5. Mai 2006

Das "deutsche Problem" in Rumänien in den Nachkriegsjahren

Rezension eines aufschlussreichen Sammelbandes mit Archivmaterial über die gegen die Deutschen in Rumänien verhängten Repressalien: "Germanii din România 1944-1956. Culegere de documente de arhivă, intocmită de Hannelore Baier" (Die Deutschen aus Rumänien 1944-1956. Sammlung von Archivdokumenten, zusammengestellt von Hannelore Baier), Honterus-Verlag Hermannstadt, 2005, 168 Seiten, ISBN 973-87070-2.
Hannelore Baier hat das Verdienst, mehrere Studien und Archivmaterialen über die Verfolgung, Internierung, Deportation, Enteignung, Entrechtung und Diskriminierung der Deutschen in Rumänien in dem Jahrzehnt nach dem Staatsstreich und dem Frontwechsel Rumäniens vom 23. August 1944 veröffentlicht zu haben. Zu erwähnen sind vor allem der 1994 in rumänischer Sprache erschienene Dokumentationsband über die Deportation der arbeitsfähigen Rumäniendeutschen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion und nun das Quellenwerk, ebenfalls in rumänischer Sprache, auf das hier hingewiesen werden soll. Es bietet insgesamt 54 bisher nicht bekannte Dokumente aus verschiedenen Zentralarchiven in Bukarest und deren Filialen in Temeswar und Karansebesch. Es handelt sich hauptsächlich um Auszüge aus Protokollen des Ministerrats, verschiedener Ministerien, des Zentralkomitees der Kommunistischen beziehungsweise der Rumänischen Kommunistischen Arbeiterpartei sowie um Berichte und Mitteilungen von Gendarmerie- und Polizeistationen sowie anderer Stellen. Das mitgeteilte Archivmaterial, das sich auf die Zeit von September 1944 bis 1956 erstreckt, wird in vier Themen gegliedert: das deutsche Problem, die Evakuierung, die Repatriierung und die Agrarreform.

Ihr Buch Germanii din România 1944-1956 stellte Hannelore Baier am 27. März 2006 im Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in München vor, links im Bild dessen Direktor Dr. Stefan Sienerth. Foto: Konrad Klein
Ihr Buch "Germanii din România 1944-1956" stellte Hannelore Baier am 27. März 2006 im Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas in München vor, links im Bild dessen Direktor Dr. Stefan Sienerth. Foto: Konrad Klein

Aus den mitgeteilten Unterlagen ist ersichtlich, dass die Deutschen für die Regierung und für die immer stärker an den höchsten Entscheidungen beteiligte Kommunistische Partei zum Problem wurden, das immer wieder zur Sprache kam. Es ergab sich die Frage, wie nach 1944 gegen sie vorzugehen sei, nachdem sie pauschal zu Kollaborateuren Hitler-Deutschlands erklärt worden waren. Dabei wurden in dem Jahrzehnt, das hier zur Debatte steht, verschiedene "Lösungen" vorgeschlagen.

Zunächst wurde die Evakuierung beziehungsweise die Ausweisung oder Vertreibung nach Deutschland befürwortet. Dazu hat es von September 1944, als sogar die Volksgruppenführung eine Evakuierung vorschlug, bis Ende 1946 verschiedene Ansätze und Initiativen gegeben, wie es die Dokumente des Bandes belegen. Es ist bekanntlich nicht zur Vertreibung gekommen; bloß aus Nordsiebenbürgen und dem Sathmargebiet sowie aus einigen Gemeinden Südsiebenbürgens und des Banates konnte im Herbst 1944 ein Teil der deutschen Bevölkerung flüchten.

Zur Deportation in die Sowjetunion bringt der Band keine Zeugnisse, da, wie gezeigt, Hannelore Baier, darüber einen Sonderband herausgegeben hat.

Zahlreiche Dokumente geben Aufschluss über Maßnahmen der rumänischen Behörden gegen jene Deutschen, die vor und nach Kriegsende freiwillig oder zwangsrepatriiert in ihre Heimat zurückkehrten. Es handelte sich um Flüchtlinge, die von der Roten Armee überrollt und zurückgeschickt wurden, um Umsiedler ins "Reich" von 1940 aus der Südbukowina und der Dobrudscha, um von der Wehrmacht Evakuierte und Flüchtlinge im Herbst 1944, um Männer, die in der deutschen Armee gedient und aus der Gefangenschaft entlassen worden waren, um heimkehrende Russlanddeportierte u.a. Die gegen sie getroffenen Maßnahmen erstreckten sich von der Verweigerung der Einreise, dem Entzug der Staatsbürgerrechte, der Internierung in Lager und Mobilisierung zu Zwangsarbeit u.a. Schikanen. In einem jüngst erschienenen Aufsatz in den "Südostdeutschen Vierteljahresblättern" (Heft 4, 2005) gibt Hannelore Baier einen Überblick über Zwangsarbeitslager und Arbeitskolonien, in denen nicht nur die genannten Heimkehrer, sondern auch andere arbeitsfähige deutsche Männer und Frauen damals interniert waren. Sie wurden auf Baustellen, in Bergwerken, Steinbrüchen, Fabriken und in der Landwirtschaft eingesetzt. Von solchen Internierungen waren im März 1946 nach Angaben des Innenministeriums 6 336 Personen betroffen.

