20. März 2009

Carl Gibson: Legitimer Protest gegen Ceaușescu-Diktatur

1979 entstand in Rumänien die erste größere freie Gewerkschaftsbewegung „SLOMR“ (Sindicatul liber al oamenilor muncii din România), die im Westen nahezu unbekannt ist. In seinem Erinnerungsband „Symphonie der Freiheit. Widerstand gegen die Ceaușescu-Diktatur“ (J. H. Röll Verlag, 2008) hat Carl Gibson den Aufbau und die Niederschlagung der freien Gewerkschaftsbewegung rumänischer Werktätiger aus der Perspektive des agierenden Zeitzeugen beschrieben. Carl Gibson, 1959 in Temeschburg (Temeswar) geboren, in Sackelhausen im Banat aufgewachsen, ist Philosoph und Schriftsteller. Bis zur Revolution 1989 unterstützte er das „demokratische Exil“ der Rumänen im Westen, u. a. trat er als positiver Kronzeuge in der UNO-Klage gegen das Ceaușescu-Regime (1981-1984) auf. Mit dem Band „Lenau. Leben – Werk – Wirkung“ (Carl Winter Universitätsverlag, 1989) präsentierte sich Gibson als Literaturwissenschaftler. Siegbert Bruss sprach mit ihm über die oppositionelle Bewegung SLOMR.
Unter welchen zeitgeschichtlichen Umständen ist die Arbeiterbewegung SLOMR entstanden und welche Ziele hat sie verfolgt?

Die Gründung der SLOMR vor genau 30 Jahren zunächst in Bukarest durch Dr. Ionel Cană und die Wiederbelebung bzw. Neugründung der SLOMR in Temeschburg ist eine konsequente Folge der Arbeiterunruhen im Schiltal im Jahr 1977. Sie steht in der Tradition der Menschenrechtsbewegungen in Osteuropa im Gefolge der Beschlüsse der KSZE-Konferenz in Helsinki im Jahr 1975, namentlich der Charta 77-Bewegung in der damaligen CSSR und der humanitären Bewegung des Paul Goma in Rumänien. SLOMR war der Versuch, den legitimen Protest rumänischer Werktätiger gegen ökonomische und soziale Missstände mit der Forderung nach allgemeinen Bürgerrechten zu verbinden.

Aus welchem Grund haben Sie die Temeswarer Filiale der SLOMR begründet? Kann man sagen, dass Sie sich vom Ausreisewilligen zu einem Kämpfer für Menschenrechte und Freiheit entwickelt haben?

Letzteres ist richtig, und die SLOMR-Gründung ergab sich aus der damaligen Situation. Als ich im Februar 1979 über Radio Freies Europa von der SLOMR-Bewegung in Bukarest erfuhr, sah ich darin die Chance, einen Teil der mir bekannten antikommunistischen Oppositionskräfte in Temeswar neu zu organisieren. Im Frühling 1977, kurz nach dem gewaltigen und zugleich politisch symptomatischen Erdbeben in Bukarest, war ich als Sympathisant der Menschenrechtsbewegung verhaftet, bald vor ein Arbeiter-Tribunal gestellt, symbolisch abgeurteilt und entlassen worden. Dann kamen die „großen“ Formulare. Ausreisen durfte meine Familie – entgegen der üblichen Praxis – trotzdem nicht. Mit der Absicht, SLOMR in dem Betrieb „Electrobanat“ in der Stadt an der Bega ins Leben zu rufen, reiste ich Ende März 1979 nach Bukarest, begleitet von meinem langjährigen Mitstreiter Erwin Ludwig und zwei weiteren Personen. Nach Gesprächen mit den Bukarester SLOMR- Anhängern um Professor Nicolae Dascălu setzten wir die SLOMR-Gründung in Temeschburg in die Praxis um. 16 Personen auf der Liste und ihre Familien durften in den Westen ausreisen. „SLOMR Temeschburg“ war die einzige Neugründung landesweit.
Entlassungsschein aus dem Gefängnis Popa ...
Entlassungsschein aus dem Gefängnis Popa Șapcă in Temeschburg.
In Ihrem Buch „Symphonie der Freiheit“ geben Sie an, dass die SLOMR-Mitglieder hauptsächlich Banater Schwaben waren, die ihre Ausreise betrieben. Könnten Sie die Motive und die Zusammensetzung der Gruppe etwas differenzierter beschreiben?

