11. September 2011

Legendärer Sportreporter Bruno Moravetz wird am 11. September 90

Vor siebzig Jahren war ich in ihn verliebt. Ich glaube, viele junge Mädchen schwärmten für ihn. Bruno war groß und schlank. Damals hatte er schwarze Haare. Dunkle Augen hat er auch jetzt noch. Wir haben uns wohl beide seitdem verändert.
Ich sehe ihn jetzt noch beim Skifahren – immer sicher, elegant und ohne Mütze. Er war trotz seiner Jugend schon ein alter Hase, denn er hatte als Siebenjähriger seine ersten Ski bekommen. An einem unvergesslichen Weihnachtsabend lagen unter dem verheißungsvoll strahlenden Baum Ski und Stöcke. Aus der Freude darüber wurde eine für sein Leben entscheidende Grundlage seines Berufes, der ihn zu hohen Ehren und Preisen führte.

Der siebenjährige Bruno hielt es am festlich gedeckten Tisch mit Eltern und Bruder Zozo nicht lange aus, sprang auf und probierte im Weihnachtszimmer seine Ski. Schob die Schuhe vorne in die metallenen Backen, schnallte die über der Ferse zuklappbaren Riemen an, packte die Stöcke mit den zu der Zeit sehr großen Ringen, und seine Mutter war etwas bestürzt, als sie sah, dass ihr Sprössling so ausgerüstet über den glänzenden Fußboden rutschte. In seinen Memoiren ist das zu lesen.

Zu meinen persönlichen Erinnerungen: Bruno war, glaube ich, zwanzig. Ich war zwölf und hatte ein offenes, von keinem Kummer, von keiner Enttäuschung getrübtes junges Herz. Und da war ein junger Mann, der auch uns junges Gemüse im Auge hatte und unsere Fortschritte im Skifahren verfolgte. Was wollte man mehr?

Es war am Schuler, wo seine Eltern die gemütliche SKV-Hütte bewirtschafteten. Die blonde freundliche Mutter und der brünette Vater, der in jeder Notlage uns Kindern zu helfen wusste. Die Eltern hatten dem Sohn Bruno trotz finanzieller Probleme den teuren Besuch des Honterus-Gymnasiums ermöglicht. Dass es ihre beste Investition war, zeigte sich bald.

Aber vorher noch zu dem Winter am Schuler, wo Bruno seinen Fronturlaub verbrachte. Durch diese Erinnerungen erkenne ich heute deutlich, wer er als Menschen war.

Sportreporter Bruno Moravetz bei seinen elften ...
Sportreporter Bruno Moravetz bei seinen elften und letzten Olympischen Winterspielen 1992 in Les Saisis/Albertville (Frankreich).
Für uns, den Nachwuchs, nahm er sich Zeit, verzichtete zum Beispiel auf eine zügige Abfahrt und nahm mich mit in die Telefonschlucht, die damals steilste Abfahrt vom Schuler in die Schulerau. Das erste, steilste Stück hieß später „Zidul morții“ – Todeswand, kurz die „Zid“ (Sid gesprochen). Bruno war ein Mensch, dem meine Mutter mich ruhig anvertraute – und das will bei meiner ängstlichen Mutter etwas bedeuten! Die Verantwortung erfüllte Bruno mustergültig, verzichtete auf die kurzen Schwünge und fuhr in großen Bogen, auf denen ich gut folgen konnte, voran. Er blieb immer wieder stehen, um sich zu vergewissern, dass ich noch heil hinter ihm her fuhr.

Es war ein strahlender Neujahrstag, der Schnee im Gebirge glitzerte noch makellos weiß, und für mich war es ein Ereignis, das ich noch nacherlebe, als wäre es gestern. So geht es mir auch mit einem zweiten Erlebnis: Es war an einem Nachmittag in der letzten Woche des Jahres 1941 in der Schulerhütte. Wir Elf- bis Dreizehnjährigen saßen um Bruno herum im gemütlichen Speisesaal, und es ging lustig zu.

