6. Dezember 2008

Claudiu M. Florian wandelt auf den Pfaden seiner Kindheit

Viele Bücher sind schon geschrieben worden, in denen sich die Autoren an ihre Kindheit in Siebenbürgen erinnern. Blühende Wiesen, Schulerlebnisse, unbeschwerte Tage im Karpatenbogen – über all das haben wir schon gelesen. Auch Claudiu M. Florian schreibt in seinem ersten Buch „Zweieinhalb Störche“ über eine Kindheit in Siebenbürgen, aber bei ihm klingt das alles etwas anders.
Der sechsjährige Ich-Erzähler wächst in den 70er Jahren bei seiner siebenbürgischen Großmutter und seinem rumänischen Großvater auf. Die Eltern leben und arbeiten in Bukarest und besuchen ihren Sohn ab und zu, aber das kommt so selten vor, dass der gar nicht recht weiß, was er mit den Begriffen Vater und Mutter anfangen soll. Er ist zufrieden mit seinem Leben bei Oma und Opa, mit seinen Freunden auf der Gasse, dem Kindergarten und den gelegentlichen Ausflügen in die Stadt, die nur umständlich zu erreichen ist.

Absolute Höhepunkte sind die Besuche der Verwandtschaft „Ausdeutschland“, einem Ort, der dem kleinen Ich-Erzähler geradezu magisch erscheint, denn dort gibt es „eiserne Autochens“ und Kaugummi, womit man sich vor den Freunden brüsten kann. Von der rumänischen Verwandtschaft gibt es bei Besuchen auch Geschenke, allerdings keine Autochen, sondern nur ein Gewehr, und selbst das ist aus Plastik. Damit lässt sich nicht so leicht Staat machen wie mit den Geschenken der Tanten und Onkel, die „Indeutschland“ leben.

Aber darüber kommt ein Sechsjähriger hinweg, denn es gibt einiges zu entdecken, zum Beispiel den Unterschied zwischen dem rotbraunen Fernseher und dem schwarzen Radio. Hier das staatliche Fernsehprogramm, dort Radio Freies Europa. Was soll man davon halten, wenn das Fernsehgerät gefahrlos eingeschaltet werden kann – wenn es denn funktioniert –, Radio aber nur abends und sehr leise gehört wird, so dass die Großeltern ganz nah davor liegen, die Ohren an die Lautsprecher gepresst? Das ist mit einem kindlichen Gemüt nicht zu verstehen, aber es gibt nun mal von allem „mehrerlei“: Sprachen, Kirchen, Orte, Menschen, Häuser, Gärten, Lügen. Nur so kann sich der kleine Erzähler die Verschiedenartigkeit der Dinge erklären, und so gibt es eben auch mehrerlei Verwandtschaft. Das erfährt er, als er mit seinem Vater in den Ferien aus dem siebenbürgischen ins rumänische Heimatdorf reist. So viele Cousins und Cousinen, Väter, Großväter, Mütter, Großmütter, Tanten und Onkel, da kann man schon mal den Überblick verlieren. Dennoch ist es ein spannender Ausflug, der ihm vor allem den eigenen Vater und dessen Sicht der Dinge näher bringt.

Wieder zurück bei den Großeltern, geht es noch für ein Jahr in den Kindergarten, obwohl er dafür eigentlich schon zu alt ist. Dementsprechend unwohl fühlt sich unser Erzähler, weil er nicht wie alle seine Freunde in die Schule gehen darf und im Kindergarten der Älteste ist, aber er lernt schnell, einen Vorteil daraus zu ziehen, und auch die erste Liebe lässt nicht lange auf sich warten. Karoline heißt sie, und er bekommt immer „warme Bauchschmerzen“, wenn er sie sieht oder an sie denkt. So verliebt ist er, dass er, als er im Kindergarten nach seinem Berufswunsch gefragt wird, „Pensionär“ angibt – wie sein Großvater, der gerade solch einer geworden ist und den ganzen Tag zu Hause verbringt, was dem Sechsjährigen sehr erstrebenswert erscheint.

Der Autor Claudiu M. Florian, geboren 1969 in Reps, hat mit seinem Debüt „Zweieinhalb Störche“ einen beachtlichen Erstling vorgelegt. Poetische Sprache und kindliche Sichtweise vereinen sich zu einem mit feinem Humor versehenen Roman, der eine Kindheit in Siebenbürgen zwischen zwei Welten beschreibt – der siebenbürgischen und der rumänischen. Florian, der als Presseattaché an der rumänischen Botschaft in Berlin arbeitet, ist eine andere Sicht auf das Kindsein in Siebenbürgen gelungen – eine Sicht, die umso mehr Lesefreude bereitet, als er es versteht, über die kindliche Sprache seines Ich-Erzählers dessen Welt zu erklären, die eben auch „mehrerlei“ ist.

Doris Roth

Claudiu M. Florian, „Zweieinhalb Störche“. Roman einer Kindheit in Siebenbürgen, TRANSIT Verlag, Berlin, 2008, 240 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 978-3-88747-235-1.

Schlagwörter: Rezension, Roman

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Neueste Kommentare

  • 15.12.2008, 14:59 Uhr von Hanschess: hoffe sehr das noch weitere Bücher von Claudiu florian folgen.Als Repser hab ich das Buch mit viel ... [weiter]

Artikel wurde 1 mal kommentiert.

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