aber irreführend: Ingredienzien und Gewürze aus der Landschaft seiner Herkunft hat Pastior in seiner Lyrik zwar opulent einzusetzen gewusst, und diese mit Lust herauszuschmecken sind naturgemäß jene prädestiniert und privilegiert, die diese Herkunft mit ihm teilen. Die Pastiorsche Dichtung allerdings ist, um im kulinarischen Bild zu bleiben, überaus opulente Kost, die weit mehr bietet als exotische Geschmacksverstärker, und um sie in vollen Zügen zu genießen, muss man sich schon hinsetzen und selber lesen.
Wer aber schon Freude daran gefunden hat, seine Gedichte schwarz auf weiß auf sich wirken zu lassen, wird diesem ebenfalls schwarz auf weiß gehaltenen Band mit Zeichnungen des Künstlers erst recht manch Buntes abgewinnen können. Die promovierte Architektin Heidede Becker, eine WG-Gefährtin aus den siebziger Jahren, in denen Oskar Pastior in Berlin Einlass in den deutschen Kulturbetrieb suchte und alsbald fand, hat ihre damaligen Einblicke in sein graphisches Schaffen zur Gesamtsicht ausgeweitet und Pastiors zeichnerische Hinterlassenschaft in der Abteilung „Bilder und Objekte“ des Deutschen Literaturarchivs Marbach mit Genehmigung der Oskar-Pastior-Stiftung Berlin zu einem strukturierten Überblick gebündelt, den sie ebenso kenntnis- wie beziehungsreich vorstellt. Dabei geht es ihr nicht nur um die Chronologie der zum Teil selbständigen, zum Teil Lyrikbände begleitenden Zyklen, sondern um den Bezug zwischen poetischer und graphischer Form bei diesem Setzer so gewitzter wie geheimnisvoller Zeichen in Wort- und anderen Gebilden.

Text hat Oskar Pastior stets als „materialen Gegenstand, gestaltbar, ver- und umformbar“, verstanden und gehandhabt – die Brücke zur Zeichnung erschließt sich damit auch einem, der in den trüben Strudeln des kunstfernen Alltags dümpelt und keines der beiden Ufer je zu erreichen vermag. Ob er schrieb oder zeichnete, dieser bescheidene Krösus der Kreativität frönte einer Wollust, die wenigen gegeben ist, an der er aber alle teilhaben lässt. Sie müssen sich nur darauf einlassen.
Abbildung aus dem besprochenen Band ...
Abbildung aus dem besprochenen Band
Ein bisschen wird mancher zu schlucken haben, wenn er liest, dass Oskar Pastior einen „Tudor Arghezy“, gar einen „Marin Surescu“ übersetzt haben soll, weil er weiß, wie diese rumänischen Dichter heißen. Gleichwohl wird ein jeder, mit einem Altvorderen des „poetischen Forschers“ zu reden, „kräftig genährt, danken für alles“ lernen, was dieser ge-, ver- und umgeformt hat, und „verstehe(n) die Freiheit“, die gerade im „Nichtverstehen“ begründet ist. Hermann Wallmann redet ihm denn auch munter zu, „aufzubrechen, wohin er will“, und es auszukosten: „Und so ist es denn dieser verschmitzte Autismus, der es macht, daß man dann und wann seinen Kopf in den Nacken legt oder auf die eine oder andere Schulter – und lächelt, ohne es zu wissen.“
Abbildung aus dem besprochenen Band ...
Abbildung aus dem besprochenen Band
Oskar Pastior hat die Zeichnungen – immerhin ihrer rund 650 umfasst der Nachlass in Marbach – bedauernd seine „Stiefkinder“ genannt und es als beengend empfunden, dass man ihm nur Sprachkunst „so richtig“ zugetraut hat. Offenbar war und ist auch sein Publikum zwar geneigt, aber der Freiheit nicht recht gewachsen, die er ihm angeboten hat. Dabei hat er selbst in einem Brief an die Wolfenbütteler Bibliothekarslegende Professor Dr. Paul Raabe 1974 eher zaghaft formuliert: „Im Grunde wäre ich ja sehr, sehr froh, wenn aus dem TGS-Gedanken … etwas würde.“ TGS steht für Text, Graphik, Schallplatte – heute hießen die wohl Medien oder gar, horribile dictu, Datenträger.
Abbildung aus dem besprochenen Band ...
Abbildung aus dem besprochenen Band
Daten trägt Oskar Pastior nun gerade keine an uns heran, sondern lauter Zeichen, die Wege aus dem global bedrängenden Datenwust wiesen, wüsste man sie nur – nein, nicht zu deuten, sondern anzunehmen im Vertrauen, dass dieser raffiniert treuherzigen Verführer niemals in die Irre führt, sondern – wieder mit dem altvorderen Hölderlin zu reden – „ins Offene, Freund“. Und siehe, im Pastiorschen Offenen zwinkern sogar Eulen, die er „in Stuttgart/Korntal bei Gerda Rosenthal, geb. Hager gefunden und hier in Berlin z. T. mit dieser Auberginentinte (von Ingomar)“ von einer Bordüre aus der „Mappe Siebenbürgische Kreuzstiche von Emil Sigerus (Tafel XIX, Nr. 80) … durchgepaust“ hat. Immer geht bei ihm die Offenheit mit bibliographischer Akkuratesse einher, und alles, was er gefunden hat, hat er aus sich heraus neu erfunden, mit „verschmitztem Autismus“, unverwandter Vertraulichkeit, treuherziger Raffinesse.

Georg Aescht


Heidede Becker: „Aubergine mit Scheibenwischer - die Zeichnungen von Oskar Pastior“, Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg, 2018, 229 Seiten, Preis: 29,80 Euro, ISBN: 978-3-884235942.

Schlagwörter: Literatur, Oskar Pastior, Graphik, Zeichnungen, Nachlass, Buch, Aescht

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