24. September 2022

Bewahren und Vermitteln: Nachruf auf Wilhelm Roth

„Ich biete keine Geschichten, sondern Begebenheiten, die das Leben schrieb.“ Diese Antwort gab Wilhelm Roth in einem Interview mit der Siebenbürgischen Zeitung, kurz vor seinem 70. Geburtstag, auf die Frage, was seine Homepage auszeichne. Seit dem 22. August 2022 beschreibt Wilhelm Roths Leben leider keine neuen Seiten mehr. Allerdings hinterlässt uns der Verstorbene zahlreiche Seiten, die das Leben vieler Siebenbürger Sachsen und die Geschichte ihrer Gruppe festhalten. Je älter Wilhelm Roth wurde, desto wichtiger wurde es ihm, das Wissen über die Siebenbürger Sachsen „für alle Zeit“ zu bewahren. Dieser Wunsch entstand aber bereits in den 1950er Jahren. Wilhelm Ernst Roth, von seinen Freunden „Willi“ genannt, wurde am 28. Mai 1937 in Kronstadt als Sohn von Ernst Roth und Katharina Barthel geboren.
Wie so viele andere, war er ein Zeuge der Umwälzungen, die der Zweite Weltkrieg und seine Folgen für die Siebenbürger Sachsen mit sich brachten. Besonders zu schaffen machte ihm die Auflösung der jahrhundertealten sächsischen Gemeinschaft, und er fand seinen eigenen Weg, damit umzugehen: Wilhelm Roth setzte sich intensiv mit der Geschichte der Siebenbürger Sachsen auseinander und gab dieses Wissen nicht nur an die Nachkommen „seiner Sachsen“ weiter, sondern auch an Rumänen und Ungarn in seiner alten sowie an Deutsche in seiner neuen Heimat. Fest im Blick hatte Wilhelm Roth dabei die Frage: „Wie kam es dazu, das unsere Vorfahren ihre Heimat nach fast neunhundert Jahren aufgaben und in die Urheimat zurückkehrten?“ Die von ihm gewählten Formate, um das vielfach bestehende Informationsbedürfnis zu befriedigen, waren so vielfältig wie seine Kreativität. Sein technischer Sachverstand half ihm, praktische Lösungen für die Präsentation und Dokumentation von Wissen zu finden.

Wilhelm Roth in seiner Wohnung in Augsburg, 2021. ...
Wilhelm Roth in seiner Wohnung in Augsburg, 2021. Foto: Ulrike Lassner
Die den Deutschen vom kommunistischen Regime in Rumänien auferlegten Restriktionen führten dazu, dass Wilhelm Roth erst 1958, nach dem Besuch des Kronstädter Abendgymnasiums, das Abitur erwerben konnte. Er war ein versierter Techniker, der mehrere Patente in Rumänien anmeldete, aber seine eigentliche Leidenschaft galt schon früh der Kultur. Als Jugendlicher bat er seinen Geschichtslehrer im Abendgymnasium, nach dem Ende des Unterrichts, samstags um 21 Uhr, Vorträge zur Geschichte der Rumäniendeutschen zu halten, die damals in den Schulen nicht mehr vermittelt werden durften. In den 1960er Jahren unternahmen er und Marianne Roth, geb. Jacobi, mit der er seit 1960 verheiratet war, Wanderungen mit jungen Menschen aus der DDR in die Karpaten. Gemeinsam besuchten sie sächsische Ortschaften, in denen er ihnen ohne Überwachung durch das Regime die Kultur und Geschichte der Sachsen näherbringen konnte. Es folgten in den 1970er Jahren mehrere Ausstellungen mit eigenen Kunstfotos in Siebenbürgen und Bukarest sowie zwischen 1978 und 1982 die Erstellung von über 30 Dia-Tonmontagen, mit denen er das Brauchtum der Sachsen (z. B. ihre Festkultur und Trachten) dokumentierte, die mehrfach auf Landesebene prämiert wurden. Dies alles fand ehrenamtlich statt, neben seinem Beruf als Reparateur beim Post- und Fernmeldeamt (1962-1972) bzw. Werkstoffprüfer in der Flugzeugfabrik (1972-1982) sowie seinen Verpflichtungen als Vater eines Sohnes (Eckhard, geboren 1964) und einer Tochter (Ulrike, geboren 1968). Wilhelm Roths ausgeprägter Gemeinschaftssinn zeigte sich auch im Privaten. Schon in den 1950er Jahren formte er in Kronstadt einen großen Freundeskreis, der sich bis heute regelmäßig in den Alpen trifft.