Unbelastet wie ich damals vom Krieg war, den ich nur aus Wochenschauen kannte, in denen singende Soldaten von Blitzkrieg zu Blitzkrieg marschierten, zwischendurch dampfende Suppe fröhlich aus dem großen Kessel schöpften und begeistert ihre Heimatpost empfingen. Aus dieser, meiner ganz privaten Kriegsstimmung heraus stellte ich an Bruno eine Frage, und erwartete eine spannende Antwort über große Abenteuer: „Erzähl aus dem Krieg!“ Die Stimmung schlug plötzlich um und „kaum war mir das Wort entfahren, tät ich’s im Busen gern bewahren“. Brunos eben noch heiteres, gelöstes Gesicht veränderte sich, wurde traurig und abweisend. Er schwieg. Ich wäre am liebsten in den Boden versunken. Trotz aller Verführung in der damaligen Zeit war Bruno ein Mensch geblieben. In seinem ersten Urlaub als Soldat, er war schon verwundet worden, prahlte er nicht mit seinen Erlebnissen. Er war kein Fanatiker geworden, dem Mitleid und Angst aberzogen waren. Er hat den Krieg mit einigen Verwundungen und einem dreimaligen Gelbsuchtrückfall überstanden. Seinen Bruder Zozo hat er verloren.

Doch bevor ich Bruno beim Skifahren begegnet bin, hatte ich von ihm schon gehört. Ich war noch in der Volksschule, und dass ich mich daran erinnere, ist nur dem großen Eindruck zu verdanken, den es auf mich machte: In dem kleinen Kronstadt war es Gesprächsstoff. Ein Gymnasiast, bis dahin unbekannt, Bruno Moravetz, hatte einen bemerkenswerten Artikel in der Kronstädter Zeitung veröffentlicht, was damals bei Schülern nicht üblich war. Dazu war der Artikel sehr gut geschrieben. Aufbau, Aussage und Stil verrieten ein literarisches Talent. In dem Artikel ging es um Leichtathletik. Bruno selbst war ein Spitzenathlet im Hochsprung; damals Scherensprung genannt. Die Lust am Schreiben kam zu der Lust am Skifahren. Diese beiden Neigungen, ja Leidenschaften, waren bestimmend für seine steile, beruflich glänzende Laufbahn. Hinzu kamen andere beachtliche Fähigkeiten: ein klarer, logischer Verstand, eine scharfe Beobachtungsgabe, die das Wesentliche erkannte, ein sagenhaftes Gedächtnis, von dem noch die Rede sein wird, sein Sprachgefühl, das ihn auch in freier Rede nicht verließ, und – last but not least – seine unerschöpfliche Arbeitskraft. Dazu kommt sein guter Stern, der ihn in schweren Jahren nicht verließ. Es waren Zufälle, in denen er die richtigen Menschen zur richtigen Zeit traf. All dieses zeigte sich, als er endlich seinen Beruf als Sportberichterstatter ausüben konnte, indem er einen neuen Wind in die Livekommentare und in den Sportjournalismus brachte. Er recherchierte sehr genau Leben und Werdegang der Sportler, die zu den großen Wettkämpfen antreten sollten. Er verstand es, in den Berichten über die Wettkämpfe Einzelheiten aus dem Leben der Teilnehmer einzubringen, und belebte mit kleinen Anekdoten die Meldungen sachlicher Art.

Ja, er erwähnte auch – homo aestheticus, der er war, – außer Wetter- und Schneeverhältnissen, die Schönheiten der Landschaft, die Natur, einen Sonnenuntergang, so temperamentvoll, dass er sein Publikum mitriss.

Dann kam das Fernsehen auf. Bruno wurde im Jahr 1963 beim ZDF fest angestellt und lernte Filme machen. Er war für Jahrzehnte die Stimme des Wintersports und kommentierte zahlreiche Weltcuprennen und Olympische Spiele. Sein Chef war der von ihm hochgeschätzte Wim Thoelke. Die Anerkennung war gegenseitig. Bruno kam häufig ins Ausland, in fast alle Kontinente. Am liebsten aber nach Norwegen, zweiundzwanzig Mal. Und in Norwegen war es, dass ihm eine für ganz Deutschland bedeutende Ehrung zuteil wurde. Bei seinem Freund, dem zweifachen Olympiasieger Birger Ruud, lernte er den damaligen Kronprinz, heute König Harald, kennen. Unter den zahlreichen Anwesenden hat Kronprinz Harald beim Abschied Bruno als einzigem neben Birger Ruud die Hand geschüttelt und ihm anderentags das erste Interview eines Mitglieds des Königshauses für Deutschland gegeben.

