6. September 2006

Erste Erfahrungen mit dem deutsch-rumänischen Sozialversicherungsabkommen

Die unterschiedliche Praxis der Rentenbehörden bei der Anwendung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Rumänien über Soziale Sicherheit sorgt weiter für große Verunsicherung.
Das am 1. Juni 2006 in Kraft getretene Abkommen bringt viele neuen Regelungen für Rentner mit sich, die Versicherungszeiten in den beiden Vertragsstaaten zurückgelegt haben (siehe SbZ-Artikel: Deutsch-Rumänisches Sozialversicherungsabkommen in Kraft). Rentenbehörden sind inzwischen dazu übergegangen, Betroffene anzuschreiben und mit einer Vielzahl von Vordrucken die Einleitung von Rentenverfahren in Rumänien zu fordern. Diesem liegt die Antragsgleichstellung zugrunde, die in Artikel 22 dieses Abkommens geregelt ist. Nach Rücksendung der Formulare würde der rumänische Rententräger die Leistung aus Rumänien feststellen und an den Betroffenen auszahlen. Nach fernmündlicher Mitteilung der rumänischen Dienststelle (CNPAS) erfolgt die Auszahlung (zumindest bisher) in neuen rumänischen Lei auf ein Konto in Rumänien. Das Abkommen würde aber in Zukunft auch einen Leistungsexport nach Deutschland vorsehen. Das Verfahren sei noch nicht geklärt, eine Lösung sei erst in einigen Monaten zu erwarten.

Wenn eine Leistung aus Rumänien festgestellt wird, ist diese wie beschrieben von der deutschen Rente abzuziehen (§ 31 FRG). Ob der Betroffene die Leistung tatsächlich nach Deutschland überträgt, ist unerheblich, weil die Verfügungsmöglichkeit für eine Anrechnung gemäß § 31 FRG ausreicht. Regelungen, in welchem zeitlichen Rahmen die Rentenbehörde eine Anrechnung vornimmt, sind aus dem Abkommen nicht unmittelbar zu entnehmen. Voraussichtlich wird in analoger Anwendung der Durchführungsverordnungen zur Verordnung (EWG) 574/72 einmal im Jahr eine Leistungsanrechnung durchgeführt, gleichzeitig mit der üblichen Rentenanpassung. Bei dieser Gelegenheit müssten Betroffene die Höhe der aus Rumänien bezogenen Leistungen belegen. Praktische Fälle sind jedoch noch nicht bekannt. Auch mehrere Monate nach Geltung des Abkommens ist noch kein einziger praktischer Fall bekannt, wo eine Leistung aus Rumänien aufgrund der Antragsgleichstellung erbracht worden wäre.

Wie in dieser Zeitung bereits informiert wurde, besteht aber auch das Recht, im Falle von Altersrenten gemäß Artikel 22, Absatz 3, des Abkommens die Feststellung der Leistungen aus Rumänien nicht durchzuführen und die Antragsgleichstellung nicht anzuwenden. Die Entscheidung, ob die Durchführung eines Verfahrens in Rumänien zweckmäßig ist und daher die übermittelten deutsch-rumänischen Vordrucke ausgefüllt an die deutsche Rentenbehörde zurückzusenden sind oder ob von dem Recht auf Beseitigung der Antragsgleichstellung gemäß Artikel 22, Absatz 3, des Abkommens Gebrauch gemacht werden soll, kann nur durch Prüfung des deutschen Rentenkontos anhand eines genauen Lebenslaufes für die Zeiten in Rumänien getroffen werden. In der Regel dürfte durch ein Antragsverfahren keine Rentenerhöhung zu erzielen sein, weil eine aus Rumänien gezahlte Rente gemäß § 31 FRG von der deutschen Rente abgezogen wird, soweit diese auf in beiden Rentenkonten anerkannten Zeiten beruht. In einigen Fällen ist eine Leistungserhöhung möglich. Hilfestellung bei der Entscheidung erteilen Rechtsanwälte mit besonderer Erfahrung im Fremdrentenrecht.

Festzustellen ist, dass Rentenbehörden mit unterschiedlichen Hinweisen und Informationen auf die Durchführung der Rentenverfahren in Rumänien drängen. Dies sogar dann, wenn Betroffene ausdrücklich von dem Recht aus Artikel 22, Absatz 3, des Abkommens durch eine schriftliche Erklärung Gebrauch gemacht haben.

Oft wird behauptet, es bestehe eine Verpflichtung, das Rentenverfahren in Rumänien durchzuführen. Dieses widerspricht jedoch der ausdrücklichen Regelung in Artikel 22 des Abkommens: Eine solche Verpflichtung besteht im Falle der Altersrenten nicht, wenn der Betroffene eine entsprechende schriftliche Erklärung abgegeben hat.