Nie habe ich einen Hehl daraus gemacht, dass wir in Temeschburg fast ausschließlich ausreisewillige Banater Schwaben für die oppositionelle Aktion gewinnen konnten. Viele Rumänen sträubten sich aus Angst vor Repressalien. Das habe ich nach meiner Ausreise hier im Westen so beschrieben, zuletzt in der FAZ vom 15. November 1988. Die Banater wollten nur „ein Recht“ durchsetzen – das Menschenrecht auf Freizügigkeit, sprich auf Reise-Freiheit und „Familienzusammenführung“. Dessen ungeachtet wurde SLOMR nach außen durch einen Rumänen vertreten, namentlich durch Professor Fenelon Sacerdoteanu, den ehemaligen Arzt König Karls, der als „SLOMR-Präsident“ auftrat. Er war der Spiritus rector des OTB, hatte zehn Jahre stalinistische Haft hinter sich, wollte nie ausreisen und hat es auch nie getan.

Wie stark war die Arbeiterbewegung in Siebenbürgen, welches waren die größten Zentren und Protagonisten?

Der Fräser Virgil Chender soll in Schäßburg eine „Freie Gewerkschaft der Arbeiter, Bauern und Soldaten“ gegründet haben und mit ca. 1 200 Mitgliedern zur nationalen SLOMR-Bewegung gestoßen sein. Diese Annahme wurde allerdings meines Wissens noch nicht objektiv bestätigt. Deshalb ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung der SLOMR-Thematik sehr wichtig und dringend. Sympathie-Bekundungen kamen natürlich aus Hermannstadt und Kronstadt, wo es dann im Jahr 1987 zu großen Arbeiterunruhen und antikommunistischem Aufruhr kam.

Welche Verbindungen hatten Sie zu anderen Dissidenten in Rumänien?

Tatkräftige Unterstützung kam vom Dissidenten-Kreis um Nicolae Dascălu in Bukarest, der den Sender Freies Europa in München und die Liga für Menschenrechte in Paris über die Gründung von „SLOMR- Temeschburg“ und die anschließenden Ereignisse, sprich unsere Verhaftung am 4. April 1979, Verurteilung und Inhaftierung informierte. Wenige Tage darauf wurde Dascălu selbst verhaftet, gefolgt von Alexander Nagy, Vlad Mihai u. a. Nachdem ich Dascălu, der in Bukarest eine Repräsentanz von „amnesty international“ eröffnen wollte, im Jahr 1981 als Zeitzeuge der anstehenden UNO-Klage gegen das Ceaușescu-Regime gewinnen konnte, verschwand er spurlos in den USA. Er könnte von Securitate- Killern ermordet worden sein. Auch solche Fragen müssen aufgeklärt werden.

Sie haben Rumänien seit ihrer erzwungenen Ausreise im Jahr 1979 nicht mehr besucht. Haben Sie Angst, dass Ihnen die Sicherheitsdienste zu nahe treten könnten, oder warten Sie eher auf Ihre Rehabilitierung?

Ein Folteropfer kehrt niemals freiwillig in die Folterkammer zurück. Mir ist mehrfach gedroht worden, vor der Ausreise und nach der Ausreise während der UNO-Klage gegen Ceausescu in den Jahren 1981 -1984. Mit dem brutalen Repressionsapparat einer Diktatur ist nicht zu spaßen. Meine Rehabilitierung habe ich mehrfach eingefordert. Was die Postkommunisten von der „Rehabilitierung“ ehemaliger Opfer der Diktatur halten, ist bekannt. Es fällt den Regierenden in Rumänien auch heute schwer, kommunistisches Unrecht anzuerkennen, voll aufzuklären und die vielfachen Opfer zu entschädigen. Anders als in Polen oder Tschechien, wo ehemalige Dissidenten wie Lech Walesa bzw. Vaclav Havel zu Staatschefs avancierten, wurden oppositionelle Intellektuelle in Rumänien, Dichter wie Mircea Dinescu oder Ana Blandiana, zurück ins Glied gedrängt oder mit Alibipöstchen abgespeist. Die Vergangenheitsbewältigung ist dort noch ein großes Problem.
Carl Gibson mit seinem Buch „Symphonie der ...
Carl Gibson mit seinem Buch „Symphonie der Freiheit“ (2008).
Auf dem Bucheinband der „Symphonie der Freiheit“ erklären Sie sich zum „bekanntesten Bürgerrechtler aus Rumänien in Deutschland“. Wie antworten Sie auf den Vorwurf, dass Sie auch Selbstdarstellung betreiben, wie der Historiker Georg Herbstritt in einer Rezension anmerkt?

