12. April 2025

„Ich begleite unseren Verband vom Spielfeldrand aus“: Ex-Bundesgeschäftsführer Erhard Graeff im Gespräch anlässlich seines 70. Geburtstags

Drei Jahrzehnte lang war er Macher und Faktotum im Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland: Am 12. April begeht der aus Hermannstadt stammende frühere Bundesgeschäftsführer Erhard Graeff seinen 70. Geburtstag. Den „Un-Ruhestand“ erlebt der Familienvater (verheiratet, zwei erwachsene Kinder) in Röhrmoos bei Dachau als kurzweilig. Unseren Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland hat er nach seinem Rentenbeginn am 1. Dezember 2019 wie selbstverständlich im Blick behalten; und er engagiert sich heute noch als Schatzmeister im Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen. Im nachfolgenden Gespräch mit Christian Schoger äußert sich Erhard Graeff unter anderem auch zu einem fünf Jahre älteren Jubilar, der Siebenbürgischen Zeitung.
Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag, lieber Erhard! Wie begehst Du diesen besonderen Tag?

Dankeschön. Meine Frau meinte, den 70. müsste man schon etwas größer feiern, also tun wir das. Engste Familie und ein paar gute Freunde verbringen einen schönen Nachmittag gemeinsam. Und ja, es gibt Cremeschnitten und auch Baumstriezel, Importware aus Nürnberg.

Wie geht es Dir heute, gut fünf Jahre nach Deinem Ausscheiden aus der Berufstätigkeit? Was erfüllt Dich, was treibt Dich um im Ruhestand?

Ja, die Zeit verrinnt wie im Flug! Aber ich leide nicht darunter, dass ich nun nicht mehr in vorderster Reihe für die Gemeinschaft handle. Das machen nun Jüngere, und sie machen es gut. Es ist die gleiche Überzeugung, die Dankwart Reissenberger, damals Ehrenvorsitzender des Verbandes, uns Jungen gegenüber geäußert hat: „Ihr macht das schon“. Und er hat sich ansonsten sehr zurückgehalten, was ihm sicherlich nicht immer leichtgefallen ist. Ich begleite unseren Verband vom Spielfeldrand aus, ohne Zwischenrufe. Es sei denn, ich werde gefragt. Im Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen habe ich als Schatzmeister eine Aufgabe gefunden, die gedanklich meinem Alter entspricht: vorwiegend Altenhilfe.

Erhard Graeff am Spielfeldrand, hier am Rande ...
Erhard Graeff am Spielfeldrand, hier am Rande eines Fußballturniers, an dem sein Enkel mitgemacht hat. Foto: privat
Nach 30-jähriger Verbandstätigkeit verfolgst Du nach wie vor mit Interesse die Entwicklung des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Vergangenes Jahr hast Du gemeinsam mit Deiner Ehefrau Marle den Heimattag in Dinkelsbühl besucht. Mit welchen Gefühlen und Eindrücken?

Nicht nur wegen Corona sind wir dem Pfingsttreffen einige Jahre ferngeblieben. Aber glaub mir, es ist wie Fahrrad fahren, wenn man`s einmal gelernt hat, kann man es für immer. Wir können also noch Heimattag, das hat 2024 bewiesen: durchgemacht von Samstag bis Montagmittag. Und ohne persönliche Verantwortung für das Geschehen ist es mindestens genauso schön. Dinkelsbühl ist uns sehr vertraut, wir sind eben Insider. Etwas ist mir äußerst positiv aufgefallen: Es gibt mehr und mehr glatte „Gehspuren“ im mittelalterlichen Pflaster, das Eilen von einem Veranstaltungsort zum anderen wird merklich knöchelgelenkfreundlicher.

Was verbindet Dich heute noch mit dem Verband?

Das Band ist dasselbe geblieben. Ich freue mich über jeden Erfolg und bedauere jede negative Nachricht oder Entwicklung in unserer Gemeinschaft. Selbstverständlich bin ich auch weiterhin in gutem Kontakt zu den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen in der Münchner Geschäftsstelle des Verbandes, auch wenn es leider keine gemeinsamen Veranstaltungen mit ehemaligen und aktuellen Mitarbeitern der Geschäftsstelle mehr gibt. Diese boten u.a. die Möglichkeit von regem Austausch und garantierten Kontinuität bei den Anforderungen und der Arbeit dieser wichtigen Zentrale des Verbandes.

Jubiläen und Gedenktage reißen nicht ab: 2024 feierte unser Verband sein 75-jähriges Bestehen; auch die Siebenbürgische Zeitung wird heuer 75 Jahre alt. Was bedeutet für Dich persönlich, als langjähriger enger Wegbegleiter der Redaktion, dieses Jubiläum?

