9. November 2008

Junge Forscher widmen sich der deutschen Kultur und Geschichte Osteuropas

Vierzehn junge Referenten aus vier Ländern hatten beim 8. Internationalen Diplomanden- und Doktorandenkolloquium in Bad Kissingen die Möglichkeit, ihre in Arbeit befindlichen Forschungsprojekte einem interessierten Publikum vorzustellen unter Anleitung kompetenter Berater aus Wissenschaft und Kultur, namentlich Prof. Dr. András Balogh von der Eötvös-Loránd-Universität Budapest bzw. der Babeș-Bolyai-Universität Klausenburg, Dr. Ralf Thomas Göllner und Dr. habil. Zsolt K. Lengyel vom Ungarischen Institut München, Prof. Dr. Horst Schuller von der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt.
Für einen reibungslosen Ablauf sorgte der Mitveranstalter und Studienleiter der Tagungsstätte „Der Heiligenhof“, Gustav Binder.

Vorstellung und Diskussion der wissenschaftlichen Arbeiten erfolgten in vier Abteilungen, gegliedert nach den Fachbereichen Geschichte und Rechtsgeschichte, Politik und Soziologie, Kunst- und Kulturgeschichte bzw. Volkskunde sowie Literatur- und Sprachwissenschaft. Im Vergleich zu letztem Jahr gestaltete sich die Themenpalette sehr viel abwechslungsreicher; neben der Geschichtswissenschaft waren auch die Fachbereiche Jura, Wirtschaftswissenschaft, Soziologie, Psychologie, Musikwissenschaft und Volkskunde vertreten. Dem Anspruch von „Interdisziplinarität“ bei der Erforschung des Donau-Karpatenraumes bzw. Themen deutscher Kultur in Mittelosteuropa wurden die Veranstalter damit in höchstem Maße gerecht. Erstaunlich hoch war in diesem Jahr der Anteil von Forscherinnen und Forschern aus Ungarn. Zwei Teilnehmer kamen aus Rumänien, zwei aus Deutschland und eine Teilnehmerin aus Frankreich.

Den Auftakt der Tagung machte die Abteilung „Geschichte und Rechtsgeschichte“ unter der Leitung von Dr. habil Zsolt K. Lengyel. Julia Derzsi stellte ihr Promotionsvorhaben „Schuld und Strafe. Der Mechanismus der Strafgerichtsbarkeit in den siebenbürgischen Städten im 16. Jahrhundert“ vor. Die Arbeit, die an der Lucian-Blaga-Universität in Hermannstadt unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Paul Niedermaier entsteht, hat zum Ziel, die Ausdifferenzierung der Rechtsbereiche bzw. die Entwicklung des siebenbürgischen Rechtslebens anhand der Städte Hermannstadt, Kronstadt und Bistritz zu untersuchen, vor dem Hintergrund der ständischen Formierung der sächsischen Nation und der zunehmenden Verschriftlichung des Rechts im 16. Jahrhundert. Angesichts der Konkurrenz nebeneinander existierender unterschiedlicher Gewohnheitsrechte stellt sich die Frage nach Konfliktfeldern und Kollisionspunkten (z. B. mit den ungarischen Adelsprivilegien) wie auch nach Beeinflussung und Übernahme fremder Rechtsgebräuche (z. B. Rezeption des Römischen Rechts). Formuliert wird die Hypothese, dass die Städte im Zuge dieser Prozesse ihre Autonomie und Unabhängigkeit in der Rechtsanwendung bewahren konnten.

Den Schritt ins 17. Jahrhundert machte Gábor Kármán vom Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Leipzig mit seiner Dissertation an der Central European University Budapest unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Katalin Péter: „The Transformation of the Foreign Policy in Transylvania of the Rákóczis after the Thirty Years’ War“. Die Arbeit will unter kritischer Hinterfragung des von W. Reinhard und H. Schilling entwickelten Konfessionalisierungsparadigmas der Frage nachgehen, wie sich das Fürstentum Siebenbürgen, seinem Selbstverständnis nach multikonfessionell, innerhalb des sich herausbildenden internationalen politischen Systems behaupten konnte, dessen Entwicklung sich – so die bekannte These – unter dem Einfluss der Konfessionalisierung vollzog.

Der Vortrag von Julia Anna Riedel beschäftigte sich mit den aufgeklärten Reformen Maria Theresias und Josephs II. im Königreich Ungarn. Untersucht werden soll die Wirkung der Kirchen- und Schulreformen auf das katholische Bildungswesen bzw. Konflikt und Zusammenspiel von Staat und geistlichem Ordenswesen bei den Bildungsreformen im 18. Jahrhundert. Im Zentrum der Arbeit, die an der Universität Tübingen von Prof. Dr. Anton Schindling betreut wird, stehen der Piaristenorden und sein Umgang mit der staatlichen Reformpolitik.

Den „geschichtlichen Block“ rundete Thomas Frühmesser von der Universität Würzburg mit der fast abgeschlossenen Dissertation unter der Anleitung von Prof. Altgeld über Hans Otto Roth (1890-1953) ab. Die Arbeit widmet sich seiner politischen Rolle, der parlamentarischen Tätigkeit, seinen Funktionen u. a. als Sekretär des Deutsch-Sächsischen Nationalrates, als Vorsitzender des Verbandes der deutschen Volksgruppen in Europa oder als Landeskirchenkurator sowie seiner Haltung zum Nationalsozialismus.

