29. Mai 2015

Nordrhein-Westfalen bekennt sich zur Paten- und Partnerschaft

Den „Geist der Versöhnung“, der den Heimattag trage, würdigte Thorsten Klute in seiner Ansprache bei der Eröffnung des diesjährigen Pfingsttreffens am 23. Mai im Schrannen-Festsaal. Der Staatssekretär für Integration im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen erinnerte mehrfach an den 2006 verstorbenen früheren nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und Bundespräsidenten Johannes Rau. Bezogen auf die seit 1957 bestehende Patenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen für den Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland bekräftigte „Patenminister“ Klute: „Wir möchten gerne Ihre Partner bleiben und sein.“. Lesen Sie im Folgenden die Rede im Wortlaut.
Gan doch! Sehr geehrte Damen und Herren, Herr Vorsitzender, Herr Oberbürgermeister! Ich komme aus Nordrhein-Westfalen, und da war über viele Jahre Johannes Rau, der später Bundespräsident wurde, Ministerpräsident. Gelegentlich pflegte Johannes Rau in Veranstaltungen, wo wichtige Persönlichkeiten anwesend sind, Vertreter und Vertreterinnen aus Ministerien, Botschaften, Landtagspräsidenten, Staatssekretäre anderer Regierungen, viele, viele andere wichtige Persönlichkeiten, zu sagen: „Liebe Titel!“ Und so möchte ich es heute auch machen. Herzlichen Dank, sehr geehrte Damen und Herren, für die Einladung hier in diese wunderschöne Stadt Dinkelbühl. Herr Oberbürgermeister, Sie und Ihre Bürgerinnen und Bürger können zu Recht stolz sein auf diese Stadt.

„Identität lohnt sich!“ – so lautet dieses Jahr Ihr Motto. Als Ihr „Patenonkel“ aus Nordrhein-Westfalen, der dieses Amt erst seit kurzer Zeit ausübt, kann ich nur sagen: Welch‘ gute Wahl!

Der frühere und vor gar nicht so langer Zeit verstorbene Bundespräsident Richard von Weizsäcker, bekanntermaßen ein großer Menschenfreund mit beachtlicher Formulierungskunst, hat schon im Jahr 1985 in seiner Rede auf dem Evangelischen Kirchentag in Düsseldorf einige kluge Sätze gerade dazu, zur Identität gesagt: „Identität“, so von Weizsäcker, „das ist zunächst die Frage danach, wie man sich selbst versteht. Es ist eine ganz persönliche Angelegenheit. Jeder hat seine eigenen Erlebnisse und Schwerpunkte. Davor gilt es, Respekt zu haben, und sich gegenseitig nichts aufzuzwingen.“

Diesen Respekt gegenüber den Siebenbürger Sachsen haben die Menschen in meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen schon seit Jahrzehnten gezeigt. Gewiss, als nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, an dessen Ende vor 70 Jahren wir vor wenigen Tagen gedacht haben, Tausende von Vertriebenen zu uns kamen und die Not groß war, da hat nicht jeder „Hurra“ gerufen, auch nicht in Nordrhein-Westfalen. In der Rückschau lässt sich aber doch sagen, dass die Barmherzigkeit, oder politisch gesagt, die Solidarität, gesiegt hat. Und das liegt sicher auch an dem Grundanliegen der Vertriebenen: nämlich, wie es der eben bereits erwähnte frühere Ministerpräsident meines Landes, Johannes Rau, schon 1997 hier auf Ihrem Heimattag gewürdigt hat, an dem Versöhnungswerk teilzunehmen, „das uns in Europa aufgetragen ist“.

Diesen Geist der Versöhnung, der Ihren Heimattag trägt und der sich täglich in Ihrer Arbeit auch in den Heimatortsgemeinschaften zeigt, diesen Geist gilt es heute zu würdigen. Dies ist auch aus einem weiteren Grund wichtig. „Identität“, so sagte Richard von Weizsäcker nämlich weiter, „ist aber auch die Frage, wie man für andere verständlich ist, ob und wie uns unsere Mitmenschen und Nachbarn verstehen können. Eine Frage also nach unserer Fähigkeit zum Zusammenleben mit anderen Völkern.“ Und er führte weiter aus: „Der Mensch kann den Überlieferungen eine neue Richtung geben, er kann seine Zeit beeinflussen. Dafür ist er frei, dafür ist er verantwortlich. Alle menschliche Geschichte ist Wandel, Veränderung. Geschichte selbst ist der wichtigste Beleg menschlicher Freiheit, den wir haben.“
"Patenminister" Thorsten Klute, Staatssekretär ...
"Patenminister" Thorsten Klute, Staatssekretär für Integration im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, spricht bei der Eröffnung des Heimattages in Dinkelsbühl. Foto: Lukas Geddert
So betrachtet, glaube ich fest, dass Ihre Geschichte in Siebenbürgen, aber auch die Geschichte Ihres Beitrags zum Wiederaufbau Westdeutschlands und Ihrer Integration auch in meinem Bundesland Nordrhein-Westfalen einen Beleg menschlicher Freiheit darstellen.

