4. Januar 2010
Reiseeindrücke eines Nostalgikers
Hermannstadt, im Juli 2009. Wir wurden von der evangelischen Kirche in einem stattlichen Haus in der Fleischergasse 28 untergebracht. Das große Zimmer muss früher zu einer feudalen Wohnung gehört haben. Ein Treppenaufgang ist großzügig aus der Gebäudemasse ausgespart. Um diesen leeren Raum zu beleben, hatten einen vier nette allegorische „Jahreszeitenfräulein“ begleitet, auf Sockeln und in Nischen. Leider wurde die Frühlingsfigur vor etwa zehn Jahren geklaut, wie uns gesagt wurde.
Nach einigen Tagen zogen wir ins Gästehaus der Pfarrei, Huetplatz 1, mit Blick auf Lügenbrücke und Schatzkästlein. Der Kleine Ring ist das touristische Epizentrum geworden, mit Hunderten von Tischen und Sonnenschirmen. Die von Arch. Hermann Fabini stammende intensive Vielfarbigkeit Altstadt-Bemalung aus den 1970er Jahren ist heute meist stumpf und abgeblättert. Noch sieht man sie an Gebäuden, die im Kulturhauptstadtjahr 2007 nicht erste Wahl waren. Diese haben noch die graurot-vieltonigen Ziegel auf ihren bewegten Dächern. Das ist nun meist einer Renovierung nach westlichem Geschmack gewichen. Neue, einheitlich rote Ziegeldächer und milchig-helle Anstriche machen die Häuser zu „Objekten“ – des Tourismus, der Verwaltung oder der Spekulation. Wer hat sie sich wohl unter den Nagel gerissen?
Das evangelische Pfarrhaus ist nun schneeweiß gestrichen. Dagegen ist die Stadtpfarrkirche khakifarben und wirkt dadurch trist und so, als ob es eine neugotische Nach-Mache wäre. Echter Sandstein an Pfeilern und Rippen wurde in grünlich-bräunlichen „Tarnfarben“-Abtönungen angemalt. Diese Tünche blättert nun bereits ab und darunter ist der helle Sandstein zu sehen. Nachkriegsstimmung kommt auf, auch wegen der massiven Einrüstung innen.
Am Brukenthalmuseum sind die fünf Gelb-Grün-Töne aus der Fabinizeit zwei Hellgrau- und Gelbtönen gewichen. Das Generalhaus blendet in Gelb über den Großen Ring. Ein diagonales Karo-Tischtuch wurde über den gesamten gepflasterten Platz gelegt. Entlang dieser Pflaster-Doppelbahnen läuft der Blick über den weiten Platz – wenige deutsche Städte haben einen Marktplatz dieser Größe – bis er an die geschlossenen Mauern der Jesuiten-Kirche stößt, Habsburgs Staumauern gegen die Sicht auf das alte Herz der Stadt mit seiner evangelischen Stadtpfarrkirche. Kein Baum da (ich erinnere mich noch an Tannen und Linden), keine Gliederung des Platzes, bloß diese einfalls- und maßstabslosen Rennbahnen von der 45°-Reißbrett-Schiene eines Architekten. Zum Spaß und Spiel der Kinder auf dem Platz eine leicht versenkte, dann und wann pulsierende Fontäne. Irgendwo verloren eine unnahbare Brunnenfassung (ohne Brunnen) und ein Gheorghe Lazăr, den seine zu kleinen Schuhe drücken. Dass das sächsische Hermannstadt vor 200 oder auch 100 Jahren eher eine Kulturstadt war als das heutige Sibiu, ist unschwer zu erkennen. Der National-Kitsch legt sich über alles. Die ganze Altstadt ist gespickt mit Gedenktafeln an rumänische Persönlichkeiten, der Astra-Park ist voll entsprechender Büsten. Kaum ein Publizist oder Arzt wurde ausgelassen.
