13. März 2022

Zum Tod von Hans Bergel, einer Ausnahmeerscheinung der zeitgenössischen siebenbürgisch-sächsischen Kultur

In der Nacht vom 25. zum 26. Februar 2022 verstarb in einem Krankenhaus in Starnberg der bekannte Schriftsteller und Journalist Hans Bergel. Nach 96 Jahren und sieben Monaten ist ein erfülltes und faszinierendes Leben zu Ende gegangen, das neben der Liebe und Fürsorge für die Seinen geprägt war von einem unbändigen schriftstellerischen Schaffensdrang und einer immensen geistigen Produktivität. Ehefrau Elke Raschdorf-Bergel, Familienmitglieder, Freunde und Bekannte sowie eine hohe Zahl von Verehrern und Bewunderern seines Werkes werden bei der Trauerfeier, die zu seinen Ehren am 19. März im Sudentendeutschen Haus veranstaltet wird, schweren Herzens, aber in großer Dankbarkeit Abschied nehmen von einer beeindruckenden Persönlichkeit und einem besonderen Menschen, der zu den Ausnahmeerscheinungen der zeitgenössischen siebenbürgisch-sächsischen Geschichte gehört.
Hans Bergel auf dem Heimattag 1999 in ...
Hans Bergel auf dem Heimattag 1999 in Dinkelsbühl. Mit ihm starb eine der bedeutendsten siebenbürgisch-sächsischen Persönlichkeiten unserer Tage. Als echter uomo universale war er nicht nur eine der wichtigsten Stimmen der rumäniendeutschen Literatur, sondern auch Journalist, preisgekrönter Leistungssportler und Cellist sowie ein versierter Kenner von Musik, Kunst, Geschichte und Politik. Foto: Konrad Klein
Mit dem Erreichen eines im wahren Sinne des Wortes methusalemischen Alters hat Hans Bergel – wie des Öfteren in seinem Leben – einen weiteren Rekord gebrochen und alle siebenbürgisch-deutschen Schriftsteller seit eh und je sowohl durch den Umfang und die Vielseitigkeit seines Werkes als auch durch seine überaus lange Lebensdauer übertroffen.

Sein Körper und Geist schienen kein Alter zu kennen, und so konnte er seinen gewohnten Alltagsrhythmus recht lange beibehalten. Bis kurz vor seinem Tod hat Bergel intellektuell und seelisch an der Welt teilgenommen. Auch im Krankenhaus, das er in letzter Zeit immer wieder aufsuchen musste, hat er an seinen Büchern gearbeitet und weiterhin seine umfangreiche Korrespondenz gepflegt. Schreiben, dem er alles unterordnete, war für ihn das eigentliche Leben, alles andere schien ihm müßig, und so waren auch die Jahre seit seinem achtzigsten Geburtstag, in denen er mehrere Bücher und Aufsätze veröffentlicht hat, eine Periode beeindruckender Schaffenskraft. So viel Spätwerk ist – nicht nur unter siebenbürgischen Künstlern – selten.