Wer die zitierte Aussage, übrigens ein Einfall meines Verlegers, anzweifelt, soll die Gegenprobe vorlegen. Jedenfalls stilisiere ich mich nicht in eine Verfolgtenrolle hinein, denn ich bin tatsächlich über Jahre verfolgt worden. Mir braucht die „CNSAS“ nicht erst nachzuweisen, dass es so war – wie das etwa Richard Wagner von mir fordert. Auch habe ich mich nicht in eine „Dissidenten-Rolle“ gedrängt. Zum „SLOMR- Sprecher im Westen“ wurde ich berufen. Damals sagte ich Ja zur „UNO-Klage gegen Ceaușescu“, weil ich gebraucht wurde und nicht ersetzt werden konnte. Dass ich dabei meine Angehörigen, übrigens zum Teil aus Siebenbürgen, gefährdete, danach fragte kein Mensch! Begrüßt hätte ich es, wenn Politologen oder Historiker die Materie SLOMR /Politische Opposition in Rumänien längst aufgearbeitet hätten. Es ist kein Vergnügen, über sich selbst zu schreiben. Doch ein Zeitzeuge muss es tun, wenn gewisse Fakten, „die nur er kennt“, nicht der Vergessenheit überantwortet werden sollen.

Sie haben selbst unter kommunistischer Verfolgung gelitten: Ist Ihre Kampagne, die Sie seit der „Spitzelaffäre“ im August 2008 gegen Herta Müller und Richard Wagner im Internet und in den Diskussionsforen von www.siebenbuerger.de betreiben, auch ideologisch bedingt?

Wenn „Kampagne“, dann „Aufklärungskampagne“! In den Foren habe ich Grundsatzfragen differenziert angesprochen, die über den eigenen Fall hinausgehen. Meine Opposition in der Ceaușescu-Diktatur begann mit konsequentem Festhalten an der „deutschen Identität“ und dem Ethos christlicher Humanität. Aus dieser Geisteshaltung heraus schlitterte ich in die Bürgerrechtsbewegung. Die RKP und ihr Bluthund Securitate bildeten eine „totalitäre“ Front – wir, die deklarierten Antikommunisten, vertraten die demokratisch-pluralistische Seite. Richard Wagner, von 1972 bis 1984 Parteimitglied, und die von der UTC geehrte Herta Müller standen bekanntlich nicht im konservativ-christlichen Lager ihrer deutschen Landsleute im Banat. Ganz im Gegenteil. Durch ihre zum Teil von „Hass“ motivierten Werke („Niederungen“) stützten sie sogar die Partei des Alleinherrschers Ceaușescu, jene RKP, die der Securitate den Befehl gab, mich und andere Oppositionelle einzukerkern. Darf ich das alles vergessen? Als Müller und Wagner in die BRD kamen, leugneten sie in einem „SPIEGEL“- Interview (Nr.19) die Existenz jeder Opposition in Rumänien bis 1987. Von „SLOMR“ und anderen oppositionellen Aktivitäten hatten beide wohl nichts gehört? In dem Leitartikel „Trittbrettfahrer“ in der „Banater Zeitung“ vom 4. Februar 2009 (Beilage der Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien) hat Wagner die Gewerkschaft SLOMR sogar trivialisiert und verhöhnt, inklusive meine Person. Deshalb erfolgte meine „Gegendarstellung“ mit Richtigstellungen im allgemeinen Forum von „Siebenbuerger.de“. In meinem Buch präsentiere ich zunächst Fakten. Wenn ich aber irgendwo im Unrecht sein sollte, muss man mir offen widersprechen und Gegenbeweise vorlegen.

Herr Gibson, vielen Dank für das Gespräch.

Schlagwörter: Kultur, Banat, Kommunismus

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