18. Mai 2015

Eine intellektuelle Gewissheit aufbauen: Interview mit Michael Lassel

Die Tiny Griffon Gallery in Nürnberg (Hirschelgasse 1) zeigt noch bis zum 18. Juni 2015 die Ausstellung „Michael Lassel – Analoge Welten“. Die Vernissage findet am 20. Mai um 18.30 Uhr statt. Im Vorfeld der Werkschau trafen sich der Trompe-l-’oeil-Maler Michael Lassel (1948 im nordsiebenbürgischen Ludwigsdorf geboren, lebt und arbeitet in Fürth) und Josef Balazs, Mitglied des Nürnberger Kulturbeirates Zugewanderter Deutscher, in der Galerie und führten (bei einem Glas Rotwein) das nachfolgende Gespräch.
Herr Lassel, ist das Ihre erste Ausstellung in Nürnberg?
Nein, es gab mehrere Ausstellungen in verschiedenen Galerien; die wichtigste fand wohl 2007 im Stadtmuseum Fembohaus statt, mit dem Titel Scheinwelten – Augentäuschung in der Malerei der Gegenwart.

Ich habe Sie per E-Mail kontaktiert. Sie haben mir in wenigen Stunden geantwortet, also leben Sie, teilweise zumindest, in einer digitalen Welt. Was bedeutet das Analoge in Ihrem Leben?
Ich lebe tatsächlich in der analogen Welt. Das Digitale ist mir fremd, obwohl in den letzten zehn bis zwanzig Jahren die Welt immer digitaler geworden ist. Ich arbeite mit dem Möglichen und aus dem Möglichen mache ich das Möglichste. Das ist die Kunst.

Wer ist für das Konzept dieser Einzelausstellung verantwortlich? Wie viele Bilder werden Sie zeigen?
Das Konzept stammt von Dr. Cristina Simion, der Inhaberin der Galerie. Es sind in etwa 24 Bilder, die ausgestellt werden.

Sind es nur aktuelle Bilder oder werden auch ältere dabei sein?
Es sind sowohl Bilder dabei, die vor 25 Jahren gemalt worden sind, als auch solche, die ich vor kurzem fertig gestellt habe. Da ich doch sehr viele Bilder verkauft habe, hängen in meinem Atelier zurzeit in etwa 40 Bilder. Und es gibt noch einige, die als Leihgabe in Rathäusern, verschiedenen Institutionen, Banken oder Museen hängen.

Schirmherrin ist Prof. Dr. Julia Lehner, Kulturreferentin der Stadt Nürnberg. Auf welches der Bilder aus Ihrer Ausstellung würden Sie sie aufmerksam machen?
Auf mich selbst (lacht).
Michael Lassel im Gespräch mit Josef Balazs. ...
Michael Lassel im Gespräch mit Josef Balazs.
Prof. Carl Michael Hofbauer Santos de Almeida hält nicht das erste Mal die Einführung. Ist er ein absoluter Kenner Ihres Werkes?
Er ist ein absoluter Kenner der Kunst in Deutschland und auch der europäischen Kunst.

Zur Ausstellung in Nürnberg ist auch ein Katalog erschienen. Als Kooperationspartner konnte der „Nürnberger Kulturbeirat Zugewanderter Deutscher“ gewonnen werden. Sehen Sie das als eine Brücke zu Ihrer Heimat?
Ja, als eine seelische Beziehung. Denn woher ich stamme, vergesse ich ein Leben lang nicht. Heimat ist der Ort, wo man die ersten Luftzüge dieser Atmosphäre einatmet; das vergisst man nie. Egal wie kalt man im Herzen ist, wie versteinert, diesen Ort, diesen Platz, vergisst man nie.

Wie viel Heimat brauchen Sie?
Ich brauche nicht viel Heimat. Ich bin mit dem Verzicht seit meinem Lebensanfang vertraut. Meine Mutter starb, als ich sechs Monate alt war. Durch die Vereinsamung hat sich ein anderer Teil in mir bereichert, nämlich die Phantasie und mein Innenleben. Das führte direkt zu meiner Kunst.

Sie gelten als einer der weltweit anerkanntesten Trompe-l’oeil-Maler der Gegenwart, ihre Bilder wurden u.a. in Tokio, Singapur, London, New York, Shanghai, Bukarest ausgestellt. Der Begriff „Trompe-l’oeil“ bedeutet „Augentäuschung“. Herr Lassel, inwieweit sind Sie ein Täuscher?
Ich täusche nicht nur das Auge, ich täusche auch die Sinne. Ich will die Welt etwas akzentuierter darstellen. Die Wahrnehmung ist bei einem Künstler ganz anders. Die Gesetzmäßigkeit des Lichtes und des Schattens beschäftigt mich.