Wenig deutete anfangs darauf hin, dass der am 26. Juli 1925 in Rosenau bei Kronstadt als Sohn eines Lehrers ge­borene Hans Bergel einer der herausragenden zeitgenössischen südosteuropäischen Schriftsteller werden sollte. Der gleich in mehreren Unterrichtsfächern brillierende Schüler, dessen überdurchschnittliche Sprachbegabung nicht nur seinen Klassen­kameraden, für die er zuweilen die Schulaufsätze verfasste, sondern auch einem so kritischen und gestrengen Deutschlehrer wie dem in Siebenbürgen hochgeschätzten Literatur- und Kunsthistoriker Harald Krasser (1905-1981) aufgefallen war, musste seine literarischen Ambitionen zunächst zurückstellen. Zum einen hinderten um die Mitte und Ende der 1940er Jahre die politischen Verhältnisse, dieser Neigung zu leben. Bergel, der sich bei einer rumänischen Hirtenfamilie in den Fogarascher Bergen versteckt hatte, entging nur knapp der Deportation in die Sowjetunion und kam, weil er über Ungarn in den Westen fliehen wollte, zum ersten Mal ins Gefängnis. Zum anderen ergriff die Leidenschaft für den Sport so sehr Besitz von ihm, dass er der Literatur vorerst bloß eine sekundäre Rolle in seinem Leben einräumte. Bergel hatte sich, noch bevor er als Schriftsteller an die Öffentlichkeit trat, als Leistungssportler einen Namen gemacht und sowohl als Läufer als auch als Skifahrer zahlreiche Siege errungen und viele Auszeichnungen erhalten. Er war 1948/49 rumänischer Landesmeister und Rekordmann im 800-Meter-Staffellauf und danach Mitglied der rumänischen Ski-Nationalmannschaft. Zur Literatur führt von daher freilich kein direkter Weg, es sei denn, man betrachtet Ausdauer und den Willen, in der Hierarchie – auch in der schriftstellerischen – möglichst einen der ersten Plätze einzunehmen, als Reminiszenz sportlicher Tugenden und sportlichen Ehrgeizes.

Der spätere Schriftsteller verfügte über eine Vielseitigkeit der Anlagen und Interessen, wobei neben der Literatur und dem Sport zumindest noch die Musik angeführt werden muss. Hans Bergel ist im selben Elternhaus und hat während Kindheit und Jugend eine ähnlich solide musikalische Ausbildung und Prägung erhalten wie sein Bruder, der international bekannte Dirigent und Bach-Exeget Erich Bergel (1930-1998). Vorübergehend hat Hans Bergel selbst den Beruf eines Cellisten an einem Musiktheater ausgeübt, zunächst, nachdem er aus politischen Gründen als Kulturredakteur der Volkszeitung entlassen worden war, etwa vier Monate vor seiner Verhaftung im Hinblick auf den Kronstädter Schriftstellerprozess aus dem Jahre 1959. Und erneut rund vier Jahre lang, von 1964 bis 1968, nach der Haft und bevor er in die Bundesrepublik Deutschland auswandern durfte.

Von den vielfachen Veranlagungen Bergels setzte sich betonter ab etwa Mitte der 1950er Jahre das Schreiben als, wie er es selbst nannte, die ihm „angemessenste Form der Selbst- und Daseinsbewältigung“ durch. Mit der Novelle „Fürst und Lautenschläger“ (1957) – laut Angaben des Autors bereits 1946 entstanden und später für einen Literaturwettbewerb der deutschsprachigen Tageszeitung Neuer Weg eingereicht, die sie in Folgen auch erstveröffentlichte – schaffte Bergel den literarischen Durchbruch. Die literarischen, literatur-, kunstkritischen und essayistischen Beiträge, die er danach in der deutschen Presse Rumäniens publizierte, und vor allem seine frühen Bücher – neben dem „Lautenschläger“ auch „Die Straße der Verwegenen“ (1957) und „Die Abenteuer des Japps“ (1958) –, die in kurzen Abständen nacheinander erschienen, machten Bergel in der rumäniendeutschen Öffentlichkeit bald auch als ernstzunehmenden jungen Schriftsteller bekannt.