In der zweiten Abteilung wurden Themen aus Wirtschaft, Soziologie und Psychologie diskutiert. Anikó Dudás von der deutschsprachigen Andrássy Gyula-Universität Budapest will in einer ländervergleichenden Studie die Wirkung des Transformationsprozesses des wiedervereinigten Deutschland auf die Wirtschaftskultur im postsozialistischen Ungarn untersuchen. Gesucht wird letztlich eine Antwort auf die Frage, ob der politische und ökonomische Systemwandel Ungarns 20 Jahre nach der Wende tatsächlich als erfolgreich bezeichnet werden kann.

Raluca-Marilena Mihalcioiu aus Bukarest referierte über „Untersuchungsmethoden und Bewertung des Qualitätsmanagements in der öffentlichen Verwaltung“ und zeigte Perspektiven im Anwendungsbereich desselben im Zuge der „Europäisierung“ von Verwaltungsabläufen in Rumänien auf. Judit Langer-Buchwald stellte als Doktorandin des Interdisziplinären Doktorandenkollegs der Pannon-Universität in Veszprém ihr erziehungswissenschaftliches Thema mit dem Titel „Hindernisse und Möglichkeiten der Verbreitung der reformpädagogischen und alternativen Schulkonzeptionen im öffentlichen Schulwesen“ vor, das den (geringen) Stellenwert der Reformpädagogik in der universitären Ausbildung von Lehramtkandidaten für das öffentliche Schulwesen untersuchen soll.

Reichlich Anlass zur Diskussion gab der Vortrag von Catherine Roth über die „Europäische Identität zwischen Kultur und Nation: Fallbeispiel der Siebenbürger Sachsen“. Das Projekt im Bereich Kommunikationswissenschaft entsteht am politikwissenschaftlichen Institut der Universität Lyon unter der Leitung von Prof. Bernard Lamizet. Die Arbeit versucht mithilfe neuer Methoden einen innovativen Beitrag zur europäischen Identitätsforschung zu leisten. Über die in seinen Verflechtungen mit Kultur, Nation und Kommunikation betrachtete „Identität“ hinaus sollen Kultur und Geschichte der Siebenbürger Sachsen dokumentiert werden.

Der folgende Tagungstag war den „schönen Künsten“ gewidmet. Monika Iványi-Papp von der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest stellte ihr Dissertationsvorhaben „Das Volksstück als kurzlebiges Unikum in der ungarischen Bühnenmusik des 19. Jahrhunderts“ vor. Sie behandelt die Entstehung des Volksstücks, eines der widersprüchlichsten ungarischen Genres, im Zusammenhang mit der Spracherneuerung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert.
Aus dem Bereich der Volkskunde sprach Emese Gyöngyvér. Mit den Methoden der Feldforschung soll der Umgang mit dem Tod in den Burzenländer Csángó-Gemeinden – Vorbereitungen auf den Sterbefall, Bestattungsriten, Totenwache, Grabpflege – untersucht werden. Angeleitet wird das Projekt von Prof. Dr. Vilmos Voigt (Eötvös-Loránd-Universität Budapest) und Prof. Dr. Jenő Szigeti (Universität Miskolc).

Abschließend wurden literaturwissenschaftliche Projekte vorgestellt. Angéla Korb arbeitet im Rahmen des germanistischen Programms der Doktorschule für Literaturwissenschaft an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest an ihrem Forschungsprojekt „Die Fünfkirchner Zeitung und die Presselandschaft der Branau/Baranya im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts“, betreut von Prof. László Tarnói. Kinga Hajdú promoviert bei Prof. Dr. András Balogh am Lehrstuhl für deutschsprachige Literatur an der Eötvös-Loránd-Universität Budapest über die „Neue Beschreibung des Königreiches Ungarn“, verfasst von dem Sohn eines Melanchthon-Schülers, Martin Zeiller. Um Reiseliteratur ging es auch im Vortrag von István Pál Szabó, dessen Arbeit an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest entsteht, und der als Einblick in die Theorie der Reiseberichte die erste deutsche Beschreibung Persiens vorstellte, verfasst Anfang des 17. Jahrhunderts von einem ungarischen Diplomat und seinem deutschen Begleiter. Den Abschluss des Kolloquiums bildete der Vortrag von Zsuzsanna Vogel über das Epos „Ungrische Schlacht“ des Dichters Jacob Vogel aus dem Jahr 1626. Das Werk handelt von der Merseburger Schlacht mit dem Sieg über die Ungarn im Jahr 933. Neben der Untersuchung des Ungarn-Bildes, das im Epos vermittelt wird, soll auch ein Vergleich mit weiteren ungarischen und/oder deutschsprachigen Quellen um 1626 angestellt werden.

Sonntagvormittag endete das Kolloquium mit einem Stadtspaziergang durch Bad Kissingen. Alle Teilnehmer haben ihre Kenntnisse erweitert und Anregungen für ihre weitere Forschung erhalten. Das Ziel, Absolventen und Doktoranden in der Anfangsphase ihres Forschungsvorhabens Hilfestellungen zu geben, haben die Veranstalter erreicht. Ihnen gebührt auch Dank dafür, dass sie im Rahmen eines solchen Forums die Zusammenführung von Jungakademikern ermöglichten, die sich mit Themen deutscher Kultur und Geschichte im östlichen Europa beschäftigen.

Julia Riedel

Schlagwörter: Jugend, Siebenbürgen-Institut, Ungarn, Jugend, Südosteuropa

Bewerten:

6 Bewertungen: ++

Noch keine Kommmentare zum Artikel.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.