Der größte Teil des Quellematerials bezieht sich auf die Agrarreform, durch die die deutsche Bauernschaft enteignet und zum Teil aus ihren Häusern vertrieben wurde, oder mit den neuen Besitzern - in vielen Fällen mit von auswärts zugezogenen "Kolonisten" - zusammen hausten. Bald stellte man in Regierungskreisen fest, dass durch die Agrarreform die landwirtschaftliche Produktion in den sächsischen und schwäbischen Dörfern desorganisiert wurde von "Neubauern", die von Landwirtschaft wenig verstanden, dass große Flächen unbebaut blieben, dass die deutschen Bauern von den neuen Besitzern als Tagelöhner oder als Pächter ausgebeutet wurden, oder keine ihren beruflichen Erfahrungen und Fähigkeiten entsprechende Beschäftigung fanden, dass es unter diesen Bedingungen große Spannungen in den sächsischen und schwäbischen Dörfern gab. Als "Lösung" dachte man 1946/47 an eine gestreute Umsiedlung von etwa 96 000 Familien aus dem Banat und Siebenbürgen in verschiedene Landesteile. Der Plan ist jedoch nicht zur Durchführung gelangt. Weitere Vorschläge für die "Lösung des deutschen Problems" sahen eine freiwillige Umsiedlung auf Staatsgüter und -farmen in den Regionen Konstanza, Galatz und Bukarest oder als Gärtner in der Nähe größerer Städte sowie die Zusammenziehung von Deutschen mehrerer Siedlungen in einem Dorf vor, um sie zu isolieren und die bestehenden Spannungen abzubauen. Die Maßnahmen zielten darauf hin, die deutschen Gemeinschaften zu zerschlagen.

Aus mehreren Berichten geht hervor, dass die "Kolonisten" ebenfalls zum Problem wurden. Es wurden gemeldet: ungeregelte Zuzüge, Raubüberfälle, Schlägereien mit deutschen Familien, die teilweise Demolierung der von Kolonisten besetzten Häuser, das Abschlachten des Viehbestandes sowie die Vernachlässigung der zugewiesenen Ackerflächen. Man sah sich gezwungen, gegen unorganisierte Kolonistenzuzüge einzugreifen und dann später die Kolonisten und andere Hausbesetzter zur Aufgabe der deutschen Häuser zu zwingen.
Als alle Projekte zur Umsiedlung der Deutschen sich als unrealistisch erwiesen, gelangten führende kommunistische Kreise zur Schlussfolgerung, dass es ein Fehler gewesen sei, alle sächsischen und schwäbischen Bauern, die eine beispielhafte und entwickelte Landwirtschaft betrieben hatten, zu enteignen. Öffentlich hat man das natürlich nicht zugegeben. Da die Enteignungen jedoch nicht rückgängig gemacht werden konnten, bemühte man sich ab 1949, die deutschen Bauern im Banat und in Siebenbürgen für den Eintritt in Kollektivwirtschaften zu gewinnen und in anderen sozialistischen Unternehmen zu beschäftigen. Zu diesem Zweck wurden in verschiedenen Regionszentren und Dörfern Versammlungen mit Vertretern schwäbischer und sächsischer Bauern abgehalten. Was dabei herauskam, kann man in einigen Berichten des Bandes nachlesen.

Mehrere Dokumente beziehen sich auf die Gründung des "Deutschen Antifaschistischen Komitees" (13. Februar 1949), die Herausgabe einer deutschen Zeitung ("Neuer Weg") und, wie es in Dokumenten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei heißt, auf "die demokratische Lösung des deutschen Problems", sprich Einstellung der ausschließlich gegen die Deutschen gerichteten diskriminatorischen Maßnahmen und Anerkennung der vorher entzogenen staatsbürgerlichen Rechte.

Der nächste Schritt waren Beschlüsse über die Rückgabe der enteigneten Häuser, deren Durchführung sich bis 1956 hinauszog. Bloß die vormaligen Großbauern sollten davon ausgeschlossen bleiben.
Beim Lesen der Dokumente stellte man fest, dass letztendlich die Erkenntnis, dass die Deutschen durch ihre Arbeitsamkeit und ihren hohen, vorbildlichen beruflichen Stand einen wichtigen Wirtschaftsfaktor bildeten, dazu geführt hat, sie ab 1949 als nationale Minderheit mit eigener politischer Vertretung anzuerkennen. Sie wurden aber auch danach als "Hitleristen" verdächtigt, wie die Herausgeberin der Dokumente in der Einleitung hervorhebt. Auch die Rumäniendeutschen haben das Vertrauen in den rumänischen Staat nicht mehr zurückgewonnen, was einer der Gründe war, später in Massen das Land zu verlassen.

Dr. Michael Kroner

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 7 vom 30. April 2006, Seite 8)

Schlagwörter: Rezension, deutsch-rumänische Beziehungen, Zeitgeschichte

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