3. Januar 2010

Wir Brückenbauer: Gedanken zu Geschichte und Selbstverständnis der Siebenbürger Sachsen

In den letzten Jahren wurde kaum ein Festakt oder eine Podiumsdiskussion der Siebenbürger Sachsen ausgelassen, wo diese nicht als Brü­cken­bauer belobigt wurden. Keine Frage, diese Me­tapher ist vorteilhaft gewählt und durch ständiges Wiederholen gerinnt sie beinahe schon zur Zau­berformel. Gemeinhin soll das entstehende Bauwerk, um im Bilde zu bleiben, der Annähe­rung und Verständigung zwischen den westlichen Aufnahmeländern und Rumänien dienen, wogegen man im Grunde nichts einwenden kann.
Es drängt sich einem gleichwohl der Eindruck auf, dass zwar durch dieses Sinnbild die aktuelle und zukünftige Mission der Siebenbürger Sach­sen in ein günstiges Licht gerückt wird, andererseits jedoch die eigentlichen Anliegen unseres Volkes in dessen Schatten geraten könnten. Ist es nun, da wir in Europa gemeinsam unter dem „Sternenbanner zu Hause“ sind, wie ein Jungin­tel­lektueller fast euphorisch schrieb, um unsere Zukunft wirklich bestens bestellt? Man sollte sich den Blick für die Realität nicht trüben lassen.

Die Frage wird man stellen dürfen, ob unsere Organisationen im Westen letztendlich zum Auf­polieren des angeschlagenen Ansehens Ru­mä­niens und zu seiner europäischen Integra­tion ausgenutzt werden?

Gleichzeitig ist man in diesem Land noch nicht ganz von Geschichtsverdrehungen der nationalkommunistischen Zeit abgekommen und setzt bewusst auf markante Zeichen: So etwa das Vlad-Țepeș-Denkmal neben der Schäßbur­ger Klosterkirche, oder auch jüngst eine lebensgroße Statue von Gheorghe Lazăr an der Nord­seite des Großen Ringes (!) in Hermannstadt. Als ob mit der einen, eh schon im Astra-Park stehenden Büste des Gerühmten Verdienste nicht hinreichend gewürdigt würden.

Dabei wäre es hoch an der Zeit, auch einem Hans Otto Roth das ihm gebührende Andenken zuteil werden zu lassen. Er war es, der beiden Totalitarismen des letzten Jahrhunderts die Stirn bot und letztlich 1953 in einem stalinistischen Gefängnis zugrunde ging. Dieser Schäß­burger Rechtsanwalt, den der Historiker Vasile Ciobanu als hervorragendsten Politiker der Ru­mäniendeutschen im 20. Jahrhundert bezeichne­te, setzte sich auf der Landeskir­chenversamm­lung vom Frühjahr 1945 vehement für das Ver­bleiben seiner Landsleute in der angestammten Heimat ein: „Ich rufe alle auf, sich in die Heimat einzukrallen.“ Der staatsloyale Roth konnte zu diesem Zeitpunkt freilich (noch) nicht wissen, welchen Drangsalierungen und Ernie­dri­gungen sein Sachsenvolk später ausgesetzt sein sollte, abgesehen von dem völligen Entzug seiner wirtschaftlichen Grundlagen.

Wäre es zu weit hergeholt, sich des Märtyrers Stephan Ludwig Roth Vermächtnis, es mit dem eigenen Volke gut gemeint, ohne es jedoch mit den anderen Völkern Siebenbürgens schlecht gemeint zu haben, auch für den 100 Jahre späteren Märtyrer Hans O. Roth vorzustellen?

Kürzlich jährte sich zum 150. Mal der Todes­tag von Daniel Roth. Zwar Arzt und Theologe, machte er sich vor allem als Schriftsteller einen Namen – am bekanntesten sein Roman „Johann Zaba­ni­us, Sachs von Harteneck“. In einer 1848 anonym erschienenen Flugschrift trat er heftig gegen den Anschluss Siebenbürgens an Ungarn auf und setzte sich für dessen Vereinigung mit der Mol­dau und der Walachei ein, in der Über­zeugung, diese werde früher oder später doch kommen. Für das Sachsentum sah er in einem „romänischen“ Reich höhere kulturelle Ent­wicklungs­chan­cen, soferne es „die Romänen nicht brüskiere!“

Ja, die Leiden und Leistungen dieser Schritt um Schritt zurückgewichenen, „allzeit geduldigen Deutschen“, wie der Historiker W. Wat­ten­bach vor ca. 150 Jahren an Georg D. Teutsch schrieb, wie auch dessen Schwager J. Haltrich von „so schmachvoll und wie Fußfetzen behandelten“ Sachsen sprach, sollten nicht der Ver­gessenheit anheimfallen!

