19. März 2009

Heinrich Neugeboren: Künstler von internationalem Ruf

Das Jubiläum der 50. Wiederkehr von Heinrich Neugeborens Tod am 12. Januar 1959 gibt Anlass, einen vom Vergessen bedrohten Namen in Erinnerung zu bringen, den Namen einer Künstlerpersönlichkeit, die auch jenseits der Grenzen seiner siebenbürgischen Heimat einen internationalen Ruf besaß. Ein beredtes Zeugnis davon legt eine nach Jahresfrist seines Able­bens in Frankreich erfolgte Würdigung von Person und Werk ab.
Am Vortag der Eröffnung von Henri Nouveaus Retrospektive in der „Galerie de France“ (8.-31. Januar 1959) veröffentlichte die Zeitschrift La Revue musicale in ihrer Sondernummer (Nr. 246) einen Nachruf auf den Komponisten Hen­rik Neugeboren.

„Wenige Publikationen“, schreibt der Heraus­geber Albert Richard, „haben mir so am Herzen gelegen wie diese. Henrik Neugeboren, der Mu­siker, Maler und Denker, hinterläßt ein Werk, das von einer Botschaft getragen ist, die von großer Geisteskraft zeugt und mit zwingender Logik einer beständigen Gedankenwelt verschrieben ist. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass Henrik Neugeborens gesamtes Œuvre für sich in Anspruch zu nehmen vermag, Ausgewo­genheit in der Schöpfung, aber auch Schöpfung in der Ausgewogenheit verwirklicht zu haben. [...] Es ist die Botschaft eines Menschen, dessen Leben darin bestand, seinen Mitmenschen sein ureigenstes Selbst in der größtmöglichen Strenge dargebracht zu haben.“

Henri Nouveau-Neugeboren, 1958. Foto: ...
Henri Nouveau-Neugeboren, 1958. Foto: Nachlassarchiv des Künstlers, Paris (Bildarchiv Konrad Klein)
Heute, ein halbes Jahrhundert nach diesem allerersten Nachruf, sieht man sich erneut in die Pflicht genommen, dieses Künstlers zu gedenken. Heinrich Neugeboren wurde am 6. März 1901 in Kronstadt geboren. Vom Vater den Sinn für Konstruktion und von der Mutter Musikalität und Empfindung erbend, wuchs das Kind in einer Atmosphäre auf, die für seinen Werdegang als Musiker, Maler und Philosoph bestimmend sein sollte. Der schöne Sopran der Mutter und das Klavierspiel eines sympathischen Onkels zündeten den Funken zur Musik, des Vaters technische Zeichnungen und Pläne verlockten zum Zeichenstift, und das geistige Niveau des Um­gangs der Familie schürten Meditation und Mit­teilungsdrang.

In frühem Alter bereits wurde das Klavier – erst Spielzeug, dann ernsthaftes Beginnen – zum Magnetfeld, und aus ebenso spielerisch dünkender Koketterie entstand der Hang zu zeichnerischen Improvisationen. Wenn dem Knaben bis zu seinem zehnten Lebensjahr – in beiden Küns­ten zweifellos begabt – keine methodische Erzie­hung zuteil wurde, so mochte das wohl darin gelegen haben, dass die liebevollen Eltern, von Vernunft geleitet, den Gedanken, ein Wunder­kind zu erziehen, von sich wiesen. Schließlich wurde aus Spiel Ernst. Dem mit anderen Unzu­friedenen und dem später mit sich selbst am meisten in Hader stehenden waren Ehrgeiz und Ausdauer beschieden.

1912 wurde der Vater dienstlich nach Buda­pest berufen. Damals besaß der Elfjährige be­reits eine beträchtliche Sammlung von Zeich­nungen. Dem Gymnasiasten wurde nunmehr ein systematischer Klavier- und Zeichenunterricht erteilt. Die vielen Opernbesuche schürten das Interesse an der Musik, und es war vor allem Wagners „Tristan“, der den Knaben völlig in den Bann zog. Ein solches Erlebnis sollte auch zu bildnerischem Impuls werden, indem Hein­rich märchenhafte Theaterdekorationen entwarf.