Er führte ein selten reiches Leben, von dem ich im kommunistischen Rumänien Jahre lang nichts erfuhr. Dann kam ich Ende der siebziger Jahre mit Mann und drei Söhnen nach Deutschland. Als ich kurz nach meiner Ankunft meinen Kindern nichtsahnend erzählte, dass ich die Telefonschlucht das erste Mal mit einem älteren Freund abgefahren sei, mit Bruno Moravetz, waren meine Söhne wie elektrisiert: „Du kennst Bruno Moravetz??“ Ich stieg merklich in ihrer Achtung und erfuhr eine Menge über Bruno. Natürlich seinen landesweit bekannt gewordenen Ausruf: „Wo ist Behle?“. Eine Frage, die er eindringlich wiederholte, da Behle, trotz guter Platzierung, von den Filmkameras nicht erfasst wurde.

In Behle, einem bis dahin wenig bekannten Skilangläufer, sah er eine erfolgreiche Entwicklung voraus, die dann wirklich eintrat. Auch heute noch, nach so vielen Jahren pflegt Behle den Kontakt mit seinem „Entdecker“.

Im Jahr 1986 begegnete ich ihm wieder, allerdings nur telefonisch. Und das kam so: Er hatte zwei wunderbare Bücher herausgebracht: „Das große Buch vom Ski“ und „Das große Buch der Berge“ – einmalig in Ausstattung, Inhalt, Sprache und Fotografie. Der damalige Redakteur, Harald Roth, bat mich, die Bücher für die Neue Kronstädter Zeitung zu besprechen. Ich freute mich sehr und schickte Bruno die Rezension zur Begutachtung und eventuellen Richtigstellungen zu. Er schlug eine einzige Änderung vor: Ich solle doch das Wort „souverain“ lieber mit ä, also „souverän“ schreiben. Seither habe ich es nie mehr falsch geschrieben.

Zurück in das Jahr 1945, in die letzten Wochen des Krieges: Bruno Moravetz erhielt seinen letzten militärischen Befehl: Er sollte eine neue Einheit erwarten, und als ihr Zugführer in Richtung Prag marschieren, um die vielen deutschen Gefangenen in den Lazaretten vor den Tschechen zu schützen. Dann kam die Einheit. Es waren Berliner Kinder zwischen 14 und16 Jahren, Kinder, die in zwei Wochen mit leeren Panzerfäusten ausgebildet werden sollten. Aus den zwei Wochen wurden zwei Tage. Überall in Böhmen gab es Aufbegehren gegen die deutsche Besatzung. Bruno sollte nun die Einheit, etwa 120 Kinder, in Richtung Sudetenland führen. Daraus wurde eine Befehlsverweigerung. Bruno führte die Berliner Kinder nicht in Richtung Osten, sondern in Richtung Westen, hinter die Front, um sie vor dem sicheren Tod zu retten. Er wusste, dass er damit sein Leben riskierte.

Das nächste Ziel war nun der Flugplatz Saaz. Mit der MP im Anschlag führte Moravetz die Kinder durch die Sperren, bei denen sie anhalten sollten. An einer Verpflegungsstelle verlangte er von dem misstrauisch verwunderten Zahlmeister für seine Kinder hundertzwanzig Schachteln Schokolade. Der Jubel der hungrigen, völlig übermüdeten Kinder war groß.

Am 8. Mai erfuhren sie von der Kapitulation des Hitlerreichs. Bruno Moravetz kam ins Offizierslager der US Army. Nach zwei Monaten wurde er in die „Freiheit“ entlassen. Was war diese Freiheit nach sechs schrecklichen Kriegsjahren? Sie führte ihn zuerst in das völlig zerbombte München. Die 120 Kindsoldaten haben sich hoffentlich alle nach Hause, nach Berlin, durchgeschlagen.

