17. November 2006

Zorn in Rumänien: "Die ganze Welt lacht über uns"

Nach Erich Kästner verhalten sich Satire und Wirklichkeit zueinander wie ein Gegenstand zu seiner Abbildung in einem Zerrspiegel. Als die Bewohner des rumänischen Dorfes Glod in diesen Zerrspiegel blickten, waren sie entsetzt, fühlten sich übelst verunglimpft und missbraucht. Dabei vergaßen sie ganz, dass sie nur das Abbild eines kasachischen Mikrokosmos abgaben. Offenkundig hat „Borat“ eine weitere Opfergruppe auf dem Kerbholz. Die Rede ist von der gleichnamigen ätzenden Satire, die derzeit ein internationales Kinopublikum erobert.
Das im südrumänischen Verwaltungsbezirk Dâmbovița gelegene Dorf Glod bot die Kulisse für die in Kasachstan spielenden Szenen des polarisierenden Skandalfilms „Borat“. Was derzeit über unsere Leinwände läuft, empört einige Bewohner von Glod auf das Heftigste, so auch den 34-jährigen Roma Marin Marcel, der gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters äußerte: „Wir wollen klagen. Die ganze Welt lacht über uns. Sie haben uns gefilmt, ohne uns zu bezahlen.“ Immerhin sollen einige Dorfbewohner nach eigenen Angaben fünf bis sieben Dollar pro Drehtag erhalten haben. Starkes Geschütz fährt auch der örtliche stellvertretende Bürger­meis­ter Petre Buzea auf: „Diese Filmemacher sind Betrüger. Sie haben nur nach negativen Aspek­ten Ausschau gehalten.“

In der bitterbösen Satire „Borat“ beschreibt der britische Komödiant Sacha Baron Cohen Kasachstan als eine Nation von Frauenfeinden, die Pferde-Urin trinken. Die rumänischen Statisten scheinen sich indes derart mit ihrer Filmrolle zu identifizieren, dass sie meinen, gemeint zu sein, und sich nicht charakterisiert, stattdessen zutiefst diskriminiert fühlen. Wie Spiegel Online berichtete, befürchten die (mitnichten kasachischen!) Dorfbewohner nun einen Imageschaden für das Land. Bekanntlich wird Rumänien 2007 der EU beitreten.

Mögen aus der Perspektive des nicht eingeweihten Filmbetrachters Absicht und Wirkung auch lachhaft weit auseinander klaffen, so sagt der Grad der öffentlichen Erregung doch etwas aus über eine problembehaftete Befindlichkeit. Die Diskriminierung ethischer Minderheiten in Rumänien, wie der Roma, stellt nach wie vor ein massives Problem dar, auf dessen Bewälti­gung die EU unvermindert pocht. So gesehen fürchtet man in der Walachei wohl, dass „Borat“ sich ungünstig auswirken könnte vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die Beitrittsreife des Landes. Doch eine Satire ohne gesellschaftspolitische Brisanz ist wie Palukes ohne Milch (oder Käse).

CS

Schlagwörter: Rezension, Film, Rumänien und Siebenbürgen

Bewerten:

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.