Das jährliche Theaterfestival bot heuer, laut Presse, eher billiges Spektakel. Das bescheidene Theaterhaus, in dem es stattfindet, wurde ursprünglich als Kino in den 1920ern gebaut. Dagegen ist das alte Theater, das unser Vorfahre Martin von Hochmeister 1788 gebaut hatte, ein Palast gewesen! Nun steht es wieder. Die alten Formen wurden nachgemacht, doch der zum Saal hin offene Dachstuhl und die Lüftungsschächte auf der Bühne sind primitiv mit Holz verkleidet. Diese „Hanul-Haiducilor-Bauweise“ mit Holz-Versatzstücken geht außen bei den Anbauten weiter. Ein düsterer Treppenturm, der in steilen und engen Stufen hinab zum Graben führt, dient vorwiegend als Vespasienne. Man vergleiche das großzügige Treppenhaus aus der Fleischergasse mit diesem öffentlichen Stinkloch! Das „rustikale“ Bau-Artizanat (der rumänische Begriff passt hier eindeutig besser) soll wohl, im Sinne der Postmoderne, ein Gegenpart zur Stilarchitektur des alten Theaters sein. Doch das funktioniert nicht, Lichtjahre liegen zwischen den beiden Bauweisen. Diese „creație originală“ will zugleich auch als rumänisch („specificul național“) verstanden werden, also als Absage an die westliche Moderne. Aber gereicht es uns zum Trost, dass man im ganzen Land solchen Bau-Kitsch antrifft?
Als erster Bau wurde in den 1970er Jahren das Schatzkästchen saniert – „rustikal“, mit grobem Rauputz und viel Schmiedeeisen (jetzt wieder korrigiert, aber bleichgrün gestrichen). In diesem „rustikalen“ Dracula-Stil sind auch Läden und Gaststätten gehalten, beispielsweise die gute alte „Eule“. Innen sind viele Gaststätten dunkel und muffig. Davor stehen Dutzende von Tischen, meist rege besetzt – weniger von Touristen, als von einheimischer Jugend und Neureichen. Es muss Geld da sein. Sehr viel bei manchen. Am Wochenende ist der für den Verkehr gesperrte Kleine Ring voller Restaurantgäste und Autos. Dann stehen da nebeneinander: Ferrari, Maybach, Lotus ... Mit Geld kommt man durch jede Absperrung.
Aber es geht auch anders. Jeden Abend spielt unter unseren Fenstern ein Streichquartett. Von der anderen Seite klingt bis spät in die Nacht sanftes Klavierspiel. Im Morgengrauen hört man das Klappern des Storchenpaares vom Schornstein des noch nicht renovierten, dunkelgrünen Nachbarhauses. Ob die Störche bei einer Renovierung auf den für sie vorbereiteten Schornstein auf dem Pfarrhaus umziehen werden? Unten, jenseits der Elisabethgasse nisten weitere Störche.
Die Heltauergasse ist eine Art Bazar, mit hunderten von Pizza-Tischen verstellt. Man kommt kaum durch. Kein Corso-Flanieren mehr – man sitzt und bestellt. Überall der Typus des „neuen Menschen“ (omul de tip nou), doch er sieht anders aus als das Wunschbild der Kommunisten: glatzköpfig, in T-Shirt und Shorts, das Fleisch gut durchwachsen, alterslos jungalt. In den Läden meist Ramsch. Noch sind nicht die Edelmarken und die Geldinstitute tonangebend. Es gibt nur eine einzige Buchhandlung (Humanitas) und ein Lebensmittelgeschäft, den Floaș, jetzt Billa – gedrängt voll mit Selbstbedienungs-Warenstapeln, Aufpassern und hektischen Kunden.
Der Römische Kaiser ist schneeweiß gestrichen und trägt nur an der Seite zur Brukenthalgasse die Aufschrift „Römischer Kaiser“ – in gotischer Schablonen-Schrift! So nobel – und dann die Schrift wie auf Armeekisten gepaust! Gotische Frakturschrift ist zweifellos sehr beliebt als historisierender Kitsch. Da sind dann auch die angekokelten Menükarten mancher Lokale nicht fern. Die „Șura Dacilor“ lässt grüßen.
Am anderen Ende der Heltauergasse – die Bretterpromenade. Das Boulevard-Hotel heißt jetzt Continental und ist ebenfalls weiß. Von da aus öffnete sich auf unserem Schulweg das grandiose Panorama auf das Fogarascher Gebirge. – Vorbei! – Die Sicht verdecken ein Klotz mit monströsem dunkelrotem Dach, ein Hotel-Hochhaus und weitere Wohnblocks. Rechterhand rast ein Wolkenkratzer in die Höhe. Dahinter, in Richtung Süden, weitere drei oder vier. Einer direkt hinter/über dem ehemals paradiesischen Hannenheim-Haus in der Schwimmschulgasse (da wohnten auch unsere Großeltern) – ein Albtraum. Die Mühlgasse kann man nicht mehr überqueren. Der ganze Ost-West-Verkehr der Europastraße E7 staut sich da durch – nur die Laster werden außen umgeleitet. Urbanismus, olé!