Johannes Rau hatte es 1997 hier bereits mit folgendem Bild von der Aufgabe eines Paten beschrieben: „Wer selbst Pate ist, der weiß, manche Paten versuchen nach der Konfirmation, sich zurückzuziehen. Wir haben das nicht getan.“ Für Nordrhein-Westfalen gilt. Wir ziehen uns nicht zurück. Trotz der vielfältigen Prioritäten – etwa der zurzeit sehr großen Aufgabe der Aufnahme von Flüchtlingen aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt, gerade auch in den Kommunen – ich war selbst viele Jahre lang Bürgermeister-, und der Integration der bei uns bleibenden Menschen – unterstützen wir die Siebenbürger Sachsen institutionell, nämlich durch Zuschüsse für Ihre Geschäftsstellen in München und Düsseldorf. Darüber hinaus hat Ihre Vereinigung weiter die Möglichkeit, Projektfördermittel nach § 96 des Bundesvertriebenengesetzes zu beantragen.

Dieses Jahr haben Sie Mittel zur „Unterstützung der deutschen Sprache in Rumänien bzw. zur Förderung deutscher Lehrkräfte in Siebenbürgen“ erhalten. Mit der Zuwendung unseres Landes soll es 12 Studierenden ermöglicht werden, den Studiengang Grund- und Vorschulpädagogik an der Universität Hermannstadt im Jahr 2015 kostenfrei zu besuchen. Ziel der Förderung ist der Erhalt der Strukturen in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung für deutschsprachigen Unterricht und in deutschsprachigen Bildungseinrichtungen in Rumänien.

Zudem beabsichtigen unser nordrhein-westfälischer Arbeits- und Integrationsminister Guntram Schneider, der mich gestern noch bat, Ihnen herzliche Grüße von ihm auszurichten, und ich in diesem Jahr nach Rumänien zu fahren. Schwerpunkt dieser Fahrt wird die Frage der Armutsbekämpfung und die Situation der Roma im Land sein. Sie wissen vielleicht: In den letzten Jahren sind viele Menschen aus prekären sozialen Verhältnissen aus Rumänien gerade auch nach Nordrhein-Westfalen gekommen. Im Rahmen der Fahrt ist aber eben auch ein Besuch in Siebenbürgen geplant.

Zusammengefasst will ich Ihnen heute zurufen: Wir möchten gerne Ihre Partner bleiben und sein. Sie gedenken auf diesem Heimattag auch der Verschleppung von bis zu 80 000 Ihrer Landsleute und der Sathmarer und Banater Schwaben in die frühere Sowjetunion nach 1945. Herta Müller erhielt ja 2009 für ihren Roman „Atemschaukel“, in dem sie die Verfolgung Rumäniendeutscher unter Stalin in einer individuellen Geschichte beschreibt, den Nobelpreis für Literatur.

Unendlich traurig macht auch das adaptierte „Russlandlied“, das die Deportierten zu der Melodie der russischen Ballade „Stenka Rasin“ in vielen Lagern und noch nach der Heimkehr der Verschleppten in vielen Dörfern des Banats und des Sathmarlandes sangen.

Wenn man sich vor diesem Hintergrund die heutigen Kriege, Verschleppungen, Vertreibungen und Fluchtbewegungen weltweit anschaut, dann, das frage ich mich und das frage ich Sie, darf man dann nicht fragen: Haben wir, hat die Menschheit eigentlich in den letzten 70 Jahren nichts dazu gelernt? Wir wollen zum Mars fliegen, wir wissen, auch dank neuer IT-Technik, immer mehr, vor allem aber, dass unsere Ressourcen endlich sind, und trotzdem regieren vielerorts Hass und unglaubliche Brutalität.

Ich bin fest davon überzeugt, dass gerade die Vertriebenen uns heute bei der Bewältigung der Folgen aktueller Fluchtbewegungen helfen können – in Nordrhein-Westfalen, aber auch in ganz Deutschland. Sie haben nach schweren Schicksalsschlägen Solidarität erfahren und Solidarität geübt. Gerade auch, weil die heute zu uns Kommenden uns vielleicht „fremd“ erscheinen.

Integration, so sagte es einmal Johannes Rau, da war er dann schon Bundespräsident, sei gewiss nicht immer einfach. Jedoch gelte es nun, miteinander zu leben und sich gegenseitig zu bereichern. Er sagte: „Eine Kette führt von Fremdheit über die Neugier zur Freundschaft.“ Ich würde mich freuen, wenn viele von Ihnen diese Neugier spüren würden, um in diesem Sinne neue Freundschaften zu schließen. Wie heißt es so schön in der vierten Strophe Ihres Siebenbürgenliedes? „Siebenbürgen, grüne Wiege einer bunten Völkerschar!“ In diesem Sinne: Allent Gadet uch viel Gläck!


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Schlagwörter: Heimattag 2015, Nordrhein-Westfalen, Patenschaft, Partnerschaft, Dinkelsbühl

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