Bergels frühe literarischen Werke brachten in den rumäniendeutschen Literaturbetrieb der 1950er Jahre einen frischen Wind, sowohl durch die Themenstellung – dem Leser wurde nicht eine modellhaft zurechtgestutzte Biografie eines Proletariers oder eines Kollektivbauern aufgedrängt – als auch durch die ausdrucksstarke Sprache, die sich vom kümmerlichen und gequälten Deutsch der zu Poeten geschlagenen Autoren von „gesunder proletarischer Herkunft“ befreiend abhebt. Und nicht zuletzt durch das Angebot einer zweiten, gegen das vordergründige, „offizielle“ Verständnis gerichtete Lesart, die diese Bücher in den Rang verhaltener Widerstandsliteratur erhebt. Sieht man nämlich von jenen Textabschnitten ab, in denen Bergels Konzessionen an die kommunistische Zensur evident hervortreten, so trifft auf weite Strecken dieser Bücher die Feststellung des Literaturwissenschaftlers Norbert Mecklenburg zu, dass in jedem Naturbild „die Gesellschaft negativ anwesend ist“. So gesehen erweist sich Bergels Naturpoesie, in einer Zeit, als viele der rumäniendeutschen Autoren Lobeshymnen auf den glorreichen Sozialismus anstimmten, als kluge Rückzugs- und Verweigerungsstrategie, als Möglichkeit der Flucht in gesellschaftlich unbesetzte Räume, wo sich die künstlerische Phantasie noch verhältnismäßig frei austoben konnte.

Sowohl durch seine literarische Begabung als auch durch die politische Unbotmäßigkeit seiner ersten Bücher lenkte Bergel nicht nur die Aufmerksamkeit der Leser, sondern auch die der kommunistischen Zensur auf sich. Vor allem die durch das historische Gewand klug verhüllte politische Absicht der Novelle „Fürst und Lautenschläger“ – sie enthält den inkriminierenden Satz, „Ich bin keine Hure und meine Kunst auch nicht“, – trug 1959 mit zu seiner Verhaftung im Kronstädter Schriftstellerprozess bei. Nach der niedergeschlagenen ungarischen Revolution aus dem Jahre 1956 wurde auch in Rumänien aus Angst vor Ansteckung und Kontaminierung eine Verhaftungswelle in Gang gesetzt, der neben Hans Bergel auch die Schriftsteller Andreas Birkner (1911-1998), Wolf von Aichelburg (1912-1994), Georg Scherg (1917-2002) und Harald Siegmund (1930-2012) zum Opfer fielen. Wie sie und noch viele andere wurde Hans Bergel zu Freiheitsentzug und Zwangsarbeit verurteilt. 15 Jahre lautete das Urteil für ihn. Hans Bergel hat die Erfahrungen aus den Gefängnissen und Arbeitslagern des rumänischen Gulag des Öfteren literarisch verarbeitet, vor allem in seinem 1977 erschienenen, auch ins Rumänische und Ungarische übersetzten Roman „Der Tanz in Ketten“, in dem er die Praktiken des kommunistischen Terrors – von der Bespitzelung bis zur Inhaftierung – schildert.
Hans Bergel (2. v.l.) bei einer Lesung seines ...
Hans Bergel (2. v.l.) bei einer Lesung seines Freundes Georg Scherg (3. v.l.) im Münchner Haus des Deutschen Ostens im April 2002 (links Udo W. Acker, damals stellvertretender Direktor des HDO, rechts Pfarrer Harald Siegmund). Foto: Konrad Klein
Aufgrund einer Generalamnestie für politische Häftlinge kam er nach etwa fünf Jahren jedoch wieder frei. Es war dies die dritte Verhaftung aus politischen Gründen, nachdem er 1947 und 1954 für jeweils etwa ein Jahr hatte einsitzen müssen. 1964 aus Gefängnis, Arbeitslager und Zwangsaufenthalt im Bărăgan an der Donau entlassen und danach hauptsächlich mit Gelegenheitsarbeiten und eine Zeitlang auch als Musiker beschäftigt, vermochte sich Hans Bergel im kommunistischen Rumänien nicht mehr heimisch zu fühlen. Zu unverwischbar waren die Spuren, die die Haftzeiten in seinem Leben hinterlassen hatten, zu tief war die Einsicht in die Mechanismen des Unrechtstaates, um sich von der einsetzenden Tauwetterperiode nach Gheorghe Gheorghiu-Dejs (1901-1965) Tod täuschen zu lassen. Zu groß war auch die Enttäuschung über Menschen, die der Brutalität bzw. den Versprechungen der Untersuchungsorgane nicht hatten widerstehen können und aus Freunden zu Belastungszeugen mutiert hatten. Immer noch bedrückend genug empfand Bergel zudem die ideologische Knebelung in Rumänien, selbst nach der relativen Liberalisierung, die Nicolae Ceauşescu (1918-1989) in den ersten Jahren nach seinem Machtantritt eingeleitet hatte, um sie später umso konsequenter – sie in ihr Gegenteil verkehrend – zurückzufahren. Bergels Wunsch, das Land zu verlassen und in die Bundesrepublik Deutschland auszusiedeln, wurde nach jahrelangen Schikanen seitens der Behörden erst 1968 stattgegeben, nachdem sich auch prominente deutsche Schriftsteller – Günter Grass (1927-2015) beispielsweise – für ihn verwandt hatten.