Auch wenn wir gewisse Dinge nicht wie einen Bauchladen ständig vor uns hertragen sollten – etwa das hierzulande oftmals befremdlich wirkende und beargwöhnte „Deutschtum“ – müssten wir alles daransetzen, dass unsere 850-jährige Geschichte nicht verfälscht oder eindeutige Fakten einfach untergepflügt werden. Es ist schon bemerkenswert, wie sich mancher sächsische Exponent zur Geschichte des eigenen Vol­kes öffentlich äußert. So etwa auf die provokant-dreiste Frage eines österreichischen Journalisten, ob es eigentlich schade wäre, wenn die Sie­benbürger Sachsen von der Bühne der Ge­schich­te verschwänden. Darauf gab es von dem schrift­­stellernden Theologen, der später von der Republik Österreich einen Orden erhielt, nicht mehr als ein laues Gestammel. Von einem lebens­klugen Historiker stammt die Sentenz, dass wir Respekt vor den Ahnen haben sollten, so wie sie waren, und nicht so, wie wir sie ha­ben wollen.

Das schließt keineswegs die Auseinander­set­zung mit der Vergangenheit aus, auf der Grund­lage der historischen Wahrheit. In letzter Zeit wird immer wieder versucht, unsere Geschichte zu tribunalisieren, um dadurch kollektive Schuld­­gefühle hervorzurufen. Schuld ist allerdings nicht kollektivierbar.

Es dürfte kaum bekannt sein, dass die Umsie­dlung (oder Vertreibung?) der Siebenbürger Sach­sen noch v o r dem „Wehrmacht-SS“-Ab­kommen zwischen der Reichsregierung und der rumänischen Regierung vom 12. Mai 1943 ins Auge gefasst wurde. Dies geht aus einer Ge­sprächsnotiz von der Unterredung des tschechoslowakischen Exil-Präsidenten E. Benes mit US-Präsident F.D. Roosevelt von Anfang April 1943 hervor. Dass es nicht dazu kam, steht auf einem anderen Blatt; jedenfalls erscheint die gegenüber dem rumänischen Staat als schwerwiegender Loyalitätsbruch betrachtete Waffen-SS-Aktion dadurch in einem etwas anderen Licht.

Für uns Sachsen erscheint mir eine andere historische Hypothek wirkungsmächtiger zu sein: Es ist die jahrhundertelange Kränkung der Rumänen, indem man sie nicht als gleichrangig betrachtet und oftmals auch so behandelt hat. Diese vor allem im ländlichen Bereich erfolgte Herabsetzung hat verständlicherweise tiefe Spu­­ren in der Volksseele der Siebenbürger Ru­mänen hinterlassen. A. Meschendörfer sprach in seinem Roman „Die Stadt im Osten“ u.a. auch dieses Problem an, wenn er an einer Stelle schluss­folgerte: „Was ist man auf diesen Rumä­nen herumgetrampelt!“

Man sollte beim Versuch, eine Gegenrech­nung aufzustellen, nicht den Fehler begehen, die kommunistischen Enteigner und Peiniger pau­schal mit d e n Rumänen gleichzusetzen.

Siebenbürgen im 21. Jahrhundert (fast) ohne Siebenbürger Sachsen – diese Konstellation konnte sich ein sächsischer Chronist anno 1654 nicht vorstellen, wobei dieses für die beiden anderen Nationen genauso galt: „Denn Siebenbür­gen ist einem dreifußigen Schusterstuhl zu vergleichen … also auch: gehet eine Nation unter diesen dreien zugrund, so fallen die anderen beide mit“. Gewiss eine überzeichnende Aus­sage, dennoch im Kern jener Ansicht eines bekannten sächsischen Literaten widersprechend, die Sachsen seien in Siebenbürgen ohnehin nur „Gäste“ gewesen und die Aussiedlung käme so­mit einer Rücksiedlung gleich.

Dabei verstand man im Mittelalter unter „hospites“ gemeiniglich gerufene Siedler, die später eben­so einen historischen Anspruch darauf hatten, in dem Land zu leben, wie die anderen Bewohner.

Mitte der sechziger Jahre belehrte man uns, wir Sachsen, als bodenständige Gruppe, sollten uns zum Wir-Subjekt des „rumänischen Staats­ge­fühls“ durchringen und alldort unser kollektives Lebensrecht suchen. Historisch-staatsrechtlich betrachtet vollkommen richtig, nur, das darauf Pochen hätte bekanntlich unversehens einen Gherla-Aufenthalt zur Folge haben können! Auch, hieß es weiter, solle man das rumänische Volk dafür gewinnen, die Sachsen als „in­tegrierenden Bestandteil ihres geschichtlichen Erbes“ anzunehmen. Dann wäre auch für die Sachsen in Siebenbürgen die „Zukunft offen“.

Post festum: Der Stacheldrahtzaun wurde, Gott sei’s geklagt, leider um 20 Jahre zu spät aufgeschnitten. Oder kennt die Geschichte doch kein letztes Wort?

Aufhorchen ließ in Dinkelsbühl die Aussage ei­nes bayerischen Politikers, wonach unsere wah­re Heimat Siebenbürgen war, ist und bleiben würde. Das kann man natürlich auch anders sehen, allerdings: Für ein Volk kann es meines Erachtens nur eine Heimat geben, für den Einzelnen ist Heimat eher eine Privatsache. Michael Alberts altväterlicher Mahnung „Trittst du aus dem heil’gen Ringe …“ kommt heutzutage jedenfalls eine eher geringe kommunikative Reichweite zu.