Hat sich Ihre Sehensweise geändert, seit Sie sich mit Trompe-l’oeil beschäftigen?
Ja, mit Sicherheit. Das Fixieren des Motivs spielt eine große Rolle. Das menschliche Auge fokussiert andauernd; ich muss dieses Fokussieren so betonen, dass der Betrachter nur das sieht, was ich möchte. So täuscht der Maler den Betrachter, indem er seine Sehensweise beeinflusst.

Wenn man von Ihren Bildern spricht, ist von der „Rekonzeption der Realität“ die Rede. Sind Sie ein großer Baumeister einer neuen Welt?
Nein, Baumeister nicht. Das gemalte Bild stellt eine fixierte Zeit dar. Der Betrachter wird in diese meine Zeit zurückgeführt. Die Rekonstruktion ist die Zurückführung in die Zeit, in der ich das Bild gemalt habe.

Kehren wir gedanklich in die 1980er Jahre zurück. Was hat Sie an den Bildern von Pierre Gilou oder gar an den Bildern seines Vaters Henri Cadiou fasziniert?
Mein eigentlicher geistiger Vater ist der 2002 verstorbene Jacques Poirier. Henri Cadiou ist zwar der Gründer des „Trompe-l’oeil/ Réalité“, und sein Sohn Pierre Gilou ist zurzeit der führende Kopf der Trompe-l’oeil-Bewegung, doch die Faszination ging für mich von Jacques Poirier aus. Er ist der Papst der Trompe-l’oeil-Malerei aller Zeiten schlechthin.

Wer hat gerade das Bild „Das dogmatische Ei“ für den Flyer der Ausstellung ausgewählt?
Aus der Vielfalt meiner Bilder hat die Galeristin Frau Dr. Simion es ausgewählt.

Unter einem Dogma versteht man eine feststehende Definition oder eine grundlegende, normative Meinung, deren Wahrheitsanspruch als unumstößlich festgestellt wird. Herr Lassel, wie beziehen Sie diesen Satz auf das in Ihrem Bild dargestellte Ei?
Das ist das Ei, das ganz oben steht – das dogmatische; in meinem Bild zumindest. Das ist das Ei, das das Recht hat, sich als erstes zu befruchten, aus dem das Leben entsteht. So habe ich mir das damals vorgestellt, als ich das Bild malte. Der Titel meines Bildes „Das dogmatische Ei“ basiert auf einem Gedicht des rumänischen Dichters Ion Barbu. Da heißt es: „das Ei, das birgt in sich das Leben, ist da, dass wir’s besehn im Licht!“
Titelbild der Einladung „Analoge Welten“ ...
Titelbild der Einladung „Analoge Welten“
Bücher spielen in Ihren Bildern eine große Rolle. Ich denke an das Bild „Pantheon“. Warum gerade Bücher?
Ich baue gerne mit Büchern, sie haben die Form von Ziegeln, damit kann man eine intellektuelle Gewissheit aufbauen; das heißt für mich Kultur.

Musikinstrumente spielen ebenfalls eine große Rolle in mehreren Ihrer Bilder, wie etwa „Dom“. Was bedeutet Ihnen Musik?
Das Visuelle ist bei mir das Primäre. Als Kind schon musste ich mich entscheiden. Ich war auch musikalisch sehr begabt, habe Geige gespielt. Ich habe dann meine Umgebung gefragt, was für mich besser wäre. Man sagte mir: Malerei; sie ist nämlich ruhiger, man stört dabei nicht andere Menschen. In der Musik hat man eine direkte Anerkennung, in der Malerei muss man erst warten.

Was tun Sie als Ausgleich zur Malerei? Wie erholen Sie sich von der Arbeit?
Früher hatte ich meine Hunde. Die Jahre sind vergangen. Jetzt habe ich ein Enkelkind, das ist die Erholung für mich, das junge Leben.

Sind Sie ein glücklicher Mensch?
Ich bin sehr glücklich!

Ich danke Ihnen für das schöne Gespräch, Herr Lassel, und wünsche Ihnen alles Gute für Ihre Ausstellung!

Schlagwörter: Interview, Maler, Fürth, Ausstellung

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