18. November 2007

Ingrid Gündisch inszeniert Becketts „Endspiel“ in Nürnberg

Beckett, das Absurde und Nürnberg 2007. Kann das gut gehen? Beckett, das Absurde und Ingrid Gündisch 2007: Das muss gut gehen. Und es ging gut. „Ich hab mich am Stück gerieben, nicht am Absurden.“ So lautet ein erstes Fazit der jungen Theaterregisseurin Ingrid Gündisch kurz nach der Premiere von Samuel Becketts „Endspiels“ am 27. Oktober im Malsaal des Staatstheaters Nürnberg. Das Stück des irischen Literaturnobelpreisträgers und Klassikers des absurden Theaters - Dramen mit grotesk-komischen sowie irrealen Szenen - wurde in Nürnberg von einer 30jährigen Siebenbürger Sächsin genau 50 Jahre nach seiner Uraufführung in London inszeniert.
"Es ist nutzlos, es hat keinen Sinn, aber es funktioniert“ (Urs Troller)

„Ich habe selten so gut gearbeitet mit einer jungen Frau. Die hat gewusst, was sie wollte“, meinte Michael Nowak, einer der vier sehr überzeugend agierenden Darsteller. Er spielte im Einakter Clov, den Diener des blinden Alten Hamm, mit dem er untrennbar verbunden ist. Clov hasst Hamm und möchte ihn verlassen, aber er folgt konstant den Anweisungen Hamms. „Es gibt etwas, was ich nicht begreife: warum gehorche ich dir immer?“ Ja, warum denn? Er wünscht seinem Herren, er wünscht sich selber eher den Tod als dieses elendige Dahinvegetieren auf Kommando, dieses totale Gehorchen, dieses zwanghafte Gefesseltsein …
Hamm (links) und Clov im Nürnberger Malsaal. ...
Hamm (links) und Clov im Nürnberger Malsaal. Foto: Horst Göbbel

In einem kahlen Raum, der jeglicher Ausstattung beraubt ist – der Malsaal im Nürnberger Theaterkomplex eignet sich perfekt dafür – erlebt das Publikum die beiden Protagonisten in einem richtigen perpetuum mobile: Hamm, der blinde Alte, sitzt auf einem mit Röllchen versehenen Sessel, er kann nicht stehen, er kann nicht gehen, er kann ohne fremde Hilfe nicht existieren, und sein Diener, Clov, der kann nicht sitzen, der wird getrieben, der muss funktionieren, ob mit oder ohne Widerspruch. Pausenlos. Die Eltern Hamms, Nagg und Nell, nach einem Fahrradunfall beinlos, leben in zwei Mülltonnen in einem Hügel aus beigefarbenem Stoff und Papier in einem Eck des hell beleuchteten Malsaals. Leben? Na ja. Gegenseitiger Hass dominiert die Beziehung zwischen Diener und Herr, zwischen Clov und Hamm, totale Abhängigkeit aller vom blinden Lahmen ist Richtschnur dieses Beziehungsgeflechts. „Tu dies, tu das, und ich tu's. Ich weigere mich nie. Warum?“ Natürlich will Clov nur das eine: seinen Tyrannen verlassen, jedoch bringt er dafür die Kraft nicht auf. Wenn Clov geht, muss Hamm sterben, da Clov der einzige Überlebende ist, der ihn betreuen kann. Clov wäre auch dem Tod geweiht, da über die übriggebliebenen Vorräte nur Hamm verfügt. „Wenn ich ihn töten könnte, würde ich zufrieden sterben.“ Die Welt außerhalb des Raumes ist tot. Hamm erlebt sie nur durch die Augen von Clov, der sie mit dem Fernrohr durch die beiden Fensterchen beobachtet, zu denen er immer wieder auf einer Leiter hinaufsteigen muss. Hamm hasst seine Eltern, sie hassen ihn. „Ich hoffe, so lange zu leben, dass ich dich mich rufen höre, wie einst, als du noch klein warst und Angst hattest, in der Nacht, und als ich deine einzige Hoffnung war.“ Hamm, konfrontiert mit der einzig wahren Realität erkennt schließlich die Aussichtslosigkeit seiner Existenz und akzeptiert das Unvermeidliche: „Es ist zu Ende, Clov, wir sind am Ende. Ich brauche dich nicht mehr“. „Das trifft sich gut. Ich verlasse dich.“ Clov, bereit zu gehen, wartet unbeweglich. Das Stück ist aus. Geht er? Bleibt er?