Ein wesentliches, wenn nicht gar entscheidendes Element kulturellen Gemeinschafts­be­sitzes ist zweifelsohne das sprachliche Erbe, des­sen Verlust einem Stück Selbstaufgabe gleich­kommt. Wie es in einer UNESCO-Dekla­ration an einer Stelle heißt, ist der Verlust einer Sprache ein Verlust für die ganze Menschheit. „Sprecht eure Sprache, sprecht sie drinnen, draußen, auf dem Marktplatz … Der Tag wird nicht kommen, der euch aufgeben sieht.“ So beschwörend redete ein europäischer Dichter vor ca. 30 Jahren auf seine in der kalabrischen Dia­spora lebenden Landsleute ein.

In den letzten Jahren ist das sprachliche Selbstbewusstsein der Siebenbürger Sachsen in Deutschland zwar offenkundig etwas gestiegen – ob freilich unter den völlig veränderten soziokulturellen Bedingungen der Zerstreuung die sprach­liche Identität auf Dauer gewahrt werden kann, ist ungewiss.

Im Übrigen: Ob das Siebenbürgisch-Säch­si­sche eine eigenständige Sprache oder „nur“ eine Mundart ist, wird letzten Endes nicht an einem Germanistik-Lehrstuhl entschieden, sondern ist eine dem affektiven Seinsverständnis der Sprechergruppe entspringende, und damit deren ureigene Angelegenheit.

Bei allen achtbaren Bemühungen um den Er­halt unserer Kultur zumindest in Restpositionen sollte man stets gewahr sein, dass wir hier „im Westen“ als virtuelle Gemeinschaft nun mal kein zweites Siebenbürgen erschaffen können, so trivial es sich anhören mag.

Natürlich gibt es kein Zurück vor 1939, aber wenn unsere Geschichte noch fortgeschrieben werden soll, wäre es aus europäischer Zu­kunfts­perspektive unabdingbar, mehr und mehr Verbindungslinien auf den Fluchtpunkt Sieben­bürgen zu bündeln. Man könnte auch, in Ab­wandlung eines Aperçus zur vormals „deutschen Frage“ postulieren, die „siebenbürgische Frage“ bleibt so lange offen, solange die rumänische Grenze nicht geschlossen ist.

Die in letzter Zeit in den Heimatorten stattfindenden Treffen werden zahlreicher. Sie bieten Gelegenheit, nicht nur dem unwiederbringlich Entschwundenen – es ist meistens auch die eigene Kindheit und Jugendzeit! – nachzutrauern, sondern in der Begegnung mit ehemaligen rumänischen Nachbarn Freundschaften wiederzubeleben oder vielleicht Versöhnung zu feiern.

Behörden und Institutionen sind das eine – die verschlampte Frage der Restitution und Ent­schädigung sowie die Rentenproblematik müssen zweifellos gelöst werden – leibhaftige Men­schen das andere. Nur wer es miterlebt hat, wie sich der Ortspope im Namen seiner Glaubens­gemeinde entschuldigt hat für das den Sachsen angetane Unrecht und deren Auszug aufrichtig bedauerte, kann ermessen, welche Ansätze sich zu einem Neubeginn der Beziehungen noch anbieten können.

Wir als Brückenbauer? Ja, warum nicht – aber bitte ohne dass dabei unsere Sache den Bach hinuntergeht.

Walter Schuller



Hofrat i. R. Dipl.-Ing. Walter Schuller, geboren 1944 in Rode, studierte Forstwirtschaft in Kron­stadt und Wien, beruflich im Höheren Forst­­technischen Dienst bzw. Naturschutzfach­dienst beim Amt der Oberösterreichischen Lan­des­regierung tätig, seit 2004 im Ruhestand, 1988 bis 1998 Bundeskulturreferent der Lands­mann­schaft der Siebenbürger Sachsen in Öster­reich, Veröffentlichungen über die Her­kunft der Sie­benbürger Sachsen, lebt in Traun in Ober­öster­reich.

Schlagwörter: Verband, Siebenbürger Sachsen, Geschichte

Bewerten:

29 Bewertungen: ++

Neueste Kommentare

  • 03.01.2010, 20:07 Uhr von seberg: Kann man den Titel „Wir Brückenbauer. …“ nicht auch als unfreiwillige Komik verstehen? ... [weiter]
  • 03.01.2010, 18:40 Uhr von Lavinia: Und wie passend zum Thema 'Brückenbauer'...! [Beitrag am 03.01.2010, 18:48 von Lavinia ... [weiter]
  • 03.01.2010, 18:35 Uhr von bankban: Wie schön, wenn sich ausgebildete Forstwirte um die Onomastik verdient machen... [weiter]

Artikel wurde 7 mal kommentiert.

Alle Kommentare anzeigen.

Zum Kommentieren loggen Sie sich bitte in dem LogIn-Feld oben ein oder registrieren Sie sich. Die Kommentarfunktion ist nur für registrierte Premiumbenutzer (Verbandsmitglieder) freigeschaltet.