Durch einen Freund gelangte Bruno nach Tannheim in Tirol. Nach Rumänien konnte er nicht, und in Deutschland wusste er nicht, wohin. In Tannheim zog er sich beim Grasschneiden für seine Gastleute eine Sehnenentzündung in beiden Händen zu und musste ins Krankenhaus, wohin ihn wieder einmal sein guter Stern führte. Dort begegnete ihm gleich zu Beginn die Krankenschwester Charlotte, seine „liebe Lotte“, wie er sie in seinen Memoiren nennt. Sie wurde später seine Frau, die ihm drei Töchter schenkte und ihm nach 55 Ehejahren durch den Tod entrissen wurde. Mit Lotte machte er sich auf, um in Bayern eine neue Heimat zu finden. Die beiden stießen immer wieder auf gastfreundliche Menschen, die ihnen auf dem Weg ins Unbekannte beistanden. In einem kleinen Standesamt in München ließen Lotte und Bruno sich trauen. Im ersten Jahr ihrer Wanderung wurde auch die erste ihrer drei Töchter geboren. Sie heißt Christiane nach Goethes Frau Christiane Vulpius. Bruno war ein musischer Mensch, das ist wohl nicht so bekannt wie seine Erfolge in der Sportberichterstattung. Er verehrt Goethe und kann noch heute mit seinen neunzig Jahren Faust I sozusagen auswendig, wie auch unzählige Gedichte. Trotz seiner verminderten Sehkraft liest er auch heute, was die zeitgenössische Literatur bietet, und, was noch erstaunlicher ist – er schreibt auch heute fast täglich Erinnerungen aus seinem reichen Leben auf, mit allen Details, Namen und Ortschaften, die ihm sein phänomenales Gedächtnis diktiert. Die Memoiren – bis jetzt umfassen sie über 200 Seiten – werden, so hoffe ich, als Buch erscheinen. Sie sind eine spannende und bereichernde Lektüre – und alles ohne Tagebuch-Notizen!

Nun zu den glücklichen Zufällen: Er lernte wichtige Persönlichkeiten kennen, die seine Fähigkeiten erkannten und ihm den Weg zu seinem Beruf ebneten. Sein Ziel war es immer gewesen, Journalist zu werden.

Auf einen der entscheidenden Zufälle, bei dem sein guter Stern mit seiner Persönlichkeit und seinen Fähigkeiten, zusammenwirkte, will ich näher eingehen. Als zufällige Begleitperson gelangte er in das Büro des bekannten Fabrikanten und Flugzeugbauers Professor Wilhelm Messerschmitt. Von ihm beiläufig auf seine Pläne angesprochen, sagte Bruno, er wolle Redakteur werden. Messerschmitt legte ihm einige Fotografien vor. Sie zeigten Bauplatten, die aus dem Schutt seiner zerbombten Fabrikgebäude gefertigt waren. Bruno sollte als Test im Laufe einer Woche einen Artikel darüber verfassen. Messerschmitt plante aus diesen Platten Wohnhäuser zu bauen. Bruno brachte den Artikel bereits am nächsten Tag dem Redakteur Blum, der den Artikel sofort annahm und beim Abschied die für Brunos Leben entscheidende Frage stellte: „Verstehst du etwas vom Sport, besonders hier im Allgäu vom Skilaufen?“ Aus grauem Kriegsschutt wurden feste Bauplatten und daraus dynamische Sportreportagen. Bruno wurde als freier Mitarbeiter engagiert!

Damit stand seine Berufsrichtung fest, in der er es zu höchsten Ehrungen und Preisen brachte. Besonders müssen die Preise für seine Reportagen bei den Olympischen Winterspielen in Lake Placid 1980 erwähnt werden: Bambi, der Goldene Gong und die Silberne Kugel, verliehen vom Nationalen Olympischen Komitee für Deutschland.

Er war und ist mit vielen interessanten Menschen gut bekannt, gar befreundet. Reinhold Messner hat er sogar für einen ZDF-Film zum Himalaja-Achttausender begleitet. In fast fünftausend Meter ist er höhenkrank geworden. Dr. Franz Berhold, Arzt, führte ihn unter Sauerstoffmaske in tiefere Lagen. Mit Luis Trenker hat er mehrere Treffen zu Filmaufnahmen in Bozen und München gehabt.

Die Siebenbürger Sachsen, vor allem die Kronstädter, können auf ihren berühmten Sohn stolz sein. Ich hatte schon als Zwölfjährige in ihm einen besonderen Menschen gesehen. Heute würde ich sagen, ich habe seine Ausstrahlung gespürt. Ich bin auch sehr stolz.

Schreib weiter, Bruno, aus dem großen Schatz deiner Erinnerungen, die dir im hohen Alter deine Jugend erhalten.

Bettina Schuller

Schlagwörter: Geburtstag, Sport, Journalismus, Porträt

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  • 11.09.2011, 11:40 Uhr von seberg: „Die Siebenbürger Sachsen, vor allem die Kronstädter, können auf ihren berühmten Sohn stolz sein. ... [weiter]

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