12. Juni 2010

Balanceakt zwischen Dichtung und Wahrheit: Zum "biographischen Essay" über Edit von Coler

Propagandaagentin, Pressekorrespondentin, Diplomatin, Agrarwirtschaftsexpertin, Schiffskapitän, Dramaturgin, Edelhure... Was war nun wirklich diese „blauäugige, goldenhaarige, junge und hübsche, flatternde Gesandte Hitlers“ (S. 95)? Vielleicht von allem ein wenig. Der Autor Jacques Picard verfolgt in seinem Buch „Edit von Coler. Als Naziagentin in Bukarest“ akribisch die Aktivitäten dieser extravaganten und emanzipierten Frau.
Edit von Coler wird 1895 als Tochter wohlhabender Eltern in Berlin geboren. Schon früh entwickelt sie eine Leidenschaft zur „Zigeunermusik aus Rumänien“. Als Cousine Himmlers wird sie zum Prototyp des nationalsozialistischen Frauenbildes, tritt bereits 1931 in die NSDAP ein und beginnt sehr bald ihre Mission in Rumänien. Den Recherchen Picards zu Folge fokussieren sich ihre Tätigkeiten ab 1935 auf ein einziges Ziel: „Rumänien kann und muss gewaltlos in unsere Hände fallen“ (S. 82). Sie strebt eine „friedliche Gewinnung eines Freundes für Deutschland“ (S. 98) an, wobei Rumänien als Ressourcelieferant (Agrarprodukte, Erdöl etc.) für den Feldzug in Richtung Osten gewonnen werden soll. Ein Hauptaugenmerk ihrer Salonpolitik galt der Umstimmung der frankophilen Rumänen zu Germanophilen.

Als Quellen verwendet Picard zahlreiche Briefe und Dokumente aus dem Bundesarchiv Berlin, vom Auswärtigen Amt, vom Außenhandelsministerium Bukarest, vom Institut für Zeitge- schichte in München u. a., aus denen er auch häufig zitiert. Da Informationen aus Briefen mitunter einer nachprüfbaren Verlässlichkeit entbehren, schwankt vorliegendes „biographisches Essay“ (Seite 24), wie es der Autor selber nennt, stets zwischen Realität und Vermutung, wobei Picard das Buch als Resultat einer durchaus seriösen Forschungsarbeit wahrgenommen wissen möchte. Dieser Meinung schließt sich auch Paul Milata an, der für das Vorwort zeichnet.

Die schillernde Frau Edit von Coler „glaubte in ihrem innersten Wesen an die Ideen der neuen Weltanschauung“ (S. 12), wohnte während ihres Aufenthaltes in Rumänien in einem Bukarester Nobelhotel und versuchte als Pressekorrespondentin der Deutschen Allgemeinen Zeitung und als stille Teilhaberin der Zeitung Curentul in drei Richtungen aktiv zu werden: „Die reichen Rumänen sollen beruhigt sein“ (S. 13), denn sie können bei einer Zusammenarbeit mit Deutschland noch reicher werden (Coler pflegte z.B. einen intimen Umgang mit dem Millionär Nicolae Malaxa), die Intellektuellen hätten nichts zu befürchten, und den Damen der besseren Gesellschaft will sie beweisen, dass Schminke und Lippenstift im neuen Reich nicht verboten sind.

Picard entdeckt bei der Protagonistin eine seltene Begabung zum Vermitteln und Versöhnen, was ihm auch ihre Tochter Jutta bezeugt. Zu ihren größten Leistungen zählt der Autor das Erreichen einer Einigung der strittigen Fraktionen unter den deutschen Rumäniens 1938 (Fritz Fabritius und Alfred Bonfert), wobei er sich auf einen Brief Colers an Malaxa beruft und „den unverhofft schnellen Erfolg des deutsch-rumänischen Wirtschaftabkommens von 1939 in einer internationalen wirtschaftlichen und politischen Krise“ (S. 212).

Als Mitglied des Arbeitskreises für siebenbürgische Landeskunde erweist sich Picard als Kenner der rumänischen und siebenbürgisch-sächsischen Verhältnisse der untersuchten Zeit. Als langjähriger Französischlehrer in Deutschland übersetzt er gekonnt sein Werk aus dem (ursprünglich) Französischen ins Deutsche, wobei die Leichtigkeit des französischen Stils manchmal in deutscher Übertragung etwas salopp erscheinen mag. Etliche Druck- und Sprachfehler tun indes dem Oeuvre keinen Abbruch.

Mit dem Niedergang des Dritten Reichs endet auch Colers Karriere. Genauer gesehen wurde sie schon vorher nach Deutschland zurückbefohlen – offensichtlich traute man ihr nicht mehr ganz. Die einstige Luxusdame und Femme Fatale mit Mercedes Cabrio, Kammerzofe, teurem Schmuck und maßgeschneiderten Kleidern aus Paris, die Verhältnisse zu maßgeblichen deutschen und rumänischen Persönlichkeiten pflegte (die sie auch großzügig finanzierten) – es wird ihr sogar eine amouröse Beziehung zu König Karl II. nachgesagt – erliegt vereinsamt im Alter von 53 Jahren in Bad Pyrmont einem Krebsleiden.

Der Autor Picard konnte noch das Erscheinen seines Buchs erleben, verstarb aber nach einem dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt kurz danach, am 11. März 2010, im Alter von 66 Jahren im Elsass. Das ansprechend gestaltete Buch (ein Lob dem Verlag) enthält neben Fotografien Fotokopien von Dokumenten und Briefen, Quellenangaben und Bibliographie sowie nützliche Kurzbiografien von Persönlichkeiten, mit denen Coler Kontakte pflegte. Es besteht aus 21 Kapiteln und einem „Präludium“. Das Buch dürfte als Zielgruppe nicht nur historisch „Interessierte“ oder Emanzipationsfanatiker anvisieren, zumal Picard auch vor pikanten Stellen nicht zurückschreckt.

Dr. Wolfgang Knopp

Jacques Picard: „Edit von Coler. Als Naziagentin in Bukarest“. Mit einem Vorwort von Paul Milata. Schiller Verlag Hermannstadt/Bonn, 2010, 230 Seiten, fest gebunden, ISBN 978-3-941271-31-9, Preis: 15 Euro (55 Lei), erhältlich im Internet unter www.schiller.ro, im Siebenbuerger.de/Shop und in allen deutschen Buchhandlungen.
Edit von Coler: Als Nazi-Agent
Jacques Picard
Edit von Coler: Als Nazi-Agentin in Bukarest

Schiller Verlag
Gebundene Ausgabe
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Schlagwörter: Rezension, Nationalsozialismus

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  • 12.06.2010, 17:23 Uhr von Engelchen: Die Druck- und Sprachfehler werden in der Regel durch Lektorieren ausgemerzt. Warum ist das hier ... [weiter]

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