Nach seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland 1982 setzte Wilhelm Roth die Präsentation seiner Dia-Tonmontagen in Deutschland – nun ungehindert durch staatliche Eingriffe – fort. In den zwei Jahrzehnten als Kulturreferent der Kreisgruppe Augsburg brannte er zwischen 1989 und 2009 ein Feuerwerk an unterschiedlichen kulturellen Formaten ab. Dazu gehörten Vortragsreihen zu den Rumäniendeutschen, u.a. in Kooperation mit dem Bukowina-Institut Augsburg, Gedenkgottesdienste, Mundartdichtertreffen, Blasmusikkonzerte sowie Ausstellungen, u.a. zu Hermann Oberth, Johannes Honterus, zum Deutschen Orden im Burzenland, zum Augsburger Bekenntnis in Siebenbürgen oder über die Aktivitäten seiner Augsburger Kreisgruppe, die ihm ganz besonders am Herzen lag. Er war stets ein Vorbild mit seinem immensen Einsatz im Ehrenamt, dem er einen großen Teil seines Lebens gewidmet hat. Mit seinen Ideen, seiner unermüdlichen Tatkraft war er in der Kreisgruppe Augsburg ein guter Organisator und treuer Unterstützer, immer mit einer Kamera ausgestattet, um auf das Sorgfältigste zu dokumentieren. So verdankt die Kreisgruppe Wilhelm Roth eine beachtliche Sammlung an Bildmaterial. Für viele Augsburger war er nicht nur ein kompetenter Ratgeber, sondern auch ein verlässlicher, guter Freund, der seine Lebenserfahrung gerne mit ihnen teilte und die ihn dafür sehr schätzten.

Typisch für Wilhelms enthusiastischen Tatendrang war sein Entschluss, die 1999 von Metalldieben entwendete Bronzerelieftafel des Honterus-Denkmals in Kronstadt nachzubilden. Die aufgrund seiner Spendenaktion finanzierte Replik konnte 2002 am Denkmal angebracht werden. Seine Abdrucke halfen später bei der Rekonstruktion der zweiten Tafel, die 2009 gestohlen wurde.

Für seine Verdienste um die Vermittlung der Kultur und Geschichte der Siebenbürger Sachsen wurde Wilhelm Roth mehrfach ausgezeichnet: 1996 erhielt er das Silberne, 2005 das Goldene Ehrenwappen sowie 2011 das Siebenbürgisch-Sächsische Verdienstabzeichen „Pro Meritis“ des Verbandes der Siebenbürger Sachsen. Moderne Kulturarbeit war nach Wilhelms Verständnis ohne moderne Vermittlungsmethoden nicht möglich. Schon früh erkannte er die Möglichkeiten, die das Internet für die weltweite Vernetzung der Siebenbürger Sachsen bietet und so erstellte er bereits 2002 seine eigene Homepage (über 170 000 Besucher) und digitalisierte seine Dia-Tonmontagen, um sie für die Zukunft zu sichern. Aber auch ganz „klassisch“ – zwischen zwei Buchdeckeln – versuchte er, das kulturelle Erbe der Rumäniendeutschen zu bewahren, indem er 2009 den Band „Zwangsarbeit in Rumänien 1950-1961“ sowie 2010-2014 die Buchreihe „Die Deutschen in Rumänien“ in sechs Bänden im Selbstverlag mit Zeitzeugenberichten herausgab, die bislang noch nicht behandelte Themen präsentieren, wie die Erlebnisse bei Hilfstransporten nach Rumänien zwischen 1972 und 2012. Seine Rezensenten, ob Hans Bergel oder Anton Sterbling, betonten die Authentizität und Vielfältigkeit der Berichte, die durch Illustrationen sowie durch einige wissenschaftliche Aufsätze ergänzt wurden.

Gerade Hans Bergel schätzte die Intention Wilhelm Roths, das Wissen über die Vergangenheit der Siebenbürger Sachsen insbesondere an die junge Generation weiterzugeben: „Sie sind die Letzten, die aus eigenem Mitansehen und Erleben über die Epoche berichten können.“

Dazu gehörte zweifellos auch Wilhelm Roth, der sich aber nicht damit begnügte, die eigene Sicht auf die Vergangenheit mitzuteilen, sondern Foren für einen allgemeinen Erinnerungstransfer schuf. Dies stellt sein zentrales Vermächtnis dar, das er durch die Existenz der siebenbürgischen Kultureinrichtungen in Gundelsheim gewahrt sah. Dort wird sein Nachlass bereits erwartet.

GV, HS



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Schlagwörter: Roth, Augsburg, Nachruf, Geschichte, Kronstadt

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