Wer Becketts Endspiel gelesen hat, dem ist wohl kaum zum Lachen zumute. Wer Becketts verblüffenden Wunsch, „Ich möchte, dass in diesem Stück so viel wie möglich gelacht wird“, angeblich während der Proben zum „Endspiel“ vor fünfzig Jahren von ihm geäußert, kennt und Ingrid Gündischs Erstinszenierung am Nürnberger Staatstheater erlebt hat, bleibt überrascht: Ja, es ist möglich, Becketts Wunsch zu erfüllen. Die gespannte Aufmerksamkeit der Zuschauer – sie saßen im Karree im kahlen Malsaal des Nürnberger Staatstheaters sozusagen alle in der ersten Reihe – konnte die von der Regisseurin betonte Passage „Nichts ist komischer als das Unglück. Und wir lachen darüber“ blendend nachvollziehen. „Dass ungeheure Melancholie zum Lachen verführen kann, das ist großartig“, erklärte die Regisseurin anschließend. Vielleicht leuchtet auch darin die von uns oft erlebte Absurdität menschlichen Tuns prägnant auf. Nämlich das Absurde, das bei Beckett System hat. Leitmotivisch etwa in seinem unsterblichen „Warten auf Godot“, das von Sinnentleerung, Überdruss, Aussichtslosigkeit überquillt. Das Absurde hat ebenso in unserem Leben System. Beckett schöpft somit aus dem Vollen. Und der Einakter im Malsaal ließ uns das spüren. Das war jedoch nicht alles. Vor dem Abschied der beiden Protagonisten – ist es überhaupt einer? – sind unerwartete Vokabeln zu hören – man mag es zunächst nicht glauben, aber Hamm und Clov sinnieren darüber – man höre und staune: „Herz“, „Liebe“, „Freundschaft“, „Poesie“, „Augenblicke, die zählen“ suchen Platz in dem kahlen Raum. Unsere altneue Sehnsucht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ingrid Gündisch hat mit ihrer Inszenierung eine Herausforderung angenommen, ist ein Wagnis eingegangen. Und hat gewonnen. Aber, wer ist Ingrid Gündisch?
Regisseurin Ingrid Gündisch nach der Premiere. ...
Regisseurin Ingrid Gündisch nach der Premiere. Foto: Horst Göbbel

Die Württembergische Landesbühne Esslingen stellt Ingrid Gündisch so vor: Ingrid Gündisch wurde 1977 in Bukarest, Rumänien, geboren. Nach Assistenzen am Theater Basel studierte sie an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch Berlin“ Regie. Parallel zum Regiestudium war sie als Regieassistentin und Abendspielleiterin von Manfred Karge und George Tabori am Berliner Ensemble tätig und arbeitete als Schauspieldozentin an der Universität der Künste und an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin. Nach dem Studium war sie als Regieassistentin und Regisseurin am Schauspiel Köln im Ensemble. Seit 2004 ist Ingrid Gündisch freischaffend und lebt in Nürnberg. Inszenierungen: 2001 „Belgrader Trilogie“ (Srbljanovic), 2002 „Hautnah“ (Marber) am bat - Studiotheater Berlin; „Yard Girl“ (Prichard), „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ (Fassbinder) und „Welche Droge passt zu mir?“ (Hensel) am Schauspiel Köln; 2005 „Urfaust“ in Hermannstadt, Rumänien, 2006 „Kabale und Liebe“ am Grenzlandtheater Aachen. In der Spielzeit 2006/07 inszenierte Ingrid Gündisch an der WLB Lutz Hübners „Nellie Goodbye" und Ibsens „Nora“.

Und nun, im Oktober 2007 Becketts „Endspiel“ in Nürnberg. Der Premierenrotwein (bzw. der Prosecco) vernebelte uns keineswegs die Köpfe: Wir konnten klar sehen, was sich auf der Bühne abspielte, wir konnten klar erkennen, wie sich das Absurde hier in einer besonderen Art austobte, wir konnten klar erkennen, dass seine Wirkung uns betroffen machte. Wir konnten uns selber erkennen im Absurden: Uns im Alltag, uns im Leben, uns im Denken, uns im Fühlen, uns im Hoffen, uns im Handeln. Wir sind keinen Millimeter von dem entfernt, was uns in Ingrid Gündischs geschickter Inszenierung meisterhaft präsentiert wird, woran wir auch durch unsere Sitzordnung teilhatten, ja Teil des Geschehens wurden: Wir sind es, um die es im Stück geht. „Warum diese Komödie?“, fragt Clov. Was wir hier sehen, ist keine Lüge, hier wird laut gedacht, hier wird ein verrücktes Spiel meisterhaft abgespult. Ein verrücktes Spiel? Mitnichten. Seine Handlung, seine Aussage, seine Wirkung ist heute, genau 50 Jahre nach seiner Weltpremiere 1957 am Royal Court Theatre in London, brandaktuell. „Das ganze Leben wartet man darauf, dass ein Leben daraus werde.“ Mit sparsamsten Mitteln – kein Wunder bei Becketts höchst konkreten Regieanweisungen - wird Sequenz um Sequenz ins rechte Licht gerückt – die Scheinwerfer beleuchteten den gesamten Saal, das Publikum inbegriffen, unbarmherzig. Nichts sollte, nichts konnte uns entgehen. „Einem schweren Brocken Leichtigkeit zu verleihen“, schlussfolgerte Michael Nowack, und Jochen Kuhl, er spielte Hamm wirklich ganz cool, fügte nach der Premiere hinzu: „Das ist kontinuierlich professionell gewesen. Erwartet man bei einer 30jährigen eigentlich nicht unbedingt. … Sie hat uns überzeugt.“ Uns auch. Becketts absurder Tiefsinn besuchte Nürnberg und wir waren dabei. Auch Ingrid Gündisch sei’s gedankt.

Horst Göbbel

Letzte Vorstellungen am Staatstheater Nürn­berg, Richard-Wagner-Platz 2-10: Mittwoch, den 28. November, 20.00 Uhr; Freitag, den 7. Dezember, 20.00 Uhr. Karten sind erhältlich über die Ticket-Hotline: (01 80) 5 23 16 00, oder über die Webseite: www.staatstheater-nuernberg.de/.

Schlagwörter: Theater, Nürnberg

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