30. August 2011

Rosemarie Müller: "Keinen schöneren Ort gefunden"

Ihre Suche nach siebenbürgischen Trachten, mit denen sie sich in ihrer Diplomarbeit zum Thema „Heimatgefühl als Gesellschaftstrend“ beschäftigt (siehe Reportage in dieser Zeitung), führte Marion Homm auch in das siebenbürgische Alzen. Dort traf sie Rosemarie Müller, die das Dorf trotz aller Widrigkeiten nicht verlassen hat. Sie ist eine der verbliebenen Sächsinnen in Siebenbürgen - und aus Alzen nicht mehr wegzudenken.
Rosi Müller ist in ganz Siebenbürgen bekannt. Jedes Kind, das man auf der Straße fragt, kann einem den Weg zur „Rosi“ beschreiben. Rosemarie Müller, wie die Rosi richtig heißt, wohnt seit 54 Jahren in Alzen. Hier ist sie am 14. August 1956 geboren worden und als Kind einer Bauernfamilie aufgewachsen. In der Straße ist ihr Haus schon von weitem zu sehen. Kurz nachdem wir mit dem großen, ringförmigen Klopfer an die Tür geklopft haben, bittet sie uns freundlich lächelnd herein auf die Terrasse und nimmt sich für uns mehrere Stunden Zeit. Und das, obwohl wir nun wirklich Fremde sind. Nach dem Tod ihrer Eltern lebt sie alleine in dem großen Haus, die Scheune hat sie für die vielen Sommergäste zu Gästezimmern umbauen lassen. Hinten im Hof laufen ihre Hühner scharrend und gackernd umher, der graue zottelige Hofhund beobachtet uns prüfend.
Rosemarie Müller ist in Alzen in Siebenbürgen zu ...
Rosemarie Müller ist in Alzen in Siebenbürgen zu Hause. Foto: Werner Homm
Rosi Müller ist seit 1993 Grundschullehrerin in Alzen. Sie selbst ging in den deutschen Kindergarten, danach besuchte sie die deutsche Abteilung an der Grundschule in Alzen und die Gymnasialklassen fünf bis acht ebenfalls in ihrem Heimatort. Es folgten „vier schöne Jahre“ an der Bergschule in Schäßburg, die sie mit dem Abitur abschloss, und weitere drei Jahre in Hermannstadt, wo Rosi eine pädagogische Ausbildung machte. Vor 15 Jahren wurde sie als erste Frau Kuratorin der evangelischen Kirche in Alzen, sie ist Mitglied im Hermannstädter Bezirkskonsistorium und Deutschen Forum. Rosi hat viel zu erzählen, von den Weihnachten früher, als den Siebenbürgern die Kirche verboten wurde und die Kinder stattdessen in der Schulturnhalle eingesperrt einen Film anschauen sollten. Bis jetzt denkt sie oft an den Geruch zurück, als sie in der Schule zu Weihnachten eine kleine braune Papiertüte bekommen haben. Darin waren Äpfel aus dem Pfarrgarten, Lebkuchen und Kekse, die die Frauen aus dem Dorf gebacken hatten, ein Bleistift und ein Heft.

Ihre Leidenschaft ist nach wie vor die Schule. Sie erhielt eine doppelte Qualifizierung, als Lehrerin und als Kindergärtnerin. „Damit ging der Traum meines Lebens in Erfüllung“, erzählt sie stolz. „Am liebsten würde ich beide Berufe ausüben, einen am Vormittag und einen am Nachmittag.“