Nach Abgabe der Erklärung gemäß Artikel 22, Absatz 3, des Abkommens wurden Betroffene in einigen Fällen aufgefordert mitzuteilen, bis zu welchem Zeitpunkt die Feststellung der Leistungen aus Rumänien unterbleiben soll. Die Pflicht zu einer solchen Festlegung besteht jedoch nicht. Betroffene können die Feststellung der Leistungen aus Rumänien und damit die Antragsgleichstellung „bis auf weiteres“ – also ohne Festlegung – hinausschieben. Damit bleibt die Möglichkeit bestehen, die Feststellung der Leistungen etwa in fünf, zehn oder zwanzig Jahren (oder nie) zu veranlassen, wenn sich der Wert der Rentenleistung aus Rumänien verändert oder das Verfahren abgestimmt ist. Eine Leistungsfeststellung in Rumänien würde spätestens dann vorgenommen werden, wenn ein Hinterbliebenenrentenantrag nach Ableben des Betroffenen gestellt würde, weil (erst) hier die Möglichkeit der Beseitigung der Antragsgleichstellung nicht mehr gegeben ist.

In Mitteilungen der Rentenbehörden wird oft darauf hingewiesen, dass seit Geltung des Abkommens jeder Staat die Leistungen für die in diesem Staat zurückgelegten Zeiten zu erbringen habe. Dies ist zwar grundsätzlich zutreffend. Jedoch fehlt hier oft die Information, dass selbstverständlich das FRG weiter gilt und daher die nach diesem Gesetz bei der deutschen Rente anerkannten Zeiten weiterhin berücksichtigt werden. Grund zur Verunsicherung aus diesem Grunde besteht daher nicht.

An manche Betroffene wurde von der Deutschen Rentenversicherung Bund (vorher BfA Berlin) der Hinweis erteilt, aufgrund einer europäischen Verordnung (VO EWG 1408/71) sei bei ausbleibender Rücksendung der deutsch-rumänischen Antragsformulare für die rumänische Rente zu prüfen, ob dadurch nicht auch der Antrag auf die deutsche Rente als zurückgenommen gelte und damit eine deutsche Rente nicht zu zahlen sei. Dieser Hinweis ist unzutreffend und fehlerhaft, weil nicht die genannte Verordnung als europäisches Recht, sondern eben Artikel 22 des bilateralen Abkommens angewendet werden muss. In diesen Fällen verwendet die Behörde leider ungeprüft allgemeine Textbausteine, die inhaltlich für den konkreten Fall unzutreffend sind, und löst dadurch auch Verunsicherung aus.

Andere Betroffene wurden darauf hingewiesen, dass eine Verpflichtung zur Mitwirkung bei der Durchsetzung der Rentenansprüche aus Rumänien bestehe, um bei der Entlastung der deutschen Rentenkassen mitzuhelfen. Auch wenn solchen subjektiven Ansatzpunkten aus Sicht des Verfassers bei einigen begleitenden Anpassungen im Abkommen und der Anwendungspraxis aus solidarischen Erwägungen zugestimmt werden könnte, so sollten Rentenbehörden solche Argumente nicht dazu nutzen, rechtlich nicht bestehende Verpflichtungen durchzusetzen.

In anderen Fällen wurde unter Hinweis auf das Abkommen selbst von solchen Betroffenen die Ausfüllung der Formulare gefordert, die bereits vor dem 1. Juni 2006 in Rente gegangen sind. Auch dieses ist fehlerhaft, da das Abkommen nur bei einem Rentenbeginn ab dem 1. Juni 2006 gilt.

Betroffenen wird empfohlen, sich von unterschiedlichen Hinweisen der Rentenbehörden nicht verunsichern zu lassen und auf Beachtung der Dispositionsrechte gemäß Art. 22 des Abkommens zu bestehen. Wenn Rentenbehörden negative Entscheidungen treffen, kann innerhalb einer Frist von einem Monat ab Zugang der Entscheidung dagegen Widerspruch eingelegt werden. Wenn Rentenbehörden über gestellte Anträge auf deutsche Rente nicht entscheiden und dieses mit einem Abwarten auf die Rücksendung der deutsch-rumänischen Formulare begründen, kann nach drei Monaten Untätigkeitsklage bei dem zuständigen Sozialgericht eingelegt werden. Von weiteren Erfahrungen werden wir an gleicher Stelle berichten.

Rechtsanwalt Dr. Bernd B. Fabritius, stellvertretender Bundesvorsitzender

Schlagwörter: Politik, Rente, deutsch-rumänische Beziehungen

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