Ich gratuliere zu eurem Jubiläum und wünsche weiterhin viel Erfolg! Bei Jubiläen blickt man meist zurück, man freut sich über die Errungenschaften der Vergangenheit. Wichtiger scheint mir bei dieser Gelegenheit der Blick nach vorne. Es gilt Wege aufzuzeigen, die in eine positive Zukunft weisen, die diese überhaupt möglich machen. Die Siebenbürgische Zeitung (SbZ) muss im engsten Verbund mit dem Verband betrachtet werden, ist sie ja d a s Presseorgan dieser Gemeinschaft. Sie wird von dieser Gemeinschaft finanziert und auch entscheidend mitgestaltet durch die Einsendungen der zahlreichen Presseverantwortlichen in den Gliederungen des Verbandes. Ich denke gerne an die Redaktionsbesprechungen zurück, in denen mir vor allem die Aufgabe zustand, die Redaktion über die Arbeit des Vorstandes zu informieren bzw. auf Gespräche, Treffen und Veranstaltungen hinzuweisen, die unmittelbar bevorstanden und die ihren Wiederhall in den nächsten Folgen der SbZ finden sollten. Die SbZ will aber mehr sein als ein Spiegel der Verbandsaktivitäten. Sie unterstützt medial auch alle anderen Gemeinschaften und Vereine weltweit, die Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen zum Inhalt haben. Auch die politische und gesellschaftliche Entwicklung im Herkunftsland Rumänien wird thematisch begleitet.

Wie würdest Du die vergangenen Jahrzehnte der Zeitungsentwicklung bis heute in ihren wesentlichen Grundzügen bzw. Meilensteinen in wenigen Sätzen skizzieren?

Am Anfang fungierte die SbZ als Mitteilungsblatt für die Landsleute, die es nach dem Krieg nach Deutschland verschlagen hatte. Es hatte die wichtige Funktion, den Lesern Halt und Hilfe in ihrem neuen Zuhause zu bieten. Das Blatt kündigte künftige wichtige Termine von Veranstaltungen und Treffen an, unterrichtete aber auch über die Entwicklung der Gesetzeslage die Flüchtlinge betreffend. Bald schon kam dazu, dass man den in Rumänien lebenden Sachsen, die dem kommunistischen Terror ausgesetzt waren, in der SbZ eine Stimme in der freien Welt verliehen hat. Der Verband und damit die SbZ sahen sich als Sprachrohr im Kampf um Minderheitenrechte und ab 1975 zur Einhaltung der auch von Rumänien unterzeichneten Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki. Diese Situation hielt an bis 1989. Schon Anfang der 90er Jahre verpflichtete die SbZ einen Berichterstatter vor Ort, der die Stimmung in Siebenbürgen sozusagen aus erster Hand für unsere Leser einfing. Die deutsche Politik beobachtete die SbZ ebenfalls sehr genau, zwei große Themen sollten in dem Jahrzehnt immer wieder thematisiert bzw. kritisiert werden: das angeblich weiterhin offene Tor für unsere Landsleute in die Bundesrepublik und die von uns als ungerecht eingestuften Rentenkürzungen nach Änderungen im Fremdrentengesetz. In dieser Zeit griff die Zeitung immer wieder Themen auf, die so gut wie alle siebenbürgischen Familien betrafen, sie war das politische Sprachrohr des Verbandes. Auch wenn sich die Zeiten geändert haben und vielleicht weniger konkrete Positionierungen des Verbandes in der SbZ notwendig sind, fehlt mit persönlich das Kämpferische, die Meinung des Blattes zu den Aspekten, die sich gegenwärtig für unsere Landsleute ergeben.

Aus der Perspektive des ehemaligen Bundesgeschäftsführers betrachtet: Wie siehst Du den Verband aufgestellt auf dem Weg zu, warum nicht groß gedacht, zu seinem 100-jährigen Jubiläum? Trägt die Idee, der Zusammenhalt, die Substanz? Worauf wird es ankommen?

