30. April 2021

Aus dem zweigeteilten Leben eines herausragenden Künstlers: Walter Andreas Kirchner zum 80.

Als der aus dem Banat stammende Künstler Walter Andreas Kirchner 1981 mit seiner Familie nach Deutschland ausreisen konnte – seine Eltern hatten schon in den 1960er Jahren einen Ausreiseantrag gestellt –, stand er in seiner Lebensmitte. Seinen Weg als Künstler hatte er bereits gefunden und sich in der kunstinteressierten Öffentlichkeit des Banats und Siebenbürgens und darüber hinaus fachliche Anerkennung und einen guten Ruf erworben. Kunst ist sein Leben, vermerkten wiederholt wörtlich oder sinngemäß Kirchners Künstlerfreunde und kunstkritische Wegbegleiter. So ist es noch heute.
Walter Andreas Kirchner: Spiegelungen. Öl auf ...
Walter Andreas Kirchner: Spiegelungen. Öl auf Leinwand, 140x140 cm, 2017
Dabei hatte er sich in seiner frühen Jugend eher mit Lyrik beschäftigt, Hölderlin und Rilke, Baudelaire und Rimbaud gelesen. Er hatte sogar im Sinn, Philologie zu studieren. Seine Begeisterung bei literarischen Entdeckungen blitzt auch heute noch auf im Gespräch. Der namhafte rumänische Künstler und Kunstpädagoge Leon Vreme hat Kirchners Begabung erkannt und ihm zum Kunststudium geraten. Er sowie der bekannte Temeswarer Künstler Julius Podlipny, der Kirchner Zeichenunterricht gab, und der renommierte Kunsthistoriker Deliu Petroiu waren richtungweisend für den jungen Künstler. Vor Beginn des Kunststudiums in Temeswar besuchte er eine Fachschule für Metallverarbeitung und erwarb sich als Eisendreher Fertigkeiten und Erfahrungen, die ihm besonders in der Druckgrafik und Bilhauerei späterhin hilfreich waren.

Walter Andreas Kirchner wurde am 25. April 1941 in der am Marosch-Ufer, im Dreiländereck Rumänien, Serbien und Ungarn gelegenen Großgemeinde Perjamosch geboren. Die dem Heranwachsenden so vertraute Banater Heide- und Flusslandschaft hinterließ bleibende Eindrücke, die in seine Kunst einfließen sollten. „Meine Landschaftsbilder, selbst die, die Abstraktionen zu sein scheinen, sind im Grunde genommen Erfahrungswerte von realen Landschaften meiner Heimat“, sagte Kirchner in den 1980er Jahren. Für immer haften geblieben sind Bilder der Flucht mit den Eltern vor der Roten Armee 1944 nach Österreich und die abenteuerliche Heimkehr. Die wiederholten Erzählungen in der Familie hielten die Erinnerung wach. Sie ging ein in Walter Andreas Kirchners monumentale Skulpturen zum Gedenken an die Opfer von Flucht, Vertreibung, Deportation und Aussiedlung sowie in bildnerische Darstellungen, die sich gegen Gewalt und Erniedrigung richten.

Walter Andreas Kirchner: Autoporträt, ...
Walter Andreas Kirchner: Autoporträt, Tuschzeichnung, 22 x 30cm, 1980
Als ergiebig für Kirchners Weiterentwicklung in allen Kunstgattungen erwiesen sich seine Jahre in Siebenbürgen, wo er nach 1967 in Heltau als Kunstpädagoge tätig war. Sein Atelier richtete er sich im ehemaligen Pionierhaus an der Straße Richtung Michelsberg ein. Von dort konnte sein Blick über die Obstgärten bis hin zur malerisch gelegenen Burg schweifen. Noch Jahrzehnte danach malte er aus der Erinnerung und gestützt auf Skizzen das Gemälde „Kirschblüte“. Fördernde Kontakte knüpfte er zu anerkannten Künstlern, u.a. zu Hans Hermann, dem Altmeister der sieben- bürgischen Druckgrafik jener Jahre, und zur Hermannstädter Kultur- und Kunstszene.

Im Herbst 1968 beteiligte er sich an einer großen Ausstellung im Bruken­thalmuseum. Darüber berichtete Wolf von Aichelburg und hob Kirchners Skulptur „Das Paar“ als „reife Plastik“ hervor: „Der Gesamteindruck beim Betreten der Ausstellungshalle ist der eines sucherisch erregten, romantisch-expressiven Temperaments, einer Persönlichkeit, die – etwas hart gesagt – auf Biegen und Brechen zum Ausdruck kommen will. Das Gegenständliche ist meist nur Ausgangspunkt, Vorwand, um eine geistige Dynamik, einen plastisch unaussprechlichen Wert vor der Erstarrung im sinnlichen Außen zu bannen.“
Walter Andreas Kirchner: Freilichtwerkstätte in ...
Walter Andreas Kirchner: Freilichtwerkstätte in Montignoso, Toskana
Zurück in Temeswar widmete sich Kirchner verstärkt dem Aquarell, war aber parallel in mehreren Gestaltungstechniken produktiv, schuf großformatige Ölgemälde und Skulpturen. Seine Holzschnitte und Gravuren zur literarischen Folklore der Banater Schwaben fanden großen Beifall. Die Ausstellung 1979 in der Temeswarer Helios-Galerie – eine der letzten von nahezu vierzig Ausstellungen des Künstlers in Rumänien – zeigte eindrucksvoll die thematische und gestaltungstechnische Vielfalt in Walter Andreas Kirchners künstlerischem Schaffen.