Georg Coulin (geb. 1944), zuletzt Zeichenlehrer und Kunsterzieher in Königsbrunn, lebt in Augsburg. Er ist ein Urenkel des Malers Arthur Coulin.
Das evangelische Pfarrhaus ist nun schneeweiß gestrichen. Dagegen ist die Stadtpfarrkirche khakifarben und wirkt dadurch trist und so, als ob es eine neugotische Nach-Mache wäre. Echter Sandstein an Pfeilern und Rippen wurde in grünlich-bräunlichen „Tarnfarben“-Abtönungen angemalt. Diese Tünche blättert nun bereits ab und darunter ist der helle Sandstein zu sehen. Nachkriegsstimmung kommt auf, auch wegen der massiven Einrüstung innen.
Am Brukenthalmuseum sind die fünf Gelb-Grün-Töne aus der Fabinizeit zwei Hellgrau- und Gelbtönen gewichen. Das Generalhaus blendet in Gelb über den Großen Ring. Ein diagonales Karo-Tischtuch wurde über den gesamten gepflasterten Platz gelegt. Entlang dieser Pflaster-Doppelbahnen läuft der Blick über den weiten Platz – wenige deutsche Städte haben einen Marktplatz dieser Größe – bis er an die geschlossenen Mauern der Jesuiten-Kirche stößt, Habsburgs Staumauern gegen die Sicht auf das alte Herz der Stadt mit seiner evangelischen Stadtpfarrkirche. Kein Baum da (ich erinnere mich noch an Tannen und Linden), keine Gliederung des Platzes, bloß diese einfalls- und maßstabslosen Rennbahnen von der 45°-Reißbrett-Schiene eines Architekten. Zum Spaß und Spiel der Kinder auf dem Platz eine leicht versenkte, dann und wann pulsierende Fontäne. Irgendwo verloren eine unnahbare Brunnenfassung (ohne Brunnen) und ein Gheorghe Lazăr, den seine zu kleinen Schuhe drücken. Dass das sächsische Hermannstadt vor 200 oder auch 100 Jahren eher eine Kulturstadt war als das heutige Sibiu, ist unschwer zu erkennen. Der National-Kitsch legt sich über alles. Die ganze Altstadt ist gespickt mit Gedenktafeln an rumänische Persönlichkeiten, der Astra-Park ist voll entsprechender Büsten. Kaum ein Publizist oder Arzt wurde ausgelassen.
Das jährliche Theaterfestival bot heuer, laut Presse, eher billiges Spektakel. Das bescheidene Theaterhaus, in dem es stattfindet, wurde ursprünglich als Kino in den 1920ern gebaut. Dagegen ist das alte Theater, das unser Vorfahre Martin von Hochmeister 1788 gebaut hatte, ein Palast gewesen! Nun steht es wieder. Die alten Formen wurden nachgemacht, doch der zum Saal hin offene Dachstuhl und die Lüftungsschächte auf der Bühne sind primitiv mit Holz verkleidet. Diese „Hanul-Haiducilor-Bauweise“ mit Holz-Versatzstücken geht außen bei den Anbauten weiter. Ein düsterer Treppenturm, der in steilen und engen Stufen hinab zum Graben führt, dient vorwiegend als Vespasienne. Man vergleiche das großzügige Treppenhaus aus der Fleischergasse mit diesem öffentlichen Stinkloch! Das „rustikale“ Bau-Artizanat (der rumänische Begriff passt hier eindeutig besser) soll wohl, im Sinne der Postmoderne, ein Gegenpart zur Stilarchitektur des alten Theaters sein. Doch das funktioniert nicht, Lichtjahre liegen zwischen den beiden Bauweisen. Diese „creație originală“ will zugleich auch als rumänisch („specificul național“) verstanden werden, also als Absage an die westliche Moderne. Aber gereicht es uns zum Trost, dass man im ganzen Land solchen Bau-Kitsch antrifft?