Ein Blick in die Kristallkugel sozusagen. Nein, den wage ich nicht, wir werden erst 2049 Bilanz ziehen können. Jedenfalls ist der Verband heute solide aufgestellt, es gibt unzählige lebendige Kulturgruppen und auch noch genügend stille Mitglieder, die allein durch ihre Mitgliedschaft die Arbeit der Aktiven unterstützen. Die Mitgliederzahl wird leider weiter schrumpfen und der Verband wird entsprechend kleinere Brötchen backen müssen. Das heißt, irgendwann wird er auch nicht mehr leisten können, was für die Mitglieder derzeit selbstverständlich ist. Wahrscheinlich wird aber auch in 25 Jahren ein „harter Kern“ die Existenz des Verbandes sichern, wir sehen ja alle, mit welcher Begeisterung die vielen jungen bereits hier in Deutschland geborenen Siebenbürger Sächsinnen und Sachsen in den Jugendgruppen mitmachen. Auch können wir die Situation der Schwesterverbände in Österreich, Kanada, den USA und auch Siebenbürgen vergleichend betrachten. In Österreich und in Übersee ist der Zuzug an Landsleuten aus Siebenbürgen Jahrzehnte vor dem nach Deutschland versiegt. Diese Gemeinschaften sind uns also in der Entwicklung voraus. Wir können uns nun fragen, was dort gelungen ist: Wollen wir das auch, wie können auch wir das erreichen? Auf der anderen Seite sind dort sicher auch Situationen entstanden, die wir hier nicht haben wollen. Wenn das so ist, sollten wir Wege finden, die Entwicklung in diese Richtung zu vermeiden. Von Siebenbürgen können wir lernen, wie eine Gemeinschaft nach fast totalem Ausbluten in den frühen 90ern ihre Existenzberechtigung beweist und heute politisch wie gesellschaftlich eine positive Rolle einnimmt. Der Verband kann also an sich arbeiten, wir sollten keinesfalls alles nur laufen lassen.

Frage an den politisch interessierten Zeitgenossen Erhard Graeff: Während multiple Krisen unseren Horizont zunehmend zu verfinstern drohen - siehst Du Anlass für Optimismus, und wenn ja, worin?

Auch die Entwicklung in Europa scheint sich in Wellen zu manifestieren. Wir haben die dunklen Jahre des Kalten Krieges zwischen dem Ostblock und dem Westen erlebt, dann für alle eigentlich unerwartet den Fall des Eisernen Vorhangs mit all den positiven Folgen, von den Balkankriegen mal abgesehen, als Höhepunkt die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Plötzlich meinten wir keinen Feind im Osten mehr zu haben, die Demokratie feierte in allen europäischen Staaten ihren Einzug. Auch wenn es gelegentlich holprig zuging, war die Richtung eindeutig erkennbar, die Werte der Sozialen Marktwirtschaft wurden allgemein anerkannt, die mit dem Kommunismus einhergehende Menschenverachtung und Misswirtschaft schienen erledigt und geächtet zu sein. Heute wissen wir, dass dieser Glaube zum Guten und die Zuversicht, in der wir lebten, einer gewissen Naivität geschuldet war. Denn Russland sieht sich heute als Verlierer der Geschichte und strebt alte Größe und Bedeutung in der Welt an, ohne Rücksicht auf die Freiheit und Selbstbestimmung ehemaliger Sowjetstaaten, und ist bereit, hierzu auch Kriege zu führen. Als Reaktion darauf entwickelt sich positiv der Zusammenhalt der restlichen europäischen Länder und die Solidarität mit der angegriffenen Ukraine. Das transatlantische Bündnis in der NATO, aber vor allem die Institution eines gemeinsamen Europa gewinnen an Kraft und Bedeutung. Ich bin zuversichtlich, dass die Großmannssucht eines ehemaligen KGB-Offiziers zurückgestutzt werden kann.

Und auf Deutschland geblickt…

In Deutschland gibt es ja einen neuen Bundestag und bald wird es eine neue Regierung geben mit neuem Kanzler und neuen Ministern aus den Reihen der beiden ehemals großen Volksparteien. Diese werden in der neuen Legislaturperiode so hervorragende Arbeit leisten, dass die 20,6 % der Wähler bei der diesjährigen Stimmabgabe einsehen müssen, dass ihre Favorisierung keine Alternative für Deutschland ist (lacht). Sowohl die Situation in Europa als auch jene in Deutschland befindet sich derzeit auf einem Tiefpunkt, wir können aber zuversichtlich sein, dass es bald wieder aufwärtsgeht.

Deine Botschaft an die „sächsische Welt“, an alle Landsleute hüben und drüben? Net lot icht, eh, und nor de Geseangd!

In diesem Sinne alles Gute und herzlichen Dank für das Gespräch.

Lesen Sie dazu auch: Ex-Bundesgeschäftsführer Erhard Graeff blickt auf seine 30-jährige Verbandskarriere zurück

Schlagwörter: Interview, Graeff, Bundesgeschäftsführer, Heimattag, Siebenbürgische Zeitung

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