17. Februar 2023

„Zukunft der siebenbürgischen Kirchenburgenlandschaft“

Bis auf den letzten Platz besetzt war der große Saal im Münchner Haus des Deutschen Ostens und kurzerhand auch noch mit ein paar extra Stühlen aufgefüllt, sodass knapp 90 interessierte Gäste der Veranstaltung am 17. Januar 2023 beiwohnen konnten. Gemeinsam organisiert von Stiftung Kirchenburgen, Haus des Deutschen Ostens (HDO) und Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen, bot der Abend mit einer international besetzten Podiumsdiskussion sowie einem vorangestellten Impulsreferat Ein- und mögliche Ausblicke die Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgens betreffend.
Gruppenbild: Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, ...
Gruppenbild: Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch, Philipp Harfmann (hinten), Tudor Pavelescu, Bischof Reinhart Guib, Rainer Lehni, Dr. Iris Oberth, Konsulin Janette-Constant,a Carabas¸u, Harry Lutsch, Friedrich Gunesch, Dr. Lilia Antipow, Gergely Szurgyi (v.l.n.r.). Fotos: HDO
Als Vertreter der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien (EKR) war Bischof Reinhart Guib angereist, gemeinsam mit Friedrich Gunesch, Hauptanwalt und Vorsitzender der Stiftung Kirchenburgen. Beehrt wurde der Abend auch durch das Generalkonsulat von Rumänien, mit der Anwesenheit von Konsulin Janette-Constanța Carabașu. Der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland war zahlreich vertreten, allen voran durch den Bundesvorsitzenden Rainer Lehni und die Ehrenvorsitzende Herta Daniel. Ebenso war die Vorsitzende des Verbandes der Siebenbürgisch-Sächsischen Heimatortsgemeinschaften, Ilse Welther, der Einladung gefolgt. Der Geschäftsführer der Stiftung Kirchenburgen, Philipp Harfmann, nahm neben dem Vorstandsvorsitzenden des Kulturwerks, Harry Lutsch, Platz. Musikalisch wurde der Abend virtuos begleitet von Gergely Szurgyi an der klassischen Gitarre.

Dr. Lilia Antipow begrüßte im Namen des HDO die Gäste und drückte, auch im Namen des gesundheitlich leider verhinderten Direktors, Prof. Dr. Andreas-Otto Weber, die Freude darüber aus, wieder eine Veranstaltung zum Thema Kirchenburgen im Haus zu haben. Bischof Reinhart Guib zeigte sich in seinem Grußwort erfreut über das große Interesse an dem Schicksal der siebenbürgischen Kirchenburgen, dies gebe, trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen, ein Zeichen der Hoffnung. Ebenso hoffnungsfroh und, ganz dem engagierten Geist der HOGs entsprechend, tatkräftig-positiv war auch die Grußbotschaft von Ilse Welther. Harry Lutsch betonte in seinen Grußworten, dass es dem Kulturwerk ein besonderes Anliegen sei, das Engagement um den Erhalt Kirchenburgen als integralen Bestandteil der siebenbürgisch-sächsischen Kultur, so gut es geht, zu unterstützen.

Den Auftakt des inhaltlichen Teils der Veranstaltung machte das anschauliche und informative Impulsreferat des Hermannstädter Architekten Tudor Pavelescu. Er leitet das Architekturbüro Modul 28, dessen Hauptarbeit im Bereich Renovierung und Erhalt historischer Gebäude liegt, insbesondere auch von Kirchenburgen. Auf Empfehlung von Dr. Arch. Hermann Fabini, in dessen Ausbildung er auch war, arbeiten Tudor Pavelescu und sein Team seit einigen Jahren erfolgreich mit der Stiftung Kirchenburgen zusammen. Thema seines Kurzvortrags war die „Kulturelle Wiederbelebung und wirtschaftliche Nachhaltigkeit durch die Restaurierung der Kirchenburgen“. Dabei stellte er zunächst die aktuelle Situation in ihrem Arbeitsareal vor, den Dörfern im sächsischen Raum des Kreises Hermannstadt. Darunter gibt es einige, in denen die Zahl der dort noch lebenden Sachsen drei nicht überschreitet. Grob lässt sich der aktuelle Architektur-Stand der Kirchenburgen in Siebenbürgen wie folgt zusammenfassen: Jeweils zu einem Drittel sind die Anlagen stark bedroht, unter Arbeit bzw. in Planung oder in gutem Zustand. Anhand einiger Beispielprojekte stellte Tudor Pavelescu dann zwei, in Kooperation mit der Stiftung Kirchenburgen durchgeführte Restaurierungsprogramme vor. Zum einen ist dies das 2019 begonnene Dächerprogramm, im Zuge dessen bereits mehr als zehn Kirchenburgen renoviert worden sind und das auch für die Architektur Biennale in Rumänien nominiert war. Zum anderen, seit 2020, das Adaptive Re-use Programm, das den Erhalt durch Umnutzung der Gebäude um die Kirche zum Ziel hat. Die Renovierung sei nur ein Teil des Prozesses, ein Hauptaspekt sei der anschließende, möglichst langfristige Erhalt der historischen Gebäude, betonte Pavelescu.