Nach der Übersiedlung sah sich Hans Bergel mit dem Problem konfrontiert, nicht nur sein Leben neu zu ordnen, sondern auch beruflich eine Entscheidung treffen zu müssen. Nach unterschiedlichen Beschäftigungen – u.a. als Nachtwächter in München und als Ghostwriter in Hamburg im Rahmen eines größeren Fernsehprojekts – übernahm er 1970 die Leitung der Siebenbürgischen Zeitung in München, in erster Linie, weil ihn die publizistische Möglichkeit der unmittelbaren Einwirkung auf die politische Lage seiner Landsleute vor allem in Rumänien reizte. Er gestaltete das Periodikum, das von einem immer größer werdenden Abonnentenkreis bezogen werden sollte, zu einem lesbaren und polemikfreudigen Blatt um, 1989 legte er die Zeitungsleitung nieder. Hans Bergel besaß eine vielseitige, natürlich nicht alle Gebiete mit der gleichen Fundiertheit abdeckende Bildung sowie einen klaren, von der jeweiligen Modestimmung und ideologischen Trends unabhängigen Blick für die Dinge der Welt und verstand es, mit geradezu spielerischer Leichtigkeit geschickt und fassbar zu formulieren. Dass er sich bei all seinen künstlerischen und journalistischen Qualitäten für die Übernahme der Redaktion eines in vielen, hauptsächlich in linken Kreisen berüchtigten, sogenannten „Vertriebenenblattes“ entschied, kam den Siebenbürger Sachsen zwar sehr zugute, blieb aber für sein literarisches und publizistisches Werk nicht ohne Folgen. Vor allem erschwerte ihm diese Entscheidung oft und für lange Zeit den Zugang zu einer breiteren literarischen und medialen Öffentlichkeit.