Im Dorf ist sie für fast alle Kirchenangelegenheiten die Ansprechpartnerin, doch ihre Hilfe geht darüber hinaus: Alle Menschen, ob alt oder jung, finden immer ein offenes Ohr bei ihr. Seien es nun Gespräche, Arzttermine oder notwendiger Pflegebedarf – alle können auf die Rosi zählen. Sie schwelgt weiter lebhaft in Erinnerungen: „Das Schönste waren immer die Bälle am Wochenende! Fremde waren immer eingeladen, es wurde getanzt bis in den Morgen!“ Während sie mit leuchtenden Augen erzählt, kommt ein kleiner Zigeunerjunge zur Tür herein. Er kann kaum sprechen, die Sohlen seiner Schuhe sind bis zur Hälfte aufgerissen, seine Kleider sind alt, die dunkle Haut im Gesicht ganz dreckig. Mit seinen schwarzen Augen schaut er Rosi an, sagt „Biscuit!“ und streckt fordernd die Hand aus. Rosi steht auf und holt ihm vier Kekse aus der Küche, die er sofort einsteckt. „Diese Kinder kommen oft zu mir, sie wissen, dass sie hier etwas zu essen bekommen“, sagt sie. Sie selbst ist unverheiratet und kinderlos, die Kinder in der Schule sind aber wie ihre eigenen, erzählt sie uns. Neben der deutschen Sprache, die den rumänischen Kindern irgendwann eine bessere Ausbildung sichern soll, vermittelt sie den Kindern sicher auch andere deutsche, oder siebenbürgische Werte. „Viele Kinder hier sind verwahrlost, die Eltern haben kein Geld und auch keine Lust, sich intensiv um ihre Kinder zu kümmern.“

Nach ihrer Tracht gefragt, verschwindet sie wieder kurz in dem riesigen pfirsichfarbenen Haus und kommt mit einer Tasche und ein paar Kisten im Arm zurück. Als sie die Tasche auspackt, kommen nach und nach immer mehr Teile zum Vorschein. Bänder, Röcke, eine Bluse, wieder Bänder. Dann beschreibt sie, wie man das alles anziehen muss. Der Rock muss über den Unterrock reichen, die Schürze darf auf keinen Fall länger sein als der Rock. Dann die Bluse, das Leiberl und der Spangengürtel. Die Tücher müssen speziell gefaltet sein. Und den Borten (eine Art Hut) soll man keinesfalls außen am Samtstoff anfassen. Kompliziert klingt das alles. „Man brauchte etwa eine halbe Stunde, um die Tracht richtig anzuziehen“, sagt sie lächelnd, „aber ich habe sie so gern getragen! Meine Mutter hat immer geschimpft, ich würde sie mir kaputt machen! Für so eine komplette Ausstattung hat man damals viel bezahlen müssen!“ Als ich nachfrage, was so eine Tracht heute kosten würde, meint Rosi Müller, mehrere Tausend Euro wären es schon.

Die flüchtenden Siebenbürger durften bei der Ausreise nach Deutschland solche Stücke nicht mitnehmen. Dadurch gab es in Rumänien irgendwann zu viele zurückgelassene Trachten – und zu wenige Siebenbürger. Viele der kostbare Stücke, die über Generationen hinweg vererbt worden sind, wurden weggeworfen. Dass die Siebenbürger, die in Deutschland leben, sich heute um die Trachten aus der Heimat reißen und es kaum mehr welche gibt, konnte man damals nicht ahnen. Die Rosi bewahrt ihre Trachten sorgfältig auf, auch diejenigen, die ihr nicht mehr passen. In jeder Naht scheint ein Stück Geschichte eingewebt zu sein. Und ebenso, wie sie ihre Tracht nicht weggeben würde, so würde sie auch nie ihrer Heimat Siebenbürgen den Rücken kehren. „Meine Heimat ist im engsten Kreis Alzen, erweitert das Harbachtal und die Hermannstädter Gegend, dann Siebenbürgen und Rumänien. Hier ist der Ort, wo es mir gut geht und wo es mir gefällt“, sagt sie uns. „Auf all meinen Reisen habe ich keinen schöneren Ort gefunden und bin deshalb immer wieder zurückgekehrt.“

Marion Homm

Schlagwörter: Reise, Heimat

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