Als er 1981 mit Frau und Kind nach Deutschland kam, musste er den Ertrag seiner bis dahin fünfzehn Jahre fruchtbarer Arbeit vorerst zurücklassen. Kirchner brachte jedoch das mit, was ihm niemand nehmen konnte: eine humane Gesinnung, ein gefestigtes Lebens- und Kunstverständnis, solide und vielfältige künstlerische und handwerkliche Erfahrung – eine tragfähige Grundlage für den Neubeginn in einer anderen Gesellschaft und Landschaft.

Kirchners ließen sich in Pforzheim nieder, wo er bei der Stadt als Kunst- und Sozialpädagoge Beschäftigung fand, während seine Frau Hedi als Lehrerin an einer örtlichen Schule arbeitete. Mit der ihn auszeichnenden Leidenschaft und Energie stürzte sich Walter Andreas Kirchner parallel dazu in die künstlerische Arbeit. Innerhalb von zwei Jahren nach der Aussiedlung zeigte er seine Werke in elf Ausstellungen! Bis 2005 folgten rund fünfzig Einzelausstellungen und Beteiligungen an Gruppenausstellungen in Deutschland, Frankreich und Italien sowie seine Auszeichnung mit internationalen künstlerischen Preisen und mit dem Donauschwäbischen Kulturpreis. Doch Wurzeln schlagen in fremder Erde vollzieht sich nicht reibungslos, wie man weiß. Kirchner schätzte und schätzt in der neuen Heimat vor allem „die künstlerische Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit“. Mit Tendenzen, die dem Kunstmarkt nacheifern, wollte er sich nicht abfinden: „Ich sah mich vor die Frage gestellt: Ist Kunst eine Erwerbsmöglichkeit oder eine Äußerungsform? Ich habe mich aus dem Marktmechanismus ausgeklinkt und unabhängig gemacht, indem ich mein Brot auf andere Weise sicherte.“(Interview von Franz Heinz, 2001)

Walter Andreas Kirchner: Tor zur Freiheit, ...
Walter Andreas Kirchner: Tor zur Freiheit, Bardiglio-Marmor, 260x180x250 cm, 2001
Die Faszination biblischer Texte, religiöse und mythische Motive regten ihn zu Werken in unterschiedlichen Techniken und Materialien an, ebenso sein emotionaler Bezug zu historischen Ereignissen, die seine Banater Herkunftsgemeinschaft erschüttert haben. Dazu kommt Walter Andreas Kirchners Landschaftsmalerei, eine tragende Konstante seines so weit gefächerten Gesamtwerks. Entscheidend für den Maler ist das Empfinden der Landschaft. Es kommt ihm auf die emotionale Berührung des Betrachters an.

Die Liebe als Urquell und Zauber des Lebens und der menschliche Körper in seiner Schönheit und starken Ausdruckskraft prägen als weitere zentrale, wenn nicht dominante Themen das künstlerische Schaffen unseres Jubilars. Zum „Hohelied Salomos“, einer Sammlung von schwärmerischen Liebesliedern, gestaltete er einen dreizehnteiligen Graphik-Zyklus, den er im Jahr der Bibel (1992) fertigstellte. Dieser Zyklus wurde in der Presse vielfach als besondere künstlerische Leistung kommentiert. „Die Religion bietet mir Gleichnisse. Sie ist ein Gefühl, doch nur das Gefühl ist wahr“, sagt Kirchner. Religiöse und mythische Motive wie Kreuzigung und Auferstehung, Prometheus, Phönix oder Hiob kommen dem Anspruch des Künstlers auf dauerhafte und gleichzeitig aktualitätsbezogene Wirkung der Kunst entgegen.

Zeitgeschichtliche Themen – Flucht, Deportation, Vertreibung und Heimatverlust – hat der Künstler in komplexen Plastiken oder Skulpturen-Gruppen aus der Sicht der Opfer gestaltet. Seine Monumentalplastik „Das Tor zur Freiheit“ (2001) steht in Landshut, die Plastik-Gruppe Schicksalswege“ (Marmor, 2016) zur Erinnerung an die Kriegs- und Vertreibungsopfer der Donauschwaben ist auf dem Kommunalfriedhof in Salzburg aufgestellt.

Dem Bildhauer Walter Andreas Kirchner verlieh der Erwerb eines Hauses in Montignoso/Toskana (1999), unweit der legendären Marmorbrüche von Carrara, neue Schaffensperspektiven. Er ist am Sehnsuchtsort aller Bildhauer angekommen, der edelste Marmor liegt nun in Blöcken in seinem Freiluft-Atelier auf eigenem Grundstück. Sommer für Sommer schuf er dort Marmor-Plastiken, die im Grunde sein früh geäußertes Credo an die Aktualität der „Formenreinheit im klassischen Sinn“ überzeugend bestätigen: Gestalten in leuchtendem Weiß, von makelloser Schönheit und spannender Emotionalität, unbändiger Dynamik oder völliger Gelassenheit – Kirchners Plastiken strahlen Wahrhaftigkeit aus und verzaubern den Betrachter.

Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag, lieber Walter Andreas Kirchner!

Walter Engel

Schlagwörter: Kultur, Künstler, Banat, Maler, Bildhauer

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