Von der Entscheidung, hauptsächlich für die von Ceauşescus Nationalkommunismus bedrängten Landsleute tätig zu sein, haben vor allem jene Menschen profitiert, die im zunehmend minderheitenfeindlich agierenden kommunistischen Rumänien der 1970er und 1980er Jahre keine Möglichkeit mehr erkannten, ihre und die nationale Identität ihrer Kinder zu sichern und deshalb in der Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland den einzigen Ausweg aus ihrer prekären Lage erblickten. Für die Einhaltung des Rechtes auf Auswanderung hat sich Bergel besonders intensiv engagiert, wie er sich für die Ausreisewilligen auch in überregionalen Zeitungen, im Rundfunk und Fernsehen aktiv einsetzte. Sein Ruf, Fürsprecher der Rechtslosen und Hilfesuchenden zu sein, sein Mut, die eigene Meinung auch öffentlich zu vertreten, gepaart mit journalistischer Verve und einer ungewöhnlichen Rednergabe sicherten Bergel in den Jahren vor dem politischen Umbruch in Ost-Europa – freilich in erster Linie im Kreise seiner Landsleute, aber auch in jenen osteuropäischer Dissidenten – große Popularität und machten ihn auch darüber hinaus bekannt. Bergels Gegner hingegen, beispielsweise Vertreter der Evangelischen Kirche in Rumänien und einige siebenbürgisch-deutsche Intellektuelle und Funktionäre, stuften Bergels Eintreten für die Achtung und Wahrung der Menschenrechte in Rumänien und für Entscheidungsfreiheit bei der Wahl des Wohnlandes als Abwerbungskampagne und bewusst betriebene Schwächung der deutschen Minderheit in Rumänien. Partei und Geheimdienst taten ihr Möglichstes, Hans Bergel zu diffamieren, wozu damalige regimetreue Repräsentanten der deutschen Minderheit keinen geringen Beitrag leisteten. Die über Hans Bergel angelegte umfangreiche Securitate-Akte, die dem Schriftsteller und interessierten Forschern nach dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Gemeinschaft zugänglich gemacht worden ist, dokumentiert, dass der Schriftsteller wie kaum ein anderer in Deutschland lebende Siebenbürger Sachse unter intensivster Beobachtung des rumänischen Geheimdienstes stand. Es gehörte zu den prioritären Anliegen von dessen Auslandsabteilung, dem couragierten Münchner Journalisten und Schriftsteller das Handwerk zu legen, um seinen wachsenden Einfluss sowohl in der freien westlichen Welt als auch unter seinen Landsleuten in Rumänien, die es massenweise zur Ausreise drängte, einzudämmen.
Applaus für den 94-jähren Hans Bergel im Münchner ...
Applaus für den 94-jähren Hans Bergel im Münchner Haus des Deutschen Ostens nach seiner wohl letzten großen Lesung im Februar 2019. Vorn (roter Blazer) Renate Kaiser, Kulturreferentin der Kreisgruppe München, in der ersten Reihe Ehefrau Elke Bergel (3. v. l.), rechts Lilia Antipow vom HDO. Foto: Konrad Klein
Was an Bergels Erzählungen – er hat sie in mehreren Bänden gesammelt, ich erwähne u.a. die Bände „Im Feuerkreis“ (1972) und „Weihnacht ist überall“ (1988) –, die er nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland verfasste, zunächst auffällt, ist die Erweiterung seines schriftstellerischen Erfahrungsbereiches und die Fülle der geographisch weiträumig angesiedelten Stoffe und Themen. Der den Fesseln eines totalitären Staates entkommene Schriftsteller, der bis zur Ausreise die Welt außerhalb der kommunistischen Machtsphäre bloß aus Büchern und vom Hören-Sagen her kannte, hatte nun die Möglichkeit, ausgedehnte und unkonventionell verlaufende Reisen zu unternehmen, die sich auch in seinen Essays und in seiner Belletristik niederschlugen.

Für den mit einer reichen und lebhaften Phantasie ausgestatteten Schriftsteller war es ein Leichtes, die Handlungen seiner Geschichten in die unterschiedlichsten Räume zu verlegen und ihnen das jeweils authentische Lokalkolorit zu verleihen. Doch sind die Schauplätze dieser Erzählungen, deren Spannweite von den Alpen bis zum Urwald, von den Karpaten bis Südwestafrika, von Kanada bis Neuseeland reichen, nirgends bloß Kulisse, sondern – wie sich ein Kritiker einmal ausdrückte – immer „Medium von existenzieller Bezogenheit“. Bergels oft mit beeindruckender Lebendigkeit gestaltete Figuren, die in diesen Räumen agieren, sind meist von überschäumender Vitalität. Mitunter wirken sie etwas ruppig, handeln impulsiv und kämpfen oft verbissen gegen Widerstände, Schranken und Verbote an. In den auf dramatische Zuspitzung ausgerichteten Handlungssträngen, deren Verlauf zunächst den Anschein erweckt, zu gewalttätigen Lösungen zu drängen, die aber dann versöhnlich ausklingen, wird eine breite Thematik aufgefächert. Sie reicht – so in dem Band „Im Feuerkreis“ vereinten Erzählungen – vom atemberaubenden Spionagefall bis zum Liebesdrama und zum Wunder weihnachtlicher Liebe, ein Motiv, das besonders in den Geschichten aus dem Buch „Und Weihnacht ist überall“ in einer Vielfalt von Erlebnissen, Gestalten und Situationen vergegenwärtigt wird.