Zum Zeitpunkt des Abiturs stand der Ent­schluss fest, Musiker zu werden. 1921 begann Henrik Neugeboren sein Studium an der Hoch­schule für Musik in Berlin als Schüler von Egon Petri, Ferrucio Busoni und Paul Juon.

Nach Beendigung der akademischen Studien in Berlin wird der ausgezeichnete Pianist und angehende Komponist für zwei Jahre Meister­schüler von Nadja Boulanger an der „Ecole Normale de Musique“ in Paris. Die zwanziger Jahre sind geprägt von einer überaus regen schöpferischen Arbeit; kein Jahr vergeht ohne ein Kammermusikalisches Werk hinterlassen zu haben. Der Komponist behauptet sich: Die Verlage „Rober Deiss“, „Alphonse Leduc“ und „Durand“ veröffentlichen einige der Werke und die „Société de Musique Indépen­dente“ führt im „Triton“ erstmalig Neugeborens Musik auf. Der französische Rundfunk führt die Initiative fort, und als wenige Jahre später, 1934, die Entscheidung erwogen wird, welcher der jungen Künstler die französische Komponis­tenschule beim internationalen Musikwettbe­werb in Florenz repräsentieren soll, fällt die Wahl auf Henrik Neugeboren.

Als Komponist ausschließlich der Kammer­musik zugetan, schuf er als Maler Bilder von kleinem Format. In Frankreich stellten mehrere Galerien seine Bilder aus und selbst in Deutsch­land, Italien, der Schweiz und in Schweden waren seine Bil­der zu sehen. Die Museen „Galerie de France“, „Musee d’Art Moderne“, das „Stedelijk Museum“ in Amsterdam und die Pinakothek des Lever­kusener Schlosses Moirs­broch erwarben Bilder Henri Nouveaus. Lever­kusen sollte Jahre später der Ort werden, an dem ein „Ausnahmewerk“ bleibende Stätte finden sollte: Heinrich Neuge­borens Bachdenkmal; nach wenigen Takten der es-moll-Fuge aus dem 1. Bande des „Wohltem­perierten Klaviers“ als dreidimensionale Graphik repräsentiert: „... ein Denkmal, würdiger als die althergebrachten Figuren auf einem Sockel von Notenrollen umgeben und von schlechtem Geschmack ...“ Heinrich Neugeboren hat ein reiches Œuvre hinterlassen: rund 50 Kammermusikwerke, über 1 000 Bilder, Keramiken, kunstgewerbliches Geschmeide, Essays, Erzählungen und nicht zuletzt die tiefsinnigen Aphorismen seines über vier Jahrzehnte lang geführten Tagebuches.

Heinrich Neugeboren war ein Aristokrat des Geistes. Neben Musik und Malerei war die Phi­losophie der andere Zufluchtsort, wo er aus dem Poetischen, dem Seltsamen, dem Ironischen des Lebens sich sorgfältig die Substanz seiner Ein­samkeit zu bauen vermochte. Das Unnahbare, das Verschwiegene, die Angst vor dem „großen Nichts“ prägten seinen hoffnungslosen Pessimis­mus, der ihm die Kontemplation des Schönen und den Drang nach Wahrheit wert machten.

Rudolf Franz Reschika

Schlagwörter: Künstler, Musiker, Schriftsteller

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Neueste Kommentare

  • 19.03.2009, 13:37 Uhr von Don Carlos: Mit Erstaunen las ich diesen faszinierenden Artikel:"Heinrich Neugeboren war ein Aristokrat des ... [weiter]
  • 19.03.2009, 12:01 Uhr von The history of Igor: Danke schoen, interessanter Beitrag...ich vermerke, dass es leider keinen Wikipedia Eintrag zu ... [weiter]

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