Der Hauptprogrammpunkt des Abends, die darauffolgende Podiumsdiskussion, war hochkarätig besetzt, mit Friedrich Gunesch als Vertreter der EKR, Rainer Lehni seitens des Verbandes sowie Hon.-Prof. Dr. Konrad Gündisch als einem der renommiertesten Historiker im Bereich siebenbürgische Geschichte, insbesondere auch der Historie der Kirchenburgen. Die Moderation hatte Dr. Iris Oberth, Leiterin des Kulturwerks der Siebenbürger Sachsen, inne.
Dr. Konrad Gündisch, Friedrich Gunesch, Dr. Iris ...
Dr. Konrad Gündisch, Friedrich Gunesch, Dr. Iris Oberth und Rainer Lehni bei der Podiumsdiskussion.
Die Diskussion behandelte zunächst den aktuellen Zustand der Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgens sowie Projekte zu deren Erhalt, seitens der Zuständigen vor Ort wie auch durch Initiativen von in Deutschland lebenden Siebenbürger Sachsen. Dabei waren auch Perspektiven und Möglichkeiten zum gemeinsamen Handeln ein Thema. Hierzu gab Friedrich Gunesch einen „sowohl groben als auch positiven“ Überblick über die Kirchenburgenlandschaft, zu deren rund 200 Objekten auch Stadtkirchen und Gotteshäuser zählen, die im klassischen Sinn keine Kirchenburgen mehr sind. 34 Anlagen wurden oder werden derzeit noch mit EU-Projekten in Stand gesetzt und es besteht Aussicht, dass in einer weiteren Projektrunde noch einige dazu kommen. Zudem laufen in knapp 100 Kirchen und Kirchenburgen größere oder kleinere Instandsetzungsarbeiten, die von den Kirchengemeinden, den zuständigen Bezirkskonsistorien, den HOGs oder mit weiteren Partnern durchgeführt werden. Als besonders erfreulich hob Friedrich Gunesch zudem hervor, dass die Stiftung innerhalb der letzten drei Jahre etwa 20 Kirchenburgen über das Dächerprogramm gesichert hat. Hier weiterzumachen, sei sehr wichtig. Als eine weitere Option führte er noch an, dass einige Anlagen anderen Nutzern überlassen worden sind, die sich somit auch um deren Erhalt kümmern. Zu diesen gehören u.a. die Vereine „Ars Transilvaniae“ und „Kulturerbe Siebenbürgen“ oder auch die HOG Abtsdorf.

Daran anschließend erörterte Rainer Lehni die Vielzahl an Hilfen, die in diesem komplexen Bereich von den Siebenbürger Sachsen aus Deutschland erfolgen. Grundsätzlich teilt sich diese Unterstützung auf in Gemeinschaftshilfen und Initiativen von Privatpersonen. Seitens des Verbandes sei das Thema Unterstützung der Kirchenburgen schon durch die Organisationsstruktur vorgegeben. So setzt sich die Gemeinschaft nicht nur immer wieder für die Rettung einzelner Gotteshäuser ein, wie z.B. bei der Unterstützung nach dem Brand des Bistritzer Kirchturms oder mit Spendenaufrufen nach dem Einsturz der Alzner Kirchendecke, sondern auch für den Erhalt der Gesamtkirchenburgenlandschaft. Hier stehen insbesondere auch die Siebenbürgische Zeitung immer für die Berichterstattung zur Verfügung, ebenso wie der Internetauftritt Siebenbuerger.de, über den auch jenseits der Verbandsgrenzen viele erreicht werden. Auf der anderen Seite führte Rainer Lehni die HOGs an, die sich auf eindrucksvolle Weise für den Erhalt „ihrer“ jeweiligen Kirchenburg einsetzen. Hier wurde in den letzten drei Jahrzehnten wirklich Phänomenales geleistet. Auch Initiativen wie der Verein „Kulturerbe Kirchenburgen“ oder eben Privatpersonen bewegen Erstaunliches.