Als erster Bau wurde in den 1970er Jahren das Schatzkästchen saniert – „rustikal“, mit grobem Rauputz und viel Schmiedeeisen (jetzt wieder korrigiert, aber bleichgrün gestrichen). In diesem „rustikalen“ Dracula-Stil sind auch Läden und Gaststätten gehalten, beispielsweise die gute alte „Eule“. Innen sind viele Gaststätten dunkel und muffig. Davor stehen Dutzende von Tischen, meist rege besetzt – weniger von Touristen, als von einheimischer Jugend und Neureichen. Es muss Geld da sein. Sehr viel bei manchen. Am Wochenende ist der für den Verkehr gesperrte Kleine Ring voller Restaurantgäste und Autos. Dann stehen da nebeneinander: Ferrari, Maybach, Lotus ... Mit Geld kommt man durch jede Absperrung.
Aber es geht auch anders. Jeden Abend spielt unter unseren Fenstern ein Streichquartett. Von der anderen Seite klingt bis spät in die Nacht sanftes Klavierspiel. Im Morgengrauen hört man das Klappern des Storchenpaares vom Schornstein des noch nicht renovierten, dunkelgrünen Nachbarhauses. Ob die Störche bei einer Renovierung auf den für sie vorbereiteten Schornstein auf dem Pfarrhaus umziehen werden? Unten, jenseits der Elisabethgasse nisten weitere Störche.
Die Heltauergasse ist eine Art Bazar, mit hunderten von Pizza-Tischen verstellt. Man kommt kaum durch. Kein Corso-Flanieren mehr – man sitzt und bestellt. Überall der Typus des „neuen Menschen“ (omul de tip nou), doch er sieht anders aus als das Wunschbild der Kommunisten: glatzköpfig, in T-Shirt und Shorts, das Fleisch gut durchwachsen, alterslos jungalt. In den Läden meist Ramsch. Noch sind nicht die Edelmarken und die Geldinstitute tonangebend. Es gibt nur eine einzige Buchhandlung (Humanitas) und ein Lebensmittelgeschäft, den Floaș, jetzt Billa – gedrängt voll mit Selbstbedienungs-Warenstapeln, Aufpassern und hektischen Kunden.
Der Römische Kaiser ist schneeweiß gestrichen und trägt nur an der Seite zur Brukenthalgasse die Aufschrift „Römischer Kaiser“ – in gotischer Schablonen-Schrift! So nobel – und dann die Schrift wie auf Armeekisten gepaust! Gotische Frakturschrift ist zweifellos sehr beliebt als historisierender Kitsch. Da sind dann auch die angekokelten Menükarten mancher Lokale nicht fern. Die „Șura Dacilor“ lässt grüßen.
Am anderen Ende der Heltauergasse – die Bretterpromenade. Das Boulevard-Hotel heißt jetzt Continental und ist ebenfalls weiß. Von da aus öffnete sich auf unserem Schulweg das grandiose Panorama auf das Fogarascher Gebirge. – Vorbei! – Die Sicht verdecken ein Klotz mit monströsem dunkelrotem Dach, ein Hotel-Hochhaus und weitere Wohnblocks. Rechterhand rast ein Wolkenkratzer in die Höhe. Dahinter, in Richtung Süden, weitere drei oder vier. Einer direkt hinter/über dem ehemals paradiesischen Hannenheim-Haus in der Schwimmschulgasse (da wohnten auch unsere Großeltern) – ein Albtraum. Die Mühlgasse kann man nicht mehr überqueren. Der ganze Ost-West-Verkehr der Europastraße E7 staut sich da durch – nur die Laster werden außen umgeleitet. Urbanismus, olé!
Georg Coulin
Georg Coulin (geb. 1944), zuletzt Zeichenlehrer und Kunsterzieher in Königsbrunn, lebt in Augsburg. Er ist ein Urenkel des Malers Arthur Coulin.
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Schlagwörter: Hermannstadt, Reise, Siebenbürgen
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- 05.01.2010, 19:01 Uhr von Joachim: Schaut mal nur als Beispiel, wie man es machen könnte. "Freilichtmuseum Bad ... [weiter]
- 05.01.2010, 18:50 Uhr von schully: zitat gogesch: "Nicht unerwähnt sollte man das Freilichtmuseum im Jungen Wald lassen. Ich hab ... [weiter]
- 05.01.2010, 10:35 Uhr von seberg: Nostalgiker sollten zum Schutz des eigenen Wohlbefindens die „alte Heimat“ vielleicht lieber gleich ... [weiter]
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