Die politischen Ereignisse um die Jahreswende 1989/90, die von Bergel seit langem schon erwartet und in einigen seiner Schriften schon vorausgeahnt wurden, bestimmten schwerpunktmäßig eine neue Ausrichtung in seinen journalistischen, essayistischen und literarischen Arbeiten. Hatte sich Bergel unmittelbar nach seiner Ausreise in seinen politischen Kommentaren, Aufsätzen, Essays und Rundfunkbeiträgen vorrangig der Situation der Deutschen in Rumänien, den diskriminierenden und menschenrechtsverletzenden Zuständen in diesem Land und allgemein im kommunistischen Machtbereich gewidmet, so traten nach dem Zusammenbruch des Kommunismus auch andere Fragestellungen in sein Blickfeld. Ohne sich gänzlich von Siebenbürgen und Rumänien zu lösen – den Schriftsteller band zeit seines Lebens an das Land seiner Herkunft eine schwierige Liebe –, hat Bergel nach der Öffnung des Eisernen Vorhanges sein Erkenntnis- und Interessengebiet um neue Dimensionen erweitert. Frei von Vorurteilen setzt sich Bergel sowohl in zahlreichen Essays und Aufsätzen – er hat sie in mehreren Bänden gebündelt, die hier auch nur aufzulisten, aus Raumgründen nicht möglich ist – immer wieder mit Südosteuropa als unverwechselbarem und eigenständigem landschaftlichen, historischen und ethnokulturellem Raum auseinander. Darin, aber vor allem in seiner nicht nur von den Ausmaßen her monumentalen Romanfolge „Wenn die Adler kommen“, von der 1996 der erste Band und 2006 unter dem Titel „Die Wiederkehr der Wölfe“ ein zweiter erstmalig erschienen sind, hat Bergel all das synthetisiert, was er im Laufe seines mehr als neun Jahrzehnte währenden Lebens in der Begegnung mit Menschen, Landschaften und Büchern über diese Regionen erfahren konnte. Am Beispiel einer siebenbürgisch-sächsischen Familiengeschichte wird paradigmatisch die Zeit vom Ende des Ersten bis in die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges erzählerisch aufgerollt. Die Fortsetzung des Handlungsgeschehens bis zum Ende des Kommunismus war einem dritten Band vorbehalten, der den Titel „Finale“ tragen sollte, den der Autor jedoch nicht mehr abschließen konnte. Teile des streckenweise bereits ausgearbeiteten Werkes hat Bergel in „Die Stunde der Schlangen“ (2022) zu einer Sammlung von Erzählungen gebündelt. Die leider unvollendet gebliebene Trilogie, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, ist eine multiperspektivisch angelegte Erkundung der jüngeren europäischen Vergangenheit. Eine enorme Fülle an Figuren, Begegnungen und Episoden in einer vorwiegend an Heinrich von Kleist, aber auch an anderen bedeutenden Epikern des 19. und 20. Jahrhunderts geschulte Prosa kennzeichnet Bergels Gestaltungsweise, die immer wieder durch kraftvolle Sprachbegabung, unverwechselbare Landschaftszeichnungen und die Darstellung von Menschenschicksalen in Grenzsituationen beeindruckt.

„Die Stunde der Schlangen“ ist die letzte Veröffentlichung, die zu Bergels Lebzeiten erschienen ist. Sie schließt ein umfangreiches und beeindruckendes Œuvre von rund fünfzig Büchern und einer Fülle von Editionen, Studien, Essays, Aufsätzen, Zeitungsartikel, Rundfunkbeiträgen, Interviews und politischen Kommentaren ab. Zu diesem imponierenden Werk gehört auch eine zeit seines Lebens immens und breit geführte, bislang bloß in bescheidenen Auszügen veröffentlichte Korrespondenz, die nicht nur für Bergels Biografie relevant sein wird, sondern auch eine Fundgrube für zeit-, kultur-, alltags- und mentalitätsgeschichtliche Fragestellungen darstellt.