Neben der architektur- und kunsthistorischen Bedeutung der siebenbürgischen Kirchenburgenlandschaft, die teils zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, ist es für den Diskurs jedoch grundlegend, sich bewusst zu sein, dass die Kirchenburgen stets ein, wenn nicht das zentrale Element siebenbürgisch-sächsischer Kultur darstellen. Hierauf ging insbesondere Konrad Gündisch ein. So kenne er keinen siebenbürgisch-sächsischen Haushalt, in dem nicht das Bild einer Kirchenburg zu finden ist. Diese Kirchenburgenlandschaft ist tatsächlich das Kernstück der so genannten Erinnerungskultur, im Sinne der Forscher Pierre Nora, Hagen Schulze und Etienne Francois. Die große Spendenbereitschaft und auch der ehrenamtliche Arbeitseinsatz vieler HOG-Mitglieder für die Restaurierung der Wehrkirchen seien demnach mit ein Zeichen dafür. Im Laufe der Geschichte hätten die Kirchenburgen unterschiedliche Bedeutungen gehabt, von Schutz und Verteidigung hin zum Sinnbild für den Willen, den eigenen Glauben und damit die eigene Identität zu verteidigen und zu leben, sodass sie als Element der Erinnerungskultur, aber auch als Symbol für den Willen, die eigene Kultur zu sichern und für die Zukunft zu bewahren, fungieren. Die heutigen Bemühungen in den meisten Gemeinden, die Kirchenburgen zu schützen, auch als touristisches Ziel zu vermarkten, weisen laut Dr. Gündisch in dieselbe Richtung. Somit sei auch das Bemühen um den Erhalt von Kirchenburgen, selbst in Orten, in denen es keine Kirchengemeinde mehr gibt, von äußerster Wichtigkeit, darin waren sich alle drei Diskutanten einig. Es komme nicht auf die Seelenzahl an, sondern auf das kulturelle Erbe der Siebenbürger Sachsen, das es zu erhalten gilt. Wie eine Generation mit ihrem Erbe umgeht, sei ein Gradmesser ihrer Reife und ihres Verantwortungsgefühls.

Bischof Reinhart Guib bei seinem Grußwort ...
Bischof Reinhart Guib bei seinem Grußwort
Im weiteren Verlauf des Gesprächs spielten auch ganz praktische Fragen eine Rolle, wie beispielsweise jene, was schwerer wiegt, der Geld- oder der Fachkräftemangel. Beides wiegt schwer, so Friedrich Gunesch, doch bereitet der Mangel an Architekten, Baufirmen, Gutachtern, aber auch Projektmanagern in diesem Bereich der Kirche so manche Sorge. Zudem wurde auch die Bedeutung des Tourismus diskutiert, sei es nun in Form von Bildungs- bzw. Fachtourismus oder auch der erstarkende nationale Tourismus, mittels dessen die rumänische Mehrheitsbevölkerung, gerade auch aus anderen Landesteilen, Siebenbürgen und seine Kirchenburgenlandschaft kennenlernt. Hierzu herrschte Konsens darüber, dass zum einen Bildungsarbeit auf allen Ebenen für die Erhaltung und Popularisierung der siebenbürgischen Kirchenburgenlandschaft von essentieller Bedeutung ist und zum anderen, dass die weitere Bekanntmachung dieser einmaligen Landschaft in der breiten, gerade auch nicht siebenbürgischen Öffentlichkeit wichtig ist. Es müsse zudem gelingen, die Mehrheitsbevölkerung vor Ort zu sensibilisieren, dieses Erbe auch als das ihre anzusehen und es somit zu schützen. Dieses Bestreben ist auch in einer der Hauptrichtlinien der EKR in ihrem Strategiekonzept „Zukunft Kirche“ formuliert, die unter anderem in Punkt 4 besagt: „Die EKR gewährt Zugang zu ihrem Kulturerbe; sie fördert dessen Vermittlung und setzt sich für sachgemäße, nachhaltige Nutzung ein. Es ist Anliegen und Aufgabe der EKR, die Begegnung aller interessierter Gruppen […] mit dem Kulturerbe zu ermöglichen und anzuregen.“ Dass Teil dieses möglichst nachhaltigen Erhalts der Anlagen auch Nutzungserweiterungen bzw. teils auch Umnutzung sein müssen, dies jedoch mit Bedacht und Weitblick betrieben werden muss, darin waren sich die drei Referenten einig.

Im Anschluss an die mit viel Fachwissen, Sensibilität für die komplexe Thematik, aber auch Humor geführte Diskussion gab es bei einem kleinen Empfang noch ausreichend Gelegenheit zum persönlichen Austausch. Das Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen dankt den Referenten des Abends und den Kooperationspartnern sowie den zahlreichen Gästen herzlich für diese gelungene Veranstaltung.

Dr. Iris Oberth

Schlagwörter: Kirchenburgen, HDO München, Podiumsdiskussion, Stiftung Kirchenburgen, EKR

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Neueste Kommentare

  • 20.02.2023, 18:59 Uhr von MariaM: Ein Dankeschön an alle die sich für das Kulturerbe einsetzen! Es wäre erfreulich wenn solche ... [weiter]

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