Ein Nachruf auf Hans Bergel bliebe unvollständig, würde man nicht auch auf jene Beiträge seiner journalistischen und essayistischen Tätigkeit zumindest hinweisen, in denen er sich zu Themen geäußert hat, die nicht unmittelbar Siebenbürgen, Rumänien oder Südosteuropa betreffen. Bereits als er in der Siebenbürgischen Zeitung die „Politische Schlagzeile“ nach dem Muster des „Streiflichtes“ aus der Süddeutschen Zeitung einführte, hat Bergel über Jahre immer wieder zu Fragen der großen Politik Stellung genommen. Geht man heute einige Jahrgänge der Siebenbürgischen Zeitung durch, so fällt außer dem Fleiß des Redakteurs, der das Periodikum im Alleingang herausgegeben und deshalb zahlreiche eigene, mit Pseudonymen gezeichnete Beiträge unterbringen musste, der thematischen Vielfalt seiner Aufsätze und der Ausdrucksvariabilität seiner Sprache auch die oft freimütig geäußerte Meinung Bergels auf, mit der er sich von den damals auch von großen Medien vertretenen Ansichten erfrischend abzusetzen vermochte. Auf sie hier detailliert einzugehen – auch auf jene, in denen er sich in Analyse und Prognose zuweilen irrte –, ist nicht möglich. Es sei – auch der Aktualität wegen – bloß erwähnt, dass Bergel im Unterschied zu vielen Intellektuellen vor allem im Westen, die die verführerischen Ideen des Kommunismus zumindest theoretisch zu rechtfertigen und in Schutz zu nehmen versuchten, gegenseitige Ansichten vertrat. Er hatte die Verwirklichung dieser hochgespannten Ideale durch die osteuropäischen Machthaber am eigenen Leib zu spüren bekommen und hatte deshalb für den Großteil der Gedankengänge der kommunistischen Klassiker, geschweige denn von deren Nachfolgern, keinerlei Verständnis.

Auch für Differenzierungen innerhalb des sozialistischen Lagers war Bergel kein Ansprechpartner. In diesem Sinne schätzte er beispielsweise die politische Marschrichtung der Sowjetunion in der Zeit vor Michail Gorbatschow ein. Hinter deren kommunistischer Propagandamaschinerie verbarg sich seiner Meinung nach nichts anderes als die Fortführung und Umsetzung zaristischen Ausdehnungs- und Kolonialwillens. Sympathien hegte er hingegen für Männer wie Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967), dessen Politik sich auf „Nüchternheit, Sachbezogenheit, ideologiefreies Denken gründete“. Oder den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan (1911-2004), dem seiner Ansicht nach die schwere Aufgabe zukam, die ­„Sünden illusorischer westlicher ‚Friedens‘politik aus zurückliegenden Jahren gutzumachen, in deren Windschatten der Kreml mit monströsen Aufrüstungssprüngen die ganze freie Welt hinter sich gelassen hatte“. Solch wache politische Einschätzungen und nüchterne Zeitdiagnosen, die Hans Bergel in Briefen und im Gespräch leidenschaftlich und argumentationsfreudig bis an sein Lebensende vertreten konnte, werden wir hinfort vermissen – wie den geistreichen, humorvollen, enthusiastischen und in Freundschaften verbundenen Schriftsteller, dem man zum Abschied wünscht, von seinen Büchern möge auch nach seinem Tod eine nicht versiegende Faszination ausgehen.

Stefan Sienerth

Schlagwörter: Kultur, Hans Bergel, Schriftsteller, Publizist, Siebenbürgische Zeitung, Rosenau, München